Im Parlament hatte der Vaterschaftsurlaub bisher keine Chance. Nun soll es das Volk richten. Seit gestern werden Unterschriften gesammelt für einen vierwöchigen Vaterschaftsurlaub. Hinter der Initiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub – zum Nutzen der ganzen Familie» stehen der Gewerkschafts-Dachverband Travailsuisse, die Dachverbände Männer.ch und Alliance F sowie Pro Familia. Arno Kerst, Präsident der Gewerkschaft Syna, erläutert im nachfolgenden Interview die Gründe, die für einen Vaterschaftsurlaub sprechen.
Herr Kerst, Schweizer wollen weder einen Mindestlohn noch sechs Wochen Ferien. Gestern haben Sie eine Initiative zum Vaterschaftsurlaub lanciert. Warum sollte das Volk diesem zustimmen?
Arno Kerst: Mehrere Umfragen haben ergeben, dass über 80 Prozent der Bevölkerung einen Vaterschaftsurlaub befürworten. Das Bedürfnis ist vorhanden, vor allem bei jungen Paaren, die Eltern werden.
Das spiegelt sich im Parlament wider: Viele junge Väter engagieren sich dafür, ältere haben kein Gehör dafür. Das Bedürfnis ist begrenzt, es profitieren nur sehr wenige.
Mit dieser Logik begibt man sich auf einen gefährlichen Pfad. Junge Mütter gibt es verhältnismässig auch nur wenige, dasselbe gilt für Arbeitslose oder Menschen mit Behinderung. Würde die Argumentation weitergeführt, könnten sämtliche Leistungen für Gruppen gestrichen werden. Zudem profitieren nicht nur Väter, Mütter und deren Kinder, sondern die ganze Gesellschaft.
Wie?
Väter können sich in der Familie engagieren, haben gleichzeitig den Kopf frei, wenn sie wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren. Sie sind ausgeglichener und motivierter. Das kommt auch dem Arbeitgeber zugute.
Ist das heute nicht möglich?
Väter sollen die Chance haben, in den ersten Tagen ihres Kindes präsent zu sein und eine Bindung aufzubauen. Das Paar soll erfahren, was es bedeutet, die Aufgaben zu Hause aufzuteilen. Wenn wir wirklich wollen, dass auch Mütter wieder 100 Prozent arbeiten können, müssten auch Männer Gefallen an der Familienarbeit finden – und womöglich selbst Teilzeit arbeiten.
Besiegelt der Vaterschaftsurlaub das Ende des klassischen Familienmodells?
Nein. Wir wollen kein Familienmodell bevorzugen. Wir wollen gleich lange Spiesse schaffen. Fakt ist, dass die heutige Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht alle Modelle zulässt. Männer verdienen mehr und können seltener Teilzeit arbeiten. Der Vaterschaftsurlaub würde eben nicht nur nach der Geburt ansetzen. Väter, die für sich entscheiden, drei freie Tage nach der Geburt reichen mir, können die restlichen Tage aufsparen und über vier Monate einen Tag pro Woche frei machen. Der Vorteil: So lernen ganze Branchen, mit Teilzeitarbeit umzugehen.
Wieso sollen sich Väter nicht wie bisher selber organisieren?
Das wünscht sich die Wirtschaft, dass jede Familie sich Geld oder Ferien zusammenspart, um nach der Geburt bezahlten oder unbezahlten Urlaub zu nehmen. Das kann sich der Banker erlauben, für den normalen Arbeiter reicht das Budget nicht. Wer sich einen Vaterschaftsurlaub leistet, muss ein gewisses Einkommen haben. Die grosse Mehrheit bleibt aussen vor. Insofern ist die Forderung grenzwertig.
Sie wollen den Vaterschaftsurlaub über die Erwerbsersatzordnung (EO) finanzieren. Das bedeutet zusätzliche Lohnprozente. Aktuell will die Politik Löhne stärker belasten, um die AHV zu finanzieren. Ihr Anliegen hat keine Priorität.
Der Altersvorsorge müssen wir grosse Aufmerksamkeit schenken, wir müssen überlegen, wie wir die Finanzierung in Zukunft sichern wollen, ob über Lohnprozente oder die Mehrwertsteuer. Gerade beim Vaterschaftsurlaub kann die Finanzierung allerdings kein Argument sein. Der Bundesrat hat ausgerechnet, dass vier Wochen für jeden Vater 380 Millionen Franken kosten würde. Das ist weniger als ein Hundertstel der AHV, für die wir 42 Milliarden pro Jahr ausgeben.
Der Bundesrat hat jüngst die EO-Lohnprozente um 0,05 auf 0,45 gesenkt. Sie wollen sie nun wieder erhöhen?
Wenn man den Beitrag einer Sozialversicherung senken kann, bedeutet das, es geht ihr gut. Wir teilen diese Einschätzung aufgrund der rückläufigen Militärtage und den Erfahrungen, die wir mit der Mutterschaftsversicherung gemacht haben. Die EO schreibt schwarze Zahlen. Die Frage ist eine andere: Wenn die Gesellschaft anerkennt, dass der Vaterschaftsurlaub wichtig ist, dann muss sie auch den kleinen Schritt machen und die EO-Lohnprozente erhöhen. Wahrscheinlich würde der frühere Stand bei 0,5 Prozent für eine langfristige Finanzierung sogar ausreichen.
Auf Kosten der Altersrenten?
Nein. Aber wir müssen ein überzeugtes Zeichen setzen und erklären, dass Geld nicht nur den älteren Mitbürgern zur Verfügung steht, sondern auch unseren Familien. Zudem hilft es der Finanzierung künftiger Renten, wenn es viele Kinder gibt. Also müssen die Arbeitsbedingungen attraktiver werden, damit Frauen und Männer arbeiten und gleichzeitig Familie haben können.
Trotzdem belasten 380 Millionen Franken die Schweizer Löhne zusätzlich – Löhne, die heute schon kaum mehr konkurrenzfähig sind.
Der Vaterschaftsurlaub wird solidarisch, also je hälftig vom Arbeitnehmer und Arbeitgeber finanziert. Das wären je 0,06 Lohnprozent, insgesamt etwas mehr als 0,1 Lohnprozent.
Die Wirtschaft wird sich dagegen wehren.
Ja. Nur schafft es die gleiche Wirtschaft, dass die Lohnsumme jährlich um 1,1 Prozent steigt. Da sind doch 0,1 Lohnprozente zu verkraften. Das Geld ist vorhanden, es ist eine Frage des Willens.