Diese Woche liessen Meldungen und Bilder vom Bodensee aufhorchen, weil der Wasserpegel dort so tief liegt. Eine kleine Insel verkam beispielsweise zur Halbinsel. Und wenn der Bodensee – neben dem Walensee der einzige Schweizer See, der nicht reguliert werden kann – wenig Wasser hat, dann hat das auch Auswirkungen auf den Rheinfall, der sich bei Neuhausen wenig später über die Felsen stürzt.
Nicht ohne Grund ist der Rheinfall einer der eindrücklichsten Wasserfälle der Schweiz und Europas. 365 m3/s beträgt die Abflussmenge im Schnitt. Seit Tagen allerdings führt der Rheinfall extrem wenig Wasser. Diese Woche fiel die Abflussmenge unter 180 m3/s (Stand am Freitagmorgen: 176 m3/s). Wie das aussieht, zeigt unser Video hier:
Regelmässige Rheinfallbesucher wissen: Nein, das ist nicht sehr viel. Michèle Oberhänsli, Hydrologin Bafu, sagt auf Anfrage auch: «Diese Werte sind für diese Jahreszeit unterdurchschnittlich und auf die anhaltende Trockenheit sowie fehlende Niederschläge in den Vormonaten zurückzuführen.»
Auch der Blick von unterhalb des Wasserfalles zeigt: Da war schon mal deutlich mehr los. Rechts auf der Zürcher Seite schimmern die Felsen durch, in der Mitte fliesst nur noch wenig Wasser und ganz links wäre normalerweise auch noch ein Teil des Wasserfalls zu sehen:
Es ist allerdings nicht so, dass solche Phasen mit wenig Wasser in der über 100-jährigen Geschichte der Messungen am Rheinfall beispielslos wären. Sie treten in den letzten Jahren allerdings häufiger auf als früher. Hier ein Bild vom Februar 2006 mit noch weniger Wasser als aktuell:
Zur Erinnerung: So viel Wasser rauschte im letzten Juni und zwei Monate später im August 2024 den grössten Wasserfall Europa hinunter.
Noch beeindruckender war die Wassermenge zwei Monate früher im Juni 2024, als der Rheinfall mit über 900'000 Litern pro Sekunde so viel Wasser führte wie nur sehr selten. An einzelnen Tagen kratzte der Abfluss gar an der Grenze von 1000 m3/s :
Aber schauen wir uns die Wassermenge im März am Rheinfall noch etwas genauer an. Seit Messbeginn 1904 fliesst im dritten Monat des Jahres in der Tendenz immer mehr Wasser über den Wasserfall.
Oberhänsli erklärt die steigenden Abflusswerte im März: «Aufgrund milderer Winter, früher einsetzender Schneeschmelze und häufiger auftretender Niederschläge im Winterhalbjahr verlagert sich der Abfluss zunehmend, beispielsweise eben auch in die März-Monate.»
Passend dazu äusserte sich kürzlich auch der Glaziologe Matthias Huss im Interview mit watson, als er in Bezug auf die Schweizer Gletscher sagte: «Die Schmelz-Auswirkungen sind aktuell ‹maskiert›.»
Allerdings springt der März 2025 nun in die andere Richtung deutlich aus der Reihe. Die durchschnittlichen 205 m3/s sind der tiefste Wert seit März 1996: «Die Abflussmenge liegt klar unter dem mehrjährigen Trend», sagt Oberhänsli und erläutert: «Grund dafür sind die ausgeprägten Trockenperioden in den vorangegangenen Wochen – es gab wenig Schnee und kaum nennenswerte Niederschläge im entsprechenden Einzugsgebiet.» In den letzten 60 Jahren sticht auch das Jahr 1972 heraus. Damals lag im März der durchschnittliche Durchfluss bei 128 m3/s.
Solche Ereignisse verdeutlichen, dass sich nicht nur der saisonale Verlauf der Abflüsse verändert, sondern auch die Häufigkeit extremer Situationen zunimmt – sowohl im Bereich hoher als auch sehr niedriger Abflüsse.
Dass der März nicht nur im Schnitt, sondern auch an den einzelnen Tagen unter den Wassermengen der letzten Jahre lag, zeigt auch die Grafik mit den täglichen Abflussmengen.
Letztmals an einem einzelnen Märztag floss am 1. März 2006 mit 168 m3/s weniger Wasser am Schloss Laufen vorbei.
