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Der Sechsspänner der Brauerei Feldschlösschen kommt normalerweise nur noch zu Show-Zwecken zum Einsatz. Ausser beim Eidgenössischen. Da hängen hinten am Sechsspänner Zapfhahnen. Und da kommt auch Bier raus. Der Sechsspänner fährt auf dem Festplatz herum und wer noch rasch genug und koordiniert gehen kann, der kann sich an den Sechsspänner-Zapfhahnen solange gütlich tun, bis die Grobmotorik das gleichzeitige Gehen und Zapfen verunmöglichen. Erreicht man die Zapfhahnen nicht mehr aus eigener Kraft, kann man immer noch versuchen, aus der Ferne die sechs majestätisch anmutenden belgischen Kaltblüter herbeizurufen. Sie heissen: Aramis, Hektor, Geronimo, Lord, Nero, Nico, Pouliche und Roli.
Das Eidgenössische in Frauenfeld 2010 hatte rund 200'000 Besucher und 16 Polizisten im Einsatz, von denen nur vier uniformiert waren und in der Arena dafür sorgten, dass die Zuschauer auf den vordersten Rängen nicht immer weiter in die Arena hinein sassen. Ansonsten wird auf sichtbare Präsenz von Sicherheitsorganen verzichtet. Und auch auf unnötige Sicherheitsvorschriften.
Es ist ohne weiteres möglich, mit 24er-Bierkästen, Weissweinflaschen, Brot- und anderen Messern die Tribüne zu betreten und zwei Meter vom Bundespräsidenten entfernt, Landjäger zu schälen. Wer das Sicherheitspersonal an den Eingängen fragt, ob man Messer, Bierflaschen oder Fahnenstangen in die Arena mitnehmen dürfe, wird angeschaut, als ob er den Verstand verloren hätte.
Zwar wird am Eidgenössischen genau so viel gesoffen wie an anderen Volksfesten, aber Exzesse werden nicht geduldet. Wer sich daneben benimmt, um den kümmern sich sofort Bauer Sauer und seine Kollegen, die einen vor die simple Wahl stellen, ob man das Gelände selbstständig oder getragen verlassen möchte.
Es gibt Menschen in der Schweiz, mit denen hat der durchschnittliche Städter nur noch die Steuerpflicht und die Gebührenpflicht für die SRG gemeinsam. Diese Leute leben in den Bergen auf Bergbauernhöfen oder Alpen und besuchen das Flachland nur alle drei Jahre anlässlich des Eidgenössischen. Sie kommen mit alten Militär-Rucksäcken, haben ein Mätteli, einen Schlafsack und für drei Tage nur Landjäger und Brot als Verpflegung dabei. Sie sind wortkarg, hilfsbereit und rauchen noch im Schlafsack Stumpen.
Weiter brauchen sie nichts und sie finden auch nicht, dass ihnen das Leben mehr schulde. Eine beeindruckendere, geballtere und inspirierendere Ladung an Bescheidenheit und Genügsamkeit als in den Sanitätszelten am Eidgenössischen findet sich nirgends.
Es gibt die grossen Stars der Eidgenössischen. Das sind die Schwingerkönige wie Abderhalden, Wenger oder Sempach. Und es gibt den wahren Star der Eidgenössischen, den grossen Publikumsliebling. Und das ist Peter Abegg. Der grossgewachsene und mittlerweile 55-jährige Rothenturmer ist Steinstösser. Er hält den Kopf stets ein wenig eingezogen und die Handflächen nach hinten, wenn er geht. Er redet nicht viel, hebt die Steine (20 Kilo, 40 Kilo und Unspunnen mit 84 Kilo) hoch und stösst sie ziemlich weit. 2013 bin ich mit dem 40-Kilo-Stein 2,31 Meter weit gekommen. Peter Abegg warf ihn auf 3,72 Meter. Ich war 33 Jahre alt. Er 52. Das nur zum Vergleich.
