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Abgänge und Burn-outs bei der SRF-«Rundschau»

Rundschau SRF
«Rundschau»-Moderator Gion-Duri Vincenz und Franziska Ramser, die stellvertretende Redaktionsleiterin.bild: srf/Oscar Alessio

«Abgefrorene Finger sind bonusrelevant»: Abgänge und Burn-outs bei der «Rundschau»

Die Vorhaltungen in einem redaktionsinternen Dokument sind happig: Leiter Mario Poletti gebe den Reportern unabhängig von der Realität das Ergebnis von Recherchen und sogar die Aussagen von Interviewpartnern vor. Die SRF-Chefetage schaut weg.
22.06.2024, 08:4022.06.2024, 09:17
Francesco Benini / ch media
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Die Fluktuation ist auf der Redaktion der «Rundschau» sehr hoch. Sie beträgt 23,5 Prozent – in nur einem halben Jahr. Eine Reporterin ging Ende Januar zum «Blick», zwei Reporter bemühten sich um hausinterne Wechsel, nun bricht eine Reporterin zur NZZ auf. Vier der siebzehn Reporterinnen und Reporter – die sich dreizehn Vollzeitstellen teilen – haben die Redaktion in kurzer Zeit verlassen.

In den vergangenen zwei Jahren erlitten zwei Mitarbeiter des SRF-Magazins ein Burn-out. Ein dritter stand kurz vor einer Erschöpfungsdepression. Ein vierter erlitt bei Dreharbeiten im Winter schwere Erfrierungen an einer Hand und musste sich in Spitalpflege begeben.

Acht Angestellte fanden, dass sich auf der Redaktion etwas grundlegend ändern müsse. Sie tauschten sich online aus, trafen sich Mitte 2023 und verfassten ein Dokument: «Plattform zur Verbesserung des Klimas im Ponyhof.» Warum dieser Titel? Wenn sich ein Reporter bei Redaktionsleiter Mario Poletti über einen Missstand beschwere, sage der: «Die Rundschau ist kein Ponyhof.»

Im sechsseitigen redaktionsinternen Dokument liest man Folgendes:

  • «Allgemein gibt es sehr wenig Wertschätzung», schreiben die Reporter. Die Mitarbeitergespräche fielen bei fast allen Angestellten gleich aus. Das zeige, dass sich der Redaktionsleiter mit den Reportern individuell nicht auseinandersetzen wolle. Schlecht kam bei den Reportern an, wie Mario Poletti auf die Burn-outs unter den Redaktoren reagierte: Es seien alle selber dafür verantwortlich, dass sie nicht krank würden. Und nachdem ein Reporter beinahe drei Finger einer Hand verloren hatte, meinte Poletti: «Abgefrorene Finger sind bonusrelevant». Das war offenbar spasshaft gemeint - wurde aber als Weigerung interpretiert, die Probleme auf der Redaktion anzugehen. «Mich hat vor allem der Umgang mit den Krankheitsfällen sehr betroffen gemacht», schreibt ein «Rundschau»-Reporter.
  • Die Angestellten beschreiben die thematische Planung der Sendung als völlig unzureichend. Das führe zu ständigen «Feuerwehreinsätzen». Reporter werden von Redaktionsleiter Poletti auch dann kontaktiert, wenn sie ein freies Wochenende haben oder sogar in den Ferien sind: Sie sollen sofort einen «Rundschau»-Beitrag drehen. Ein Reporter schreibt, dass solche Aufträge des Chefs Arbeitstage von bis zu 15 Stunden bedeuteten. Die «Rundschau» wird am Mittwochabend ausgestrahlt. Von Donnerstag bis Sonntag liege man dann als Mitarbeiter «völlig gerädert im Bett.»
  • Die Reporter werfen dem Redaktionsleiter und den Produzenten der Sendung Thesenjournalismus vor. Poletti stelle eine These auf – und dann versuchten die Reporter, die Annahme «auf irgendeine erdenkliche Weise zu bestätigen, obwohl die Realität etwas anderes zeigt». Das sei «sehr bedenklich.» Es gebe «vorgefertigte Ideen und Vorstellungen von Protagonisten, Szenen und Schauplätzen». Die Redaktionsleitung oder der Produzent habe «sogar eine fixe Idee zu einer Aussage eines Protagonisten - ohne sich im Thema auszukennen oder mit möglichen Protagonisten gesprochen zu haben». Auch wenn man als Reporter ankündige, dass eine Szene oder eine Aussage nicht möglich sei, werde einem das Fehlen der Sequenz im Fernsehbeitrag als Versagen ausgelegt.

SRF-Journalisten beklagen sich darüber, dass sie von ihren Vorgesetzten zu Thesenjournalismus angehalten würden. Für das Schweizer Fernsehen ist das verheerend. Es stellt die Glaubwürdigkeit des öffentlich finanzierten Senders infrage.

