Welches ist die wichtigste Sprache, die man in der Schule lernen kann? Es ist weder Englisch noch Französisch, sondern die Codiersprache. Diese Aussage machte Apple-CEO Tim Cook während eines Besuchs in Frankreich: «Als Schüler in Europa wäre es wichtiger, dass ich programmieren lerne als Englisch», sagte er. Zwar sei die Sprache weiterhin bedeutend, aber mit Coding erreiche man sieben Milliarden Menschen auf der Welt. «Ich finde, Programmieren sollte in jeder Schule der Welt Pflichtfach sein.»
Cooks Wunsch dürfte bald in Erfüllung gehen – zumindest in der Schweiz. Die Erziehungsdirektoren planen, Informatik zum Pflichtfach zu erklären. Zu Jahresbeginn haben sie eine Anhörung über ein Obligatorium an Gymnasien gestartet. Das Ergebnis wird Ende Monat vorgestellt. Doch schon jetzt ist klar: Die überwältigende Mehrheit will Informatik fix im Stundenplan der Mittelschüler verankern.
Eine Umfrage der «Nordwestschweiz» unter den Bildungsverbänden verdeutlicht die Zustimmung: Die Hochschulpräsidenten sprechen von einem «unabdingbaren» Schritt. Der Verein der Gymnasiallehrer hebt die wachsende Bedeutung für die Gesellschaft hervor und würde «die definitive Einführung» begrüssen. Und der Schweizer Lehrerverband will den Vorschlag «möglichst rasch» umsetzen. Negative Meldungen gab es in der Anhörung kaum.
Weil die Erziehungsdirektoren das Resultat erst am Freitag an ihrer Plenarversammlung verabschieden werden, halten sie sich mit offiziellen Statements zurück. Auf Anfrage bestätigt die Kommunikationsbeauftragte der Erziehungsdirektorenkonferenz, Gabriela Fuchs, allerdings: «Der Vorschlag, Informatik obligatorisch am Gymnasium einzuführen, fand in der Anhörung eine sehr positive Resonanz.»
Die Frage ist also nicht, ob Informatik zur Pflicht wird, sondern wann. Und vor allem: in welcher Form? Noch ist unklar, ob Informatik den Status eines obligatorischen oder gar eines Grundlagenfachs erhält. Bei einem obligatorischen Fach – wie «Wirtschaft und Recht» – lernt jeder Gymnasiast den Stoff zumindest kennen, meistens über einen begrenzten Zeitraum von ein bis zwei Jahren. Gleichzeitig können die Jugendlichen das Fach vertiefend wählen. Wird Informatik allerdings zum «Grundlagenfach» erklärt, ist es auf einer Stufe mit Mathematik, Deutsch oder Geschichte. Dann könnten die Gymnasiasten bis zu zwei Stunden in der Woche – über mehrere Jahre – programmieren lernen. Ausserdem würde die Leistung entscheidend für das Maturazeugnis.
Trotz aller Zustimmung zeichnen sich Probleme ab. In den meisten Stellungnahmen heisst es, die zusätzlichen Stunden dürften «keinesfalls anderen Fächern entnommen werden». Unter diesen Voraussetzungen würde es auf mehr Stunden herauslaufen – und auf höhere Kosten für die Kantone. Dabei haben viele erst kürzlich ein Sparprogramm verabschiedet. Hinzu kommt die Debatte, ob Gymnasien mit zusätzlichen Laptops und Tablets aufgerüstet werden müssen oder ob Schüler ihre eigenen Geräte mitbringen. Noch bleibt aber Zeit. Auch nach dem offiziellen Beschluss dürfte Informatik frühestens 2020 in allen Gymnasien flächendeckend unterrichtet werden. Schon weiter ist der Kanton Aargau. Er führte auf eigene Faust vor einem Jahr als erster Kanton Informatik in der Mittelschule ein. Die Erziehungsdirektoren werden sich nun auf diese Erfahrungen stützen.
Vom Informatikunterricht am Gymnasium wird auch die Wirtschaft profitieren. Mehrere Branchen lechzen seit Jahren nach Fachkräften aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT). Besonders Frauen sind untervertreten. In Fachrichtungen wie im Maschinenbau sind gar 9 von 10 Studierenden Männer. Dabei gilt: Je früher Jugendliche die technische Welt kennen lernen, desto eher interessieren sie sich für diese Berufe.
Schon länger beklagen Technik-Pionierinnen mangelnde Unterstützung. «Der Wandel muss in der Schule anfangen», sagte bereits die erste Frau als Informatikingenieurin bei Facebook, Ruchi Sanghvi. «Es muss Mädchen erklärt werden, dass Mathematik, Technik und Informatik tolle Fächer sind. Damit kann man viel Spass haben und viel erreichen.» Die Schweiz macht nun den ersten Schritt. Das dürfte auch Apple-Chef Tim Cook gefallen.