Es sind lebende Legenden, die sich an diesem Spätsommertag auf der verwaisten Liegewiese des Berner Marzilibads tummeln. Erste Blätter fallen von den Bäumen, während die smaragdgrüne Aare im Schneckentempo Richtung Bundeshaus fliesst. Ein Hauch Melancholie hat sich bereits im berühmtesten Flussbad der Schweiz eingeschlichen. Wer noch hier ist, geniesst jeden Sonnenstrahl.
Urs Pfister hat einen Schnauz wie Asterix und wird von seinen Kumpels trotzdem Hulk Hogan genannt. Die Schultern des 64-jährigen sind weit schmächtiger als jene des berühmten US-Wrestlers. Das erstaunt wenig. Denn Pfisters Element ist nicht der Fightring, sondern die Aare. Seit 40 Jahren liegt «Marzili-Ürsu» auf den Holzpritschen der altehrwürdigen Badi. Immer mit dabei ist sein gelber Aare-Sack.
«Ich bin ein fanatischer Flussschwimmer», sagt er und zündet sich eine Zigarette an. An manchen Tagen schwimmt er schon um sieben Uhr morgens vom Eichholz in Wabern «ds Loch ab» bis ins Marzili. Das Highlight erlebt Marzili-Ürsu einmal im Monat: Bei Vollmond stürzt er sich mit anderen Aare-Fans sogar bei Dunkelheit in den Fluss. «Meine Schmerzgrenze liegt bei 12 Grad Wassertemperatur.»
Bald sind die letzten Tage des schier endlosen Sommers 2018 gezählt. Was macht Ürsu, wenn er nicht mehr ins Marzili gehen kann? «In erster Linie freue ich mich auf den Sommer. Ich bin gar kein Wintertyp», so der gelernte Feinmechaniker, der in seiner Freizeit an Biker-Treffen fährt.
Der Teint des Kult-Sünnelers lässt einem – trotz der Runzeln – vor Neid erblassen. «Es ist nicht so, dass ich stundenlang in der Sonne liege. Ich nehme einfach verdammt schnell Farbe an.», sagt der Pensionär.
Warum aber liebt er das Marzili, warum ist er fast jeden Tag hier? «Wegen den tollen Freundschaften», erzählt er und winkt seiner Partnerin zu, die gerade aus der Aare steigt.
Urs hat seine Freundin Nelly, «die braunste Bernerin», natürlich im Marzili kennengelernt. Seit Jahrzehnten liegt sie im Sommer Tag für Tag an der Sonne. «Sonnecrème benutze ich nie. Hautkrebs bekommen nur Leute mit hellem Teint», sagt sie mit ihrer zigarettengeschwängerten Stimme. Im Migros werde sie wegen ihrer Bräune immer wieder angesprochen.
Die Sonne ist Nellys Lebenselixier. «Langsam macht sich bei mir schon Wehmut breit. Dieser Sommer war einfach zu geil. Auch wenn mir die Aare mit heuer zu warm ist», sagt die aufgeweckte Rentnerin, die Sonnengöttin des Marzilibads.
So ist es wenig erstaunlich, dass Nelly auch im Winter dann und wann in der Badi unterhalb des Bundeshauses auftaucht. «Dann laufe ich die Aare ab. Das Marzili ist meine zweite Heimat».
Tout Berne kennt Jean-Paul Lob aka J.P. Love. Der Moderator, Partysänger und Entertainer hat in der Bundesstadt nicht immer skandalfreien Schabernack getrieben. Lässig breitet er mitten auf der Marzili-Liegewiese sein oranges Badetuch aus und legt sich mit seinen Blüemli-Badhösli nieder. «Jetzt habe ich eben den letzten Tropfen Sonnenöl verbraucht», erklärt J.P., als er sich seinen Bauch einreibt. «Das Six-Pack habe ich im Kühlschrank gelassen», witzelt der Lebemann, der mit seinen lila-blauen Haar-Extensions schon aus der Ferne auffällt.
Mit seiner Männer-Clique diskutiert er oftmals stundenlang über Gott und die Welt oder denkt über seine künftigen Musik und TV-Projekte nach. «Meine Kollegen hier sehe ich nur im Sommer», sagt der Paradiesvogel, der paradoxerweise fast nie in der Aare schwimmt. «Der geht unter wie ein Stein», wirft Kumpel Benno ein.
Nein, Depressionen kriege er keine, wenn der Sommer vorbei ist. Aber was macht er, wenn die Marzli-Saison passé ist? «Ich sünnele auch im Winter, ich liebe die Sonne in den Bergen», sagt J.P., der sichtlich stolz auf seine «sexy Bräune» ist.
Jetzt hat Peter Nyffeler, der Kult-Sünneler der Nation, noch mehr Zeit, um an der Sonne zu liegen. Seit Anfang Jahr ist er in Rente. «Der Sommer war so gut, dass ich nicht verreisen musste. Ich bin tagelang an der Aare gelegen», sagt Nyffeler, der früher im «Blick» mit allen möglichen Sünneler-Storys abgefeiert wurde. Das Boulevardblatt hat Nyffeler ausrangiert. «Ich bin schon etwas enttäuscht», sagt er zu watson.
Auf bald pic.twitter.com/dO3dQ7wHft
— Peter Nyffeler (@nyffeler1) November 20, 2017
Aber was macht Nyffeler, wenn der Sommer in der Schweiz vorbei ist? Die Antwort erstaunt wenig. Im November fliegt er für drei Wochen nach Hurghada. Und den Winter überbrückt er an der thailändischen Sonne.