Hätte die SRF-«Arena» am Donnerstagabend stattgefunden, wäre der Beginn der Sendung wohl ein anderer gewesen. Doch nach den gestrigen Ausschreitungen in Bern, bei der die Kantonspolizei mit Wasserwerfern gegen aggressive Corona-Demonstrierende vor dem Bundeshaus vorgegangen war, krempelte Moderator Sandro Brotz den Sendungsstart kurzerhand um.
«Militante Kritikerinnen und Kritiker müssen von der Polizei und Gittern vor dem Sturm aufs Bundeshaus zurückgehalten werden», steigt Brotz mit bebender Stimme in die Sendung ein. Und einer, der in besagtem Bundeshaus sitze, der sei von den Teilnehmenden der Demonstration in Bern gefeiert worden: Finanzminister Ueli Maurer. Eine Woche zuvor wurde Maurer an einer SVP-Parteitagung mit einem Hemd der «Freiheitstrychler» abgelichtet, eben jener Gruppierung, die sich immer wieder auch an unbewilligten Demonstrationen lautstark gegen die Corona-Massnahmen wehrte.
Brotz und die Studiokamera schwenken zu jenem Studiogast, der mit Maurer in der gleichen Partei ist: SVP-Nationalrat Lukas Reimann. Dieser reagiert mit einem fassungslosen Lächeln: «Ich finde es nicht fair, diese Bilder, die ich absolut verurteilte, mit dem Bundesrat Ueli Maurer in Verbindung zu setzen.»
Ein bisschen anders sieht das SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen. «Maurer ist ein Meister der gezielten Provokation. Und dass wir hier und jetzt darüber sprechen, zeigt ja, dass es funktioniert.» Gehe es nach ihr, sollte man nicht über die Gewalt und Aggression sprechen, die natürlich zutiefst undemokratisch sei, sondern darüber, wie man noch in einen Dialog treten könne. «Aktuell trifft die Wut und das Unverständnis das Gesundheitspersonal, die Kinder und die Kranken – die schwächsten Glieder in unserer Gesellschaft», so Wasserfallen. Man müsse eigentlich darüber sprechen, wie man diese verzwickte Situation wieder entschärfen könne.
Für die entsprechende Entschärfung liefert Wasserfallen auch gleich das Rezept mit: «Wir verfolgen nicht das gleiche Ziel. Darum kommen wir nicht vom Fleck. Es braucht einen gemeinsamen politischen Konsens, dass die Impfung der sicherste Weg aus der Krise ist.» Ihr Appell richtet sich an Nationalratsgspänli Reimann und dessen SVP-Parteikollegen, die sich kaum oder nur sehr verhalten zur Impfung äussern.
Reimann lässt den Seitenhieb nicht auf sich sitzen. «Es ist nicht Sache der SP oder SVP, den Leuten zu sagen, dass man sich impfen soll», poltert er. Die Impfung sei eine gute Sache, aber der Entscheid dazu ein ganz persönlicher.
Reimanns Ausführungen rufen Ruth Humbel, Mitte-Nationalrätin und Präsidentin der Gesundheitskommission, auf den Plan. «Bei der Elite der SVP sind ausnahmslos alle geimpft. Da könnte man doch auch öffentlich dazu stehen und sagen, dass uns die Impfung aus der Krise führt, und nicht nur immer dagegen hetzen.»
Wasserfallen nickt und fügt in Richtung Reimann hinzu: «Dänemark hat eine Impfquote von 74% erreicht und die Pandemie für beendet erklärt, weil sich alle Parteien, von links bis rechts, unisono für die Impfung ausgesprochen haben.» Auch Andreas Züllig, Präsident Hotelleriesuisse und der Vierte im Bunde, spricht sich klar für die Impfung aus: «Wir können es uns nicht leisten, die Pandemie zu verzögern. Denn sie schadet den Arbeitsplätzen und der Wirtschaftsfreiheit.»
So geht es noch eine Weile hin und her. Es wird gezofft ums Covid-Zertifikat, gestritten über den Impfdruck und über Wirtschafts(un)freiheiten. Gäste aus vorderen und hinteren Reihen werfen mit Verfassungsartikeln um sich und glauben die so oft beschworene Justitia auf ihrer Seite zu wissen. Ein Dialog findet statt. Auf einen grünen Zweig kommt man nicht.
Erst gegen Ende der Sendung kommt Moderator Brotz auf einen Punkt zu sprechen, bei dem man sich immer einiger wird, wenn auch aus anderen Motiven: die Kostenfrage der Corona-Tests. Noch im August sprach sich die Gesundheitskommission des Nationalrats dafür aus, dass der Bund die Testkosten für Symptomlose nicht länger übernehmen soll. Seither hat der Wind jedoch gedreht. Vertreterinnen und Vertreter der Grünen, SP, SVP und der Mitte setzen sich vermehrt dafür ein, dass die Corona-Tests und das damit verbundene Zertifikat auch nach dem 1. Oktober gratis bleiben sollen.
Auch Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel sprach sich einst für kostenpflichtige Tests aus. Von Brotz darauf angesprochen, versucht diese den jähen Meinungsumschwung zu erklären: «Damals ging es vor allem um Grossanlässe, sprich reine Freizeitvergnügen. Wenn es nun aber auch an Hochschulen und Fitness- und Kulturbereichen ein Zertifikat braucht, dann müssen wir punkto kostenpflichtiger Tests nochmals über die Bücher», so Humbel.
Bereits schon früh für kostenlose Tests ausgesprochen haben sich die SVP und Lukas Reimann: «Wir wollen Gratis-Tests für alle.» Und auch Flavia Wasserfallen, bislang mit Reimann in praktisch allem uneinig, pflichtet bei: «Werden die Tests und das damit verbundene Zertifikat ab 1. Oktober kostenpflichtig, trifft es vor allem die Jungen.» Sie wisse von Lehrpersonen, die mit ihren Schülerinnen und Schülern ins Theater wollen, wo noch nicht alle vollständig geimpft seien. «Da stellt sich dann schnell die Frage, wer die Tests bezahlt.» Es brauche noch etwas Zeit, da doch noch zu viele von dieser kostenpflichtigen Massnahme betroffen seien.
Auch wenn man sich in diesem Punkt politisch zu einigen scheint, gibt es noch keine klaren Signale vom Bundesrat. Noch sei unklar, ob die Corona-Tests für Symptomlose tatsächlich ab 1. Oktober kostenpflichtig werden, liess Gesundheitsminister Alain Berset an der Pressekonferenz vom Freitag verlauten.
Kostenfragen hin oder her: Das Virus wird es wenig kümmern. Und so ist es auch Wasserfallen, die kurz vor Schluss entwaffnend ehrlich die Situation beschreibt: «Es ist ein Mist. Es ist frustrierend. Das Virus hält sich nicht an die Massnahmen. Aber nur wenn wir alle gemeinsam agieren, können wir einen Weg aus der Pandemie finden.»
P.S.: Das Interview mit dem Freiheits Trychler war ganz einfach nur zum fremdschämen.