Eine Bande hält Europa in Atem. Überall in Europa entwenden sie wertvolle russische Bücher aus Bibliotheken. Ihre Methode ist filmreif. Spuren führen nach Georgien.
Ein Sammelband des russischen Schriftstellers Alexander Puschkin ist aus der Bibliothek von Genf entwendet worden. Brisant: Es handelt sich um eine Erstausgabe aus dem 19. Jahrhundert, in russischer Sprache. Wann genau es zu dem Diebstahl kam, ist nicht bekannt.
Die Staatsanwaltschaft hat ein Strafverfahren eröffnet. Sie will sich jedoch nicht weiter dazu äussern, die Untersuchung sei noch im Gange. Ein Sprecher der Stadt Genf sagte, die Bibliothek, die bis 2006 unter dem Namen Öffentliche Universitätsbibliothek bekannt war, habe ihre Sicherheitsmassnahmen verstärkt. Dies berichtet die Tribune de Genève.
Alexander Puschkin gilt als Begründer der modernen russischen Literatur. Der Adlige ebnete mit seinen Gedichten, Dramen und Erzählungen der Verwendung der russischen Umgangssprache den Weg – damals sprach die russische Oberschicht Französisch.
Hinter dem Diebstahl wird eine Gang aus Georgien vermutet. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 häufen sich ähnliche Diebstähle in verschiedenen Ländern Europas: Immer wieder werden dabei Erstausgaben russischer Literatur aus dem 19. Jahrhundert aus Bibliotheken entwendet. Neben Werken Puschkins sind etwa auch solche von Nikolai Gogol und Michail Lermontow darunter.
Die Gang scheint sehr gut organisiert und mit Bedacht vorzugehen. Sie besuchen Bibliotheken und geben sich als Wissenschaftler aus, die sich mit russischer Literatur beschäftigen. Für ihre «Forschung» verlangen sie Zugriff auf die Werke in russischer Originalsprache – die man nicht ausleihen kann. Sie fotografieren sie dann ausgiebig und von allen Seiten, und geben an, später wiederkommen zu wollen.
Vor ihrem zweiten Besuch stellen sie Kopien der Bücher her. Wenn sie dann in der Bibliothek die Originale zurückgeben sollen, geben sie stattdessen die Kopien zurück und behalten die Originale. In gewissen Fällen habe es Monate gedauert, bis die Täuschung aufflog.
In anderen Fällen sparten sich die Diebe die Mühe: Ein Komplize lenkte den Bibliothekar ab, während der andere sich mit den Büchern aus dem Staub machte.
Die Bande aus Georgien verkauft die erbeuteten Bücher zu horrenden Preisen an Sammler in Russland. Dabei werden Summen von umgerechnet 30'000, 50'000 oder gar 100'000 Franken bezahlt, wie französische Ermittler herausfanden – auch aus Frankreich sind Fälle bekannt. Sie erklären die hohen Preise mit dem russischen Nationalismus, der mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine wiedererstarkt ist.
Die russischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts schrieben oft über Eroberungen des Zarenreichs – Wladimir Putin zeigte sich davon wiederholt begeistert. 2016 sagte er, er habe immer ein Buch von Lermontow auf seinem Schreibtisch.
Die französischen Ermittler vermuten, dass es bei den Diebstählen auch darum geht, dieses russische Kulturerbe mit seiner Symbolkraft nach Russland zurückzubringen, wie der französische Parisien schreibt. Dass ausgerechnet eine georgische Gang dafür verantwortlich sein soll, scheint überraschend, zumal das politische Klima zwischen Georgien und Russland angespannt ist und sich die ehemalige Sowjetrepublik nach Westen orientiert. Russland unterstützt auch die beiden abtrünnigen, völkerrechtlich zu Georgien gehörigen Regionen Abchasien und Südossetien.
Die Russen machen das nicht nur mit Büchern, sondern sogar mit ihrem Präsidenten.
Nur dass dabei der Klon wertvoller ist als das Original.