Sowohl SRF als auch die SRG halten in ihren Grundsatzpapieren fest, dass Thesenjournalismus inakzeptabel sei. Das Schweizer Fernsehen schreibt in seinen publizistischen Leitlinien: SRF-Journalisten hielten sich an die «Prinzipien der Unvoreingenommenheit und der Wahrhaftigkeit». Arbeitshypothesen seien zulässig. «Aber am Ende bestimmen allein die Fakten, ob ein Konstrukt standhält oder nicht.»

Trotz Gesprächen mit den Chefs ist keines der Probleme gelöst

In der «Angebotscharta» der SRG heisst es: «Wir bemühen uns, alle Tatsachen zu ermitteln, die für das Verständnis eines Sachverhalts relevant sind. Wir pflegen keinen tendenziösen Thesenjournalismus, unser Journalismus ist unvoreingenommen.»

In der Kritik: Mario Poletti.
In der Kritik: Mario Poletti.bild: srf/oscar alessio

Die Journalisten der «Rundschau» sagen nun das Gegenteil: Es werden beim Schweizer Fernsehen Beiträge konfektioniert, deren Stossrichtung von Anfang an feststeht. Die Recherche dient einzig dazu, die vorgefasste These zu belegen. Wenn sich ein Reporter gegen diese Praxis wehrt, muss er damit rechnen, vom Redaktionsleiter abgekanzelt zu werden.

Ende Mai zeigte die «Rundschau» einen Beitrag über eine Frau, die in Schaffhausen in der Wohnung eines Anwalts verprügelt worden war. An der Brutalität der Misshandlung gibt es keine Zweifel – sie ist mit Bildaufnahmen belegt. Das Regionalblatt «Schaffhauser AZ» recherchierte denn Fall dann minutiös nach.

Der Text der Wochenzeitung lässt den Schluss zu, dass die «Rundschau» in ihrem Beitrag relevante Fakten unterschlug, falsche Fährten legte und Vorwürfe präsentierte, die keiner Prüfung standhalten. Das Fernsehmagazin unterminiert damit seine Vorhaltungen an die Adresse von Polizei und Staatsanwaltschaft, wonach diese in ihren Ermittlungen zu wenig professionell ans Werk gegangen seien.

Gegen die Berichterstattung der «Rundschau» sind Beschwerden bei der Ombudsstelle der SRG Deutschschweiz eingegangen. Unabhängig von deren Beurteilung schwelt die Krise auf der Redaktion weiter.

Tristan Brenn SRF
Schaut zu: SRF-Chefredaktor Tristan Brenn.Bild: Oscar Alessio/SRF

Reporter berichten, dass Redaktionsleiter Mario Poletti und seine Stellvertreterin Franziska Ramser über die Kritik und über Änderungsvorschläge ins Bild gesetzt worden seien. Während einigen Wochen habe man eine Verbesserung festgestellt – nun sei die Redaktion im alten Fahrwasser. Keines der Probleme sei gelöst.

Junge Journalisten kommen – und gehen bald

Die «Rundschau»-Mitarbeiter fragen sich, wieso Chefredaktor Tristan Brenn und SRF-Direktorin Nathalie Wappler untätig bleiben. Wenn sich nichts ändere, würden weiterhin talentierte junge Journalistinnen und Journalisten zum Magazin stossen – und nach kurzer Zeit ernüchtert die Kündigung einreichen. Einige Reporter vermuten, dass Brenn und Wappler das Problem aussitzen wollen. Mario Poletti erreicht in zwei Jahren das Pensionsalter.

Das Schweizer Fernsehen schreibt: Den Vorwurf, die «Rundschau» betreibe beziehungsweise propagiere Thesenjournalismus, weise Redaktionsleiter Mario Poletti zurück.

Chefredaktor Tristan Brenn stehe – genau wie mit anderen Redaktionen – auch mit der «Rundschau» in regelmässigem Austausch. «Die Vorwürfe wurden intern aufgearbeitet, und es wurden keine Verstösse gegen interne Richtlinien festgestellt. Darüber hinaus nimmt SRF aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht weiter zu diesen internen Vorgängen Stellung.»

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72 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Sergej Fährlich
22.06.2024 09:05registriert März 2017
Also ich hätte viele Fragen. Stellen muss man eigentlich vor allem eine: Warum hat man Poletti noch nicht in hohem Bogen rausgeschmissen? Und alle, die ihm den Rücken stärken gleich hinterher...

Es ist immer wieder erstaunlich, wie sich Unternehmen selber massakrieren, indem sie unfähige Führungskräfte machen lassen. Vermutlich nicht selten, weil sie vom Aufwand zurückschrecken, diese zu ersetzen. Ein Schuss ins eigene Knie. Immer.
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Markus Käppeli (2)
22.06.2024 09:11registriert März 2020
Sie sollen doch mal eine Sendung über sich selbst drehen :-/
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Reiszeit
22.06.2024 09:27registriert November 2021
Man kriegt den Eindruck, dass es beim TV SRF in den höheren Kadern geschützte Arbeitsplätze gibt. Das ist nicht gerade hilfreich im Kampf gegen die Halbierungsinitiative.
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