
Gabriela Hou und Vitalis Ekene Unadike waren glücklich verliebt und wollten heiraten.bild: zvg
Kurz nachdem Vitalis Ekene Unadike nach Nigeria zurückgeschafft wurde, erkrankt er an Gelbfieber und stirbt. Hätten ihn die Schweizer Behörden gegen das aggressive Virus impfen müssen?

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Diese Liebesgeschichte begann so schön, wer hätte ahnen
können, dass ihr Ende derart grausam sein wird?
Genau zwei Jahre ist es her, als Gabriela Hou in einem Park
in Aarau den Nigerianer Vitalis Ekene Unadike kennenlernte. Ausserordentlich schön
sei er gewesen, sagt sie. Gross, mit lieben Augen und einem charmanten Lächeln.
Zuerst habe sie ihn nicht gewollt, doch er habe ihr den Hof gemacht. Und
irgendwann, ja, irgendwann habe sie sich verliebt.
Das Paar zog zusammen, lebte fortan in einer gemeinsamen
Wohnung in Aarau. Bald verlobten sie sich. Heiratspläne wurden geschmiedet. Doch
das Glück war nicht von langer Dauer. Im November 2016 wurde das
Asylgesuch von Unadike abgelehnt, Anfang Januar klopfte die Polizei bei ihm an
die Haustür: Er kam nach Zürich in Ausschaffungshaft. Vier Monate später, am 7.
April, wurde Unadike in ein Flugzeug gesetzt, das ihn zurück in seine Heimat
brachte.
Und erst hier beginnt der tragische Teil dieser Geschichte.
«Natürlich hatten wir nach seiner Ausschaffung weiterhin Kontakt»,
sagt Hou. Regelmässig hat das Paar telefoniert, geskypt, sich Nachrichten
geschrieben. Dass er gehen musste, habe sie akzeptiert. «Die gemeinsamen
Zukunftspläne blieben auch nach seiner Ausreise», sagt sie.
Sieben Monate war Unadike zurück in Nigeria, als er plötzlich
über Unwohlsein geklagt habe. «Er nahm an, er habe die Grippe», sagt Hou. Nach
ein paar Tagen verschlechterte sich sein Gesundheitszustand. Er hatte starke
Kopfschmerzen, hatte Sehstörungen und zuletzt erbrach er Blut.
Am 3. November brachte ihn seine Schwester ins Spital. Diagnose:
Gelbfieber – eine virale Erkrankung, die durch infizierte Mücken übertragen
wird. Ein Arzt kann nur die Symptome der Krankheit behandeln. Ein Heilmittel
gegen Gelbfieber gibt es nicht. Der einzige Schutz vor Gelbfieber bietet die
Vorbeugung von Mückenstichen und: eine Impfung.
Unadike war nicht geimpft. Bei seiner Einlieferung ins
Spital waren die Organschäden bereits so fortgeschritten, dass ihm nicht mehr
geholfen werden konnte. Er verstarb am 19. November.

Starb am 19. November am Gelbfieber-Virus: Vitalis Ekene Unadike.bild: zvg
Erzählt Hou diese Geschichte, ist dies der Moment, bei dem sie nicht mehr weitersprechen kann. Sie sackt in sich zusammen, ihr versagt
die Stimme, leise weint sie in sich hinein. Dann, nach einer Weile sammelt sie
sich: «Warum musste mein Verlobter einen solch sinnlosen Tod sterben? Warum
haben ihn die Schweizer Behörden nicht geimpft, so wie sich auch Touristen
impfen müssen, wenn sie nach Nigeria einreisen?»
Tatsächlich ist eine Gelbfieberimpfung für den Erhalt eines
nigerianischen Visums Pflicht. Reisen hingegen nigerianische Staatsangehörige in
ihre Heimat, müssen sie die Gelbfieber-Impfung nicht vorweisen. Deswegen liege
es auch nicht an den Schweizer Behörden, abzuklären, ob bei einer Person in
Ausschaffungshaft eine Impfung vorliegt oder nicht, heisst es auf Anfrage beim
Staatssekretariat für Migration (SEM).
Zwar kann eine Ausschaffung grundsätzlich ausgesetzt werden,
wenn im Heimatland die gesundheitliche Situation ein grosses Risiko darstellt.
