Verwundert reibt man sich im Ausland die Augen: Soeben hat Bundespräsident Alain Berset im polnischen Katowice an der Klimakonferenz eine flammende Rede für den Klimaschutz gehalten. Doch nur wenige Stunden später fällt ihm der Nationalrat in den Rücken und verzichtet auf ein klares Bekenntnis für den Kampf gegen die Klimaerwärmung.
Das internationale Netzwerk von Umweltaktivisten «Climate Action Network» fragt sich in einem Newsletter: «Was passiert nur in dem kleinen, aber unberührten und reichen Land aus Milch und Honig (ähem... Schokolade) hinter den Alpen?»
Ja, was passiert in der Schweiz? Nun, der Nationalrat hat am Dienstag beschlossen, dass die CO2-Reduktion zu grossen Teilen im Ausland mittels Emissionszertifikaten eingekauft werden soll.
Im Gegensatz zum Bundesrat, der 60 Prozent der angestrebten Reduktion im Inland erreichen möchte, wollen die Vertreter der grossen Kammer auf einen Inlandanteil im Gesetz verzichten. Auch die Standards für Zertifikate sollen gemäss Nationalrat heruntergeschraubt werden.
Doch der Handel mit Emissionszertifikaten ist höchst umstritten. Ob die berechneten CO2-Reduktionen wirklich eintreten, ist alles andere als klar. Diverse Experten sagen sogar, dass die Praxis mehr schadet als nutzt. (Die Kollegen von der WOZ haben zum Handel mit Klimazertifikaten ein informatives Stück geschrieben, falls dich Details interessieren.)
Sprich: Der Nationalrat verzichtet auf griffige Massnahmen zur CO2-Reduktion. Und das obschon die weltweiten Emissionen 2018 einen neuen Rekordwert erreichen.
«Wir wären damit das einzige Land, welches das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet hat, aber kein Ziel zur Reduktion der Emissionen im Inland hat», ärgert sich Grünen-Nationalrat Bastien Girod auf Twitter.
Der Entscheid fiel mit 97 zu 95 Stimmen knapp aus. Dies konnte nur passieren, weil sich die FDP – und einzelne Mitglieder der CVP – von der SVP vor den Karren spannen liessen.
Vergangenen Sommer gehörten die Vertreter der SVP noch zu den Verlierern, als sie sich vergeblich gegen das Pariser Klimaabkommen einsetzten. Nun finden sich die Klimawandel-Skeptiker und -Leugner dank ihrer bürgerlichen Kollegen aber plötzlich auf der Erfolgsspur wieder.
Dabei bekämpfen die Vertreter der grössten Schweizer Partei eine wirksame Klimapolitik mit derart faktenfremden Argumenten, dass man sich zuweilen fragt: Wer hat das gerade gesagt? War das Donald Trump oder ein SVP-Politiker?
Machen wir ein paar Proben aufs Exempel: Von wem stammen die folgenden Aussagen?
Noch ist nicht klar, ob die Schweizer Klimapolitik in Zukunft von den hiesigen Trumps diktiert wird. Der Nationalrat debattiert am Montag erneut über das CO2-Gesetz. Es geht um konkrete Massnahmen wie etwa eine Flugticketabgabe oder eine stärkere Kompensation im Verkehr. Nach der grossen Kammer wird das Geschäft auch noch im Ständerat behandelt.
Das Zünglein an der Wage werden wohl wiederum die CVP-Politiker spielen.