Schweiz
Interview

watson-Gerichtsreporter William Stern zum Rupperswil-Prozess gegen Thomas N.

Ein ziviles Polizeifahrzeug der Kantonspolizei Aargau verlaesst mit Thomas N. im Wagen die Tiefgarage der Mobilen Polizei nach dem ersten Prozesstag beim Prozess um den Vierfachmord von Rupperswil vor ...
Im Fokus: In diesem Auto wird Thomas N. wird nach dem ersten Prozesstag ins Gefängnis zurückgebracht.Bild: KEYSTONE
Interview

«Nachvollziehbar, wie schmerzhaft Senns Worte für die Angehörigen der Opfer sein müssen»

Reporter William Stern hat für watson den Gerichtsprozess gegen Thomas N. vor Ort verfolgt. Im Interview spricht er über die Reaktionen auf das Urteil, die Kritik an der Pflichtverteidigerin und sagt, ob der Rechtsstaat seiner Aufgabe gerecht geworden ist.
16.03.2018, 16:3516.03.2018, 19:56
Mehr «Schweiz»

William, du hast für watson während drei Tagen den Prozess gegen Thomas N. beobachtet. Kommt das Urteil – lebenslange Haft mit ordentlicher Verwahrung – überraschend?
William Stern: Nein, damit haben die meisten Prozessbeobachter gerechnet. Angesichts der Schwere der Straftat hat sich die lebenslange Freiheitsstrafe abgezeichnet und die Aussagen der Gutachter liessen auf eine ordentliche Verwahrung schliessen. Eine lebenslängliche Verwahrung im Urteil hätte überrascht.

William Stern Fall Rupperswil Teaser
watson-Reporter William Stern beim Prozess in Schafisheim.

Die Staatsanwaltschaft hatte eine solche gefordert. Ist das Urteil eine Niederlage für die Anklage?
Ich glaube nicht, Staatsanwältin Barbara Loppacher zeigte sich nach dem Urteil verhalten zufrieden, sie könne damit leben, sagte sie wortwörtlich. Ähnlich äusserten sich übrigens auch die Vertreter der Angehörigen und der Partner der getöteten Carla S. Thomas N. wurde in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen. Dass sie auch mit einer ordentlichen Verwahrung leben kann, zeigte die Staatsanwaltschaft, indem sie diese als Eventualforderung in die Anklageschrift aufgenommen hatte. Auf der anderen Seite hat sie sich einen Weiterzug ans Obergericht allerdings explizit offengehalten – wie übrigens auch die Verteidigung. Gut möglich, dass schlussendlich das Bundesgericht in Lausanne über den Fall entscheiden muss.

Beide Gutachter sind zum Schluss gekommen, dass bei Thomas N. grundsätzlich therapiefähig sei. Trotzdem forderte Loppacher eine lebenslange Verwahrung. Wie begründete sie das?
Nach den Aussagen der Gutachter am Dienstag überraschte Loppacher in ihrem Plädoyer am Mittwoch bei diesem Punkt tatsächlich viele Prozessbeobachter. Es gibt noch relativ wenig prozessrechtliche Erfahrung mit der lebenslänglichen Verwahrung – einfach weil das Schweizer Recht diese Möglichkeit noch nicht so lange kennt. Loppacher argumentierte wie folgt: Thomas N. soll lebenslang verwahrt werden, weil die Tötungen, der Hauptanklagepunkt, nichts mit seinen allfällig therapierbaren psychischen Störungen zu tun haben. Das ist eine neue Herangehensweise. Loppacher liess hier ein Stück weit auch einen Versuchsballon steigen. Sie versuchte einen Weg zu finden, wie Ankläger in künftigen Fällen eine lebenslängliche Verwahrung erreichen können.

Staatsanwältin Loppacher zum Urteil von Rupperswil

Das Urteil zeigt doch, dass dieser Versuchsballon platzte.
Die lebenslängliche Verwahrung hat sie nicht bekommen, das stimmt. Die gesetzlichen Hürden dafür sind allerdings auch sehr hoch. Doch die Anklage konnte einen Teilerfolg verzeichnen. Eine Minderheit der fünf Richter sprach sich für eine lebenslängliche Verwahrung aus.