Das Beste an Peter Abegg ist aber sein verwaschenes und sonnengebleichtes Glücks-Fischercap mit dem Calanda-Logo (siehe Bild). Abegg trägt diesen Hut bei jedem Wettbewerb und darf ihn auch am Eidgenössischen tragen. Es traut sich niemand, ihn auf das Werbeverbot für Sportler und die Branchenexklusivität für Hauptsponsor Feldschlösschen anzusprechen. Und so ist Abegg über die Jahre zum wohl wertvollsten Testimonial für Calanda Bräu geworden.
Die Zeremonie der Krönung der Kranzschwinger ist auf so vielen Ebenen erfrischend und unorthodox, dass gar nicht alle aufzuzählen sind. Einerseits achten die Veranstalter hier darauf, dass die Kranzschwinger nicht abheben und kehren die Statusverhältnisse um. Es ist nicht wie etwa bei Rad- oder sonstigen Rennen die Ehrendame, die zum Sieger aufs Podest steigen, sondern der zu Krönende, der vor der Ehrendame niederknien muss.
Mit der Statusumkehr geht auch eine Neuverteilung der Geschlechterrollen einher. Zwar gibt ein zumeist männlicher Speaker den Befehl «Krönen!», aber das Siegerpodest ist fest in den Händen der Ehrendamen, die die ganze Zeremonie über gemütlich sitzen und sich nur zur Krönung rasch erheben und sich gleich wieder setzen, noch bevor die Kranzschwinger wieder vom Podest abgehen können.
Dass die Ehrendamen nicht bei irgendwelchen Missenvermittlungs- oder Modell-Agenturen gebucht, sondern im Umfeld der Schwingvereine rekrutiert werden, schadet dem Unterhaltungswert dieser Rangverkündigungen auch nicht.
Es ist unvermeidlich an jedem Volksfest dasselbe: Wenn an den Festbänken lange genug gebechert wird, dann stimmen die Zecherinnen und Zecher früher oder später auch Lieder an. Meist ist das der Zeitpunkt, an dem der Unbeteiligte dann das Taxi nach Hause bestellt. Nicht so am Eidgenössischen, wo sich immer wieder wie aus dem Nichts Jodel-Formationen von den Bänken erheben und anfangen zu singen. Wankend und mit glänzigen Äuglein zumeist, aber musikalisch immer einwandfrei.
Zusätzlich zu den Jodelchören tummeln sich auch zuhauf Hackbrett- und Alphornformationen sowie das Rekrutenspiel, die überall dort aufspielen müssen, wo immer sie zu lange stehen bleiben und von erwartungsvollen Menschenmassen umringt und nicht mehr gehen gelassen werden.
Es gibt in den grossen Schweizer Städten und ihren periodisch erscheinenden Medienerzeugnissen ein unglaubliches Inventar an Material, das sich mit der Frage befasst, wie man heutzutage Mann und/oder Frau zu sein hat. Das kann einen verunsichern.
Da hilft ein Besuch am Eidgenössischen. Dieses holt einen zurück in die Realität, in der Männer sind, wie sie sind: Schweigsam, anspruchslos, stinkend. Fragt man am Bierstand nach einem Becher oder einem Glas heisst es: «Chasch nid us de Fläsche suufe, oder wa?» Wenn man den Kafi Schnaps kriegt, der auf die Tribüne geliefert wird, und man beim ersten Schluck fast erstickt, heisst es nebenan: «Und dä Schnaps bringsch de spööter, oder wa?» Und dann ist da natürlich auch der Kern des Eidgenössischen, der archaische Kampf Mann gegen Mann, ohne Gewichtsklassen oder irgendwelche Hilfsmittel.
Wenn die zwei Schlussgang-Hünen unter dem gespannten Schweigen von 45'000 Zuschauern in die Arena marschieren, um (im besten Fall) den Festsieg unter sich auszumachen, dann steht die Welt für ein paar Minuten still – und ist ganz einfach.