Ein Beispiel dafür sind gestrichene Rückführungen nach Guinea während der
Ebola-Krise. Doch das Gelbfieber-Virus stellt laut SEM bei einer Ausschaffung
nach Nigeria keinen gesundheitlichen Risikofaktor dar. Mediensprecher Martin
Reichlin sagt: «Bei eigenen Staatsangehörigen gehen die nigerianischen Behörden
davon aus, dass diese bereits als Kinder gegen Gelbfieber geimpft wurden und dadurch
immun sind.»
«Warum haben ihn die Schweizer Behörden nicht geimpft, so wie sich auch Touristen impfen müssen, wenn sie nach Nigeria einreisen?»
Gabriela Hou
Ein Blick auf die Zahlen zeigt aber: Die wenigsten Kinder in
Nigeria werden gegen Gelbfieber geimpft. Eine Studie der Universität von Ibadan,
einer der ältesten Hochschulen im Land, gibt an, dass Nigeria 1994 weltweit die
höchste Zahl an Gelbfieber-Fällen zu beklagen hatte. Eine punktuelle
Untersuchung von Patienten im Jahr 2012 und 2013 zeigte, dass es um die
Impfrate im Land auch heute nicht gut aussieht. Von 801 befragten Personen gaben 799 an, nicht gegen Gelbfieber geimpft zu sein.
Wie prekär es um das Gelbfieber-Virus in Nigeria steht, zeigt
auch ein erst kürzlich publizierter Bericht der Weltgesundheitsorganisation
(WHO). Derzeit herrsche ein anhaltender Gelbfieberausbruch im Land, heisst es. Die
Situation habe sich von einem bestätigten Gelbfieber-Fall im August zu 276 Verdachtsfällen
bis Ende November verschlimmert. Darum würden nun 1,4 Millionen Impfdosen für
eine Impfkampagne bereitgestellt, «um einen anhaltenden Gelbfieberausbruch in Nigeria
einzudämmen».
Angesichts dieser Faktenlage, stellt sich die Frage, ob die
Schweizer Behörden nicht doch die Pflicht hätten, bei Ausschaffungen nach Nigeria
über das Risiko von Gelbfieber zu informieren oder gar eine Impfung anzubieten.
Beat Gerber, Sprecher von Amnesty International, sagt: «So wie man jemand nicht
in ein Kriegsgebiet zurückschaffen kann, kann man ihn auch
nicht in ein Epidemiengebiet ausschaffen, wenn damit sein Leben
unmittelbar in Gefahr gebracht wird.» Ob in diesem spezifischen Fall ein
Versagen der Behörden vorliegt, müsse nun genauer geprüft werden.
Für Marion Panizzon liegt der springende Punkt woanders. Die
Migrations- und Völkerrechtlerin an der Universität Bern sagt, die Schweiz könne
zwar nicht dafür haftbar gemacht werden, dass die Gesundheitsversorgung in Nigeria
schlechter ist als hier. Jedoch haftet die Schweiz für eine
Gesundheitsversorgung, die derart unwürdig und unmenschlich ist, dass dem
Betroffenen eine massive Verschlechterung des Gesundheitszustands oder ein
frühzeitiger, qualvoller Tod droht.
«So wie man jemand nicht in ein Kriegsgebiet zurückschaffen kann, kann man ihn auch nicht in ein Epidemiengebiet ausschaffen, wenn damit sein Leben unmittelbar in Gefahr gebracht wird.»
Beat Gerber, Amnesty International
«Im speziellen Fall, in dem eine ausländische Person gesund
ausgeschafft werden sollte, müsste die Schweiz prüfen, ob die Impfstoffe kurz
nach Ankunft im Heimatstaat verfügbar sind und innert nützlicher Frist dem
Betroffenen verabreicht werden können.» Dann dürfe die Schweiz die Ausschaffung
wahrscheinlich vornehmen ohne das Rückschiebungsverbot zu verletzen. «Allenfalls
besteht eine Aufklärungspflicht der Schweizer Behörden, auf die
Gesundheitsrisiken in Nigeria aufmerksam zu machen.»
Doch dafür gibt es noch keine geltende Rechtsprechung. Die
Verlobte des Verstorbenen, Gabriela Hou, überlegt sich jetzt, Klage einzureichen.
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