Auf der anderen Seite geriet Renate Senn, die Pflichtverteidigerin von Thomas N., stark in die Kritik. Der «Blick» bezeichnete sie als «Killer-Anwältin», die «Opfer verhöhnt». Wie hast du Senns Auftreten wahrgenommen?
Man muss vorausschicken: In einem Rechtsstaat hat jeder Anspruch auf einen fairen Prozess und einen Rechtsbeistand, der sich für ihn einsetzt. Es gehört zur Aufgabe der Pflichtverteidiger, für ihre Mandanten das Beste herauszuholen. Das ist Senns Auftrag und den hat sie zu erfüllen versucht. Es macht die Arbeit von Strafverteidigern auf jeden Fall nicht einfacher, wenn sie in sozialen Netzwerken und Medien zur Zielscheibe werden.

Die Anwälte der Angehörigen kritisierten insbesondere Senns Aussagen, wonach der sexuelle Missbrauch «lediglich zwanzig Minuten» gedauert habe und  «nicht von übermässiger Gewalt beherrscht» gewesen sei.
Einige Formulierungen waren vielleicht zu wenig einfühlsam – und möglicherweise taktisch unklug. In der Urteilsbegründung gab es dann auch einen kleinen Seitenhieb von den Richtern in Richtung Verteidigung. Es ist nachvollziehbar, wie schmerzhaft diese Worte Senns für die Angehörigen der Opfer sein müssen. Aber in einem Prozess versuchen sowohl die Anklage als auch die Verteidigung, den Tathergang prozesstaktisch motiviert gemäss ihrem Eigeninteresse darzustellen.

Der Vierfachmord von Rupperswil beschäftigte Medien und Öffentlichkeit nun seit mehr als zwei Jahren sehr stark. War in diesem emotional aufgeladenen Klima ein fairer Prozess möglich?
Alle Beteiligten bezeichneten diesen Fall als der schwerste, mit dem sie in ihrem Leben konfrontiert worden sind. Das betonten die durchs Band erfahrenen Gutachter, Richter, Staatsanwälte und Verteidiger. Das lag nicht nur an der beispiellosen Tat, sondern auch an dem grossen medialen Interesse. Deswegen davon auszugehen, die Richter seien in ihrer Entscheidung in irgendeiner Weise befangen gewesen, scheint mir spekulativ.

Wie hast du den Prozess im Gerichtssaal erlebt?
Was mir als Beobachter aufgefallen ist: Es gab eine grosse Diskrepanz zwischen der schrecklichen Tat, die einem emotional aufwühlt, und der Nüchternheit im Gerichtssaal. Es waren zwar durchaus Emotionen zu beobachten, bei den Angehörigen, ihren Vertretern und den Zuschauern. Aber im Grossen und Ganzen wurden die Verhandlungen auf eine nüchterne und sachliche Weise geführt. Einerseits kann dieser Kontrast unbefriedigend sein für die Öffentlichkeit, die sich nach Sühne sehnt. Andererseits ist es aber ein starkes Zeichen dafür, dass der Rechtsstaat seinem Anspruch gerecht geworden ist, einen fairen Prozess zu garantieren. (cbe)

Gerichtsverhandlung Vierfachmord Rupperswil

1 / 10
Gerichtsverhandlung Vierfachmord Rupperswil
Geleitet wird die Verhandlung, die volle vier Tage von Dienstag bis Freitag dauern soll, vom Bezirksgerichtspräsidenten Daniel Aeschbach. (Bild: HO)
Auf Facebook teilenAuf X teilen
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
1 Kommentar
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
irgendwie so:
16.03.2018 17:16registriert Oktober 2016
Danke für die Nüchternheit - auch in diesem Rückblick auf den Prozess.
00
Melden
Zum Kommentar
1
«Das ist unmenschlich!»: Schwere Vorwürfe in der Syrien-«Arena» – und mittendrin ein Syrer
Diktator Baschar al-Assad ist gestürzt. Und jetzt? Syrer zurückschaffen, findet die SVP. Unmenschlich, finden die anderen. Für die Politiker in der SRF-«Arena» ist die Diskussion ein Polit-Theater von vielen. Für Syrer Husam Kelzi wird über seine Zukunft entschieden. Eine quälende Sendung.

Verfolgung, Unterdrückung, Überwachung, Folter, Mord. So sah das Leben für Syrerinnen und Syrer unter Diktator Baschar al-Assad aus. 24 Jahre lang. Rechnet man hinzu, dass davor sein Vater Hafiz al-Assad über Syrien herrschte, ergibt sich eine Schreckensherrschaft von 57 Jahren.

Zur Story