Bereits werden die ersten Äpfel und Birnen geerntet. Doch der Höhepunkt der Erntesaison folgt noch und dauert bis Ende Oktober. Allerdings wird die Ernte dieses Jahr weniger reichhaltig sein als im Vorjahr. Der Schweizer Obstverband (SOV) rechnet mit einer Apfelernte von 101’000 Tonnen, das sind zwei Prozent weniger als 2024. Bei den Birnen werden 13’500 Tonnen erwartet, ein Minus von 16 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
«Bei den Birnen hat letztes Jahr alles zusammengepasst», sagt Chantal Meyer vom Obstverband. Dass die Bäume dann im nächsten etwas weniger tragen, sei normal. Zudem war das Wetter zur Zeit der Blüte und Bestäubung im Frühling nicht immer ganz optimal, lokal gab es noch späten Frost.
Die Zahlen sind interessant, schliesslich sind die Früchte noch gar nicht gepflückt. Möglich macht die Ernteschätzung die App PreApPear, die mithilfe von künstlicher Intelligenz das Ertragspotenzial berechnet. Entwickelt wurde die App von der Zürcher Firma Prognosix in Zusammenarbeit mit dem Obstverband und dem Verband Swisscofel.
Für die App werden verschiedene Datenquellen genutzt. «Als Basis werden Daten von mehreren hundert Wetterstationen von der Blüte bis zum Schätzzeitpunkt zusammengezogen», sagt Peter Kauf, CEO von Prognosix. Dazu gehören zum Beispiel stündliche Temperaturen, Sonnenscheindauer und Regen. Aus diesen Millionen von Datenpunkten werden Einflussfaktoren für die unterschiedlichen Entwicklungsstadien der Kulturen abgeleitet.
Ein solcher Einflussfaktor ist zum Beispiel die Anzahl Stunden während der Blüte, die für Insektenflug – und damit den Befruchtungserfolg – geeignet sind. Die Entwicklungsstadien der Kulturen werden dafür an mehreren Dutzend Standorten in der Schweiz von Experten in eine Datenbank eingetragen. «Bis hierhin hilft noch keine KI – alles menschliches Wissen und menschliche Arbeit», sagt Kauf.
Doch nun kommt die künstliche Intelligenz ins Spiel. Denn auf dieser grossen Datenbasis folgt eine erste KI-basierte Prognose. «Sogenannte Machine-Learning-Algorithmen vergleichen die Einflussfaktoren der letzten 10 bis 20 Jahre – je nach Sorte – mit den jeweiligen Erträgen. Sie lernen aus diesen Daten, welche Sorte wie auf diese Faktoren reagieren. Mit den Einflussfaktoren des Jahres 2025 kann die KI so eine Prognose für die Ernte in diesem Jahr bestimmen.
Diese Zuverlässigkeit reicht aber noch nicht, wie KI-Spezialist Kauf erklärt. Um die Ernteschätzung zuverlässiger zu machen, folgt eine zweite Stufe. Regionale Schätzexperten des Obstverbands, sowie Obstproduzenten machen mit der PreApPear App Fotos ihrer Bäume. Das genau nach einem strikten Schema, um Verfälschungen der Daten auszuschliessen. So entstanden 2025 knapp 20’000 Fotos. Diese Fotos werden dann in eine Cloud übermittelt, wo KI-Algorithmen Früchte auf den Bildern zählen und die nun die exaktere Behangdichte pro Baum berechnen.
Da viele Äpfel zur Zeit der Prognose noch ähnlich grün sind wie die Blätter, ist das Zählen auch für die KI schwierig. Darum werden die KI-Auszählungen der Fotos jeweils mit menschlicher Intelligenz abgeglichen. Aber auch die PreApPar sei trotz künstlicher Intelligenz keine Kristallkugel, sagt Kauf. Zum Schätzzeitpunkt könnten noch nicht absehbare Entwicklungen, wie zum Beispiel zukünftige Wetterlagen oder Unwetterschäden durch Hagel, die effektiven Erntemengen beeinflussen. «Im Vergleich zur früheren, manuellen Zählmethode, arbeitet die KI beim Zählen der Früchte aber deutlich genauer und ohne Ermüdung», sagt Meyer vom Obstverband.
Seit elf Jahren gibt es Prognosix als Spin-Off der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). «Aus über 100 KI-Projekten in verschiedensten Branchen haben wir bisher drei Softwarelösungen gebaut. Eine davon ist PreApPear», sagt Kauf. Die anderen beiden Prognose-Programme wurden für die Lebensmittelproduktion und die Medizin entwickelt.
«Das Spitalwesen ist besonders spannend, da es dort noch sehr viel zu digitalisieren gibt», sagt Kauf. «Unsere KI hilft im Spital mit Prognosen zu bestimmen, welche Medikamente oder Medizinprodukte wann benötigt werden.» Dafür berechnet sie optimale Bestände, um Lieferschwankungen und damit Produktknappheit zu managen. «Entwickelt haben wir diese KI während der Coronapandemie, gemeinsam mit zwei grossen Schweizer Universitätsspitälern», sagt Kauf. Ziel sei, das Spitalwesen kosteneffizienter zu machen und durch Automatisierung die Attraktivität der Arbeitsplätze zum Beispiel in der Pflege zu erhöhen. «Wer macht schon gerne Arbeit, die auch eine Maschine erledigen kann?», fragt Peter Kauf. (aargauerzeitung.ch)