Die kleinsten gemessenen Abfluss-Tagesmittel am Rheinfall seit Beginn der Aufzeichnungen 1904 wurden im März 1909 registriert. 104 m3/s pro Sekunde «tropften» zwischen dem 7. und 21. März 1904 an total neun Tagen über den Rheinfall.
Weitere tiefe Abflusstagesmittel gab es an vereinzelten Tagen im:
Enorm hohe Abfluss-Tagesmittel wurden im Mai und Juni 1999 gemessen. Am 23. Mai 1999 donnerten sage und schreibe 1'167 m3/s Wasser über den Rheinfall.
Weitere hohe Abflusstagesmittel gab es an vereinzelten Tagen im:
Vergleichen wir die Abflussmengen aller einzelnen Monate seit Januar 1904, zeigt sich auch hier: Der März 2025 gehört zu den wasserärmsten Monaten überhaupt. Grosse Schwankungen innerhalb weniger Wochen und Monate sind allerdings völlig normal. Wie schnell sich die Wassermassen ändern können, zeigt ein Blick auf den Juni 2024, als der Rheinfall sehr viel Wasser führte (Videos unten).
Blicken wir noch auf die historischen Abflussmengen aufs ganze Jahr hochgerechnet. Hier liegt insgesamt eine leicht Abnahme vor. Das Jahr 2024 war dabei ein Ausreisser nach oben. Wie sich das Jahr 2025 entwickelt, lässt sich noch nicht vorhersagen.
Beim Abfluss aus dem Bodensee fliesst aktuell also sehr wenig Wasser. Aber wie sieht's am oberen Ende des Sees aus? Logischerweise kommt auch hier im März-Vergleich seit Messbeginn 1919 wenig Wasser aus den Bergen.
Eine tiefere Wassermenge als im März 2025 wurde bei der Rietbrücke bei Diepoldsau im St.Galler Rheintall – rund 15 Kilometer vor dem Zufluss in den Bodensee – davor im März 1963 verzeichnet:
Neben dem Bodensee ist der Walensee der einzige See der Schweiz, bei welchem der Wasserstand nicht reguliert werden kann. Im März 2025 lag der durchschnittliche Pegel hier bei 418,26 Metern über Meer. Die Wasserstände schwankten hier seit Aufzeichnungsbeginn 1910 zwischen knapp 418 Metern und etwas über 421 Metern.
Damit reiht sich der März 2025 gerade noch in die vordersten 10 Prozent der Wenig-Wasser-Monate. Das tiefste Wasserstand-Monatsmittel wurde hier im Februar 1949 mit 417,94 Metern erreicht. Seit der Jahrtausendwende unterboten bisher 24 Monate im Monatsmittel den aktuellen Pegel-Stand vom März 2025.
Soweit zu den Daten. Eine baldige Entspannung ist aktuell nicht in Sicht. Niederschläge sind auch in den kommenden Tagen nicht angekündigt, die Schneemengen in den Ostalpen sind in diesem Jahr zudem unterdurchschnittlich. Die Wassermenge am Rheinfall wird also weiter abnehmen in den nächsten Tagen.
Mit einem mittleren Abfluss von 205 m³/s liegt der März 2025 deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt. So wenig Wasser werden wir auch in Zukunft erleben. «Phasen von Niedrigwasser, wie aktuell im Frühling 2025, sind in der langjährigen Messreihe nicht beispiellos. Allerdings treten sie in den letzten Jahren wie bereits erwähnt häufiger auf, was auf eine Zunahme von Trockenperioden hindeutet», sagt Oberhänsli.
Spezifisch auf den März erklärt die Expertin: «In der über hundertjährigen Messreihe am Rheinfall gab es zwar bereits tiefere März-Monate, doch solche Werte sind eher selten. Der tiefe Abfluss spiegelt die niederschlagsarmen Wintermonate wider und verdeutlicht, wie rasch sich Trockenphasen auf den Wasserhaushalt auswirken können.»
Das BAFU publizierte die zukünftigen hydrologischen Szenarien für die Schweiz und wie sich die Wasserressourcen für unser Land verändern könnten. Die Prognosen sind in diesem Video zusammengefasst:
Vielleicht bin ich ja blind, aber das sehe ich in den Grafiken nicht. (Und nein, ich bin kein Klimaleugner. Aber ein Befürworter von belastbaren Daten und korrekt angewandter Statistik.)
Und ja.
Rechtspopulisten schaden.
Immer.
Und uberall.
Und das nachhaltig.