«Alles, was gesagt wird, muss zuerst geprüft werden, ob sich nicht ein geächtetes Wort im Satz befindet. Nun wollen wir die verlorenen Pseudonyme an unserer Fasnacht nochmals aufleben lassen», steht in der aktuellen Fasnachtsbroschüre des Aargauer Vereins Häfe-Zunft Brönznau.
Welche Begriffe das sind, die man an der Fasnacht zelebrieren möchte, wird auch geschrieben: «‹Schlitzaugen, Zigeuner, Indianer und N[-Wort]». Es seien Bezeichnungen einer Welt, die es nicht mehr gebe. «Und vielleicht sind ja auch Grenzen überschritten worden», schreibt der Fasnachtsverein weiter.
Trotz dieser vermeintlichen Einsicht wollen sie die «geächteten» Begriffe an den Fasnachtsumzügen und Maskenbällen zum Thema machen. Mit der Wirkung von solchen Ausdrücken auf Minderheiten beschäftigt sich Stephanie Graetz, Geschäftsleiterin der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus. Im Gespräch mit watson erklärt sie, warum gewisse Begriffe eben tatsächlich «geprüft werden» sollten, bevor man sie öffentlich feiert. Eine kurze Nachhilfestunde für die Fasnächtler, weshalb die Begriffe problematisch sind.
Der Aargauer Fasnachtsverein möchte das «N-Wort» wieder aufleben lassen. In Nostalgie verfallen sollen die Leserinnen und Leser der Broschüre durch Erinnerungen an eine verstorbene Schweizer Märchenerzählerin – mit dem Coverbild einer Audiokassette aus dem Jahr 1960: «Trudi Gerster verzellt vom dumme N[-Wort]».
Kein Verständnis für die Verwendung des Begriffs hat Stephanie Graetz. Sie sagt: «An der Fasnacht gilt Narrenfreiheit – aber die hört auf, sobald es ein rassistischer oder diskriminierender Ausdruck ist.» Das N-Wort an der Fasnacht zu feiern, gehe definitiv zu weit. Generell sollte man diese Bezeichnung nicht mehr verwenden.
Gleichzeitig sei für sie klar, dass man «historische und kulturelle Erzeugnisse», die rassistisch sind, nicht einfach ausradieren könne. «Es ist wichtig, auf die Sensibilität hinzuweisen, dass man das aus heutiger Perspektive nicht mehr sagt. Wir können das N-Wort umschreiben, ohne es auszusprechen», sagt Graetz.
Auch das Wörterbuch Duden rät von der Verwendung des ausgeschriebenen N-Wortes ab: «Die Begriffe sind stark diskriminierend und sollten vermieden werden. Alternative Bezeichnungen, die auch als Eigenbezeichnungen fungieren, sind Schwarzer bzw. Schwarze, People of Color und Person of Color sowie Schwarzer Mensch (mit grossgeschriebenem Adjektiv).»
Mit der «Kindheitserinnerung an Winnetou und Old Shatterhand» möchte der Aargauer Fasnachtsverein «Indianer» zum Thema machen.
Für Stephanie Graetz ist klar, dass mit dem Begriff Stereotypen bedient werden. «Alle indigenen Völker Nordamerikas werden dadurch reduziert auf ein paar Vorurteile, die klar nicht der Realität entsprechen», sagt sie. Ein Problem sei es vor allem dann, wenn man eine Minderheit schlecht darstellen möchte. Die Rassismus-Expertin ist aber nicht gegen Kostüme, die an Winnetou erinnern: «Die Frage stellt sich weniger nach der Verkleidung, sondern vielmehr nach der Verwendung des Begriffs Indianer. Man könnte auch einfach indigene Völker sagen», erklärt Graetz.
Auch im Duden steht, dass die Bezeichnung «Indianer» eine Fremdbezeichnung ist und als diskriminierend gilt. «Eine übergreifende Selbstbezeichnung für die vielfältigen Bevölkerungsgruppen existiert nicht», steht dort. Alternativen seien Selbstbezeichnungen wie beispielsweise «First Nations People of America» oder «Pueblos Originarios».
Unproblematisch seien Wörter für konkrete Bevölkerungsgruppen wie etwa Cherokee, Navajo, Quechua, Mapuche oder Formulierungen wie indigene Bevölkerung Nord- und Südamerikas.
Auch von der Verwendung des Wortes «Zigeuner» rät die Rassismus-Expertin Graetz ab. «Die Bezeichnung ist zwar weitverbreitet, aber sie wird von den betroffenen Volksgruppen klar als negativ empfunden. Wenn man heutzutage sensibel sein und Rücksicht zeigen möchte, dann verwendet man diesen Begriff nicht», sagt sie.
Als diskriminierend stuft auch das Wörterbuch Duden die Bezeichnung «Zigeuner» ein. «Die gesamte Volksgruppe wird neutral als Sinti und Roma bezeichnet. Für Zusammensetzungen mit Zigeuner als Bestimmungswort etablieren sich teilweise Alternativen: An die Stelle von Zigeunerschnitzel tritt Paprikaschnitzel. Das veraltete Wort Zigeunersprache wird ersetzt durch Romani», heisst es im Duden.
Warnhinweise des Dudens gibt es auch zum vierten «verlorenen Pseudonym», wie es der Aargauer Fasnachtsverein nennt. «Schlitzauge» sei ein diskriminierendes Schimpfwort, schreibt das Wörterbuch.
«Es ist ein negativer Überbegriff für asiatische Menschen», sagt dazu Stephanie Graetz von der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus. Mit solchen Stereotypen werfe man alle Kulturen und Menschen aus dem asiatischen Raum in «denselben Topf», was auch einen rassistischen Hintergrund habe.
Stephanie Graetz versteht nicht, warum man absichtlich abwertende oder rassistische Kostüme an der Fasnacht tragen will. Sie möchte aber festhalten, dass jeder seine Kostümierung frei auswählen sollte: «Es geht nicht darum, den Fasnächtlern Vorschriften zu machen, sondern es geht um Selbstreflexion. Was möchte man mit seinem Kostüm aussagen? Was möchte man zeigen, wenn man solche diskriminierenden Bezeichnungen zelebriert?»
Sie sei froh, dass die meisten Menschen an der Fasnacht keine Minderheiten diskriminieren. Aber ein paar wenige gebe es halt, die sich dem entgegenstellen. «Das ist schade, da die Fasnachtskultur eine schöne Tradition ist und man ihr dadurch einen unnötig negativen Aspekt verleiht», sagt Graetz. Rassismus solle kein Teil der Tradition sein, auch wenn er Tradition habe.
Hier ist die Intuition aber offensichtlich eine andere. Wer absichtlich wieder rassistische Begriffe "aufleben" lassen will oder durch die Verkleidung jemanden abwerten will, ist offensichtlich ein Problem. Wer das nicht versteht bzw. es nötig hat, sogar zu sowas aufzurufen, muss schon ziemlich kleingeistig sein.