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Wer ist Schuld, wenn ein Jugendlicher beschliesst, aus dem Westen in den Dschihad zu ziehen? «Sicher nicht die Eltern», darin sind sich watson-Sektenexperte Hugo Stamm, Kriegsreporter Kurt Pelda, Dschihad-Forscherin Miryam Eser Davolio und Psychologe Daniel Lenzo am Dienstagabend in der SRF-Sendung «Club» einig.
Sichtlich berührt, lauscht die Runde dem tragischen Schicksal des Deutschen Joachim Gerhard, Vater zweier Söhne, Inhaber eines Immobilienunternehmens, einvernehmlich geschieden, nicht sonderlich religiös, der eines Tages im Sommer 2014 feststellen muss, dass seine Söhne aus Kassel nach Syrien zum sogenannten «Islamischen Staat» gereist sind.
Monate danach telefoniert er noch regelmässig mit ihnen, sie erzählen von ihrem Leben beim «IS», erklären dem Vater, dass sie gehen mussten, weil sie im Westen ausgelacht würden und dass sie ins Paradies kommen würden. Gerhard wusste, dass die beiden konvertiert waren, hatte sie sogar ein paar Mal in die Moschee begleitet. Solche Worte vernahm er aber das erste Mal von seinen Söhnen.
Der Vater reist in die Türkei, von da nach Kobane in Syrien. «Hol uns hier raus», sagen seine Söhne, als ihnen dämmert, wo sie gelandet sind. Der Vater plant ihre Flucht. Sie geht schief. Ein paar Tage später erreicht Gerhard dieses Video:
«Jeder Bruder hier im ‹Islamischen Staat› ist mir lieber als du selber, obwohl du mein eigener Vater bist», sagt sein älterer Sohn zu ihm. «Zwischen mir und dir ist Feindschaft, solange, bis du überzeugt bist, dass es nur einen anbetungswürdigen Gott gibt und Mohammed sein Diener und Gesandter ist», sagt sein jüngster Sohn zu ihm.
Seither herrscht Funkstille.
«Das klassische Vorgehen einer Sekte», sagt Sektenexperte Stamm nach der Einspielung. «Solche Botschaften unter Zwang sind Teil einer Taktik, um Distanz zum alten Leben und gleichzeitig Identifikation mit der neuen Gruppe zu schaffen.»
Bei «IS»-Reisenden handle es sich oft um besonders sensible, gar engagierte und empathische Personen, die Mühe hätten mit der westlichen, auf Luxus ausgerichteten Gesellschaft und die auf der Suche nach einer gerechteren Welt seien. «Der ‹Islamische Staat› bietet Antworten», sagt er: «Irgendwann erleidet der Anhänger Realitätsverlust und erklärt sich die Welt auf eine völlig andere Art und Weise.»
Kriegsreporter Kurt Pelda, der Kontakt zu «IS»-Kämpfern hatte, sieht es ähnlich. So indoktriniert, würden sogar Hinrichtungen von den «IS»-Schergen als gerechtfertigt wahrgenommen werden. «Denn es sind Feinde», sagt Pelda. Und: «Geköpfte erhalten ihrer Meinung nach in einem fairen Prozess ihre verdiente Strafe. Mitleid mit dem Täter, wie es das in unseren Breitengraden gibt, gibt es da nicht.»
Pelda sieht allerdings nicht nur Sekten-Opfer unter den «IS»-Kämpfern. Ein Teil von ihnen seien schlicht Kriminelle: «Es gibt Schwerkriminelle, die da hin fahren und schlicht diese schrecklichen Dinge tun, die sie immer schon tun wollten – aber religiös legitimiert», sagt er. «Sie können da von Gesetzes wegen das tun, worauf sie schon immer schon Lust hatten.»
Doch wenn nicht mal Eltern etwas ahnen, wie kann man dann Jugendliche von einer Dschihad-Reise abhalten? Der Vater klagt den deutschen Staatsschutz an. Die Behörden hätten bloss zugeguckt, wie seine Söhne abdrifteten.
Er erhält Schützenhilfe von Kurt Pelda. Geht es nach ihm, muss der Staat die «Verführer» in den Moscheen überwachen. «Das sind die wahren Rekrutierer, und die könnte man mit dem Strafrecht packen», sagt er und fordert mehr Überwachung, genau so, wie es dem Geheimdienst nach den letzten Abstimmungen über das neue Nachrichtendienstgesetz jetzt erlaubt sein soll:
Aber auch bei der Bildung würde Pelda ansetzen, bei einem besseren Geschichtsunterricht: «Jungen Menschen muss das Rüstzeug mitgegeben werden, um solche Verschwörungstheorien erkennen zu können», sagt er.
Auch Hugo Stamm würde in die Prävention investieren. Der Sektenexperte redet sich ganz zum Schluss der Sendung in Rage und holt zu einer Forderung aus: «Bezüglich der Koranverteilungsaktion «Lies!» bräuchte es endlich den Mut einer Behörde, diese zu verbieten», sagt er. «Was hat eine solche Aktion noch mit Religionsfreiheit zu tun?», fragt er.
Joachim Gerhard nickt an dieser Stelle zustimmend. Seinen Söhnen können diese allfälligen Massnahmen allerdings nicht mehr helfen. Dennoch zeigt er sich zum Schluss überzeugt, dass seine Kinder noch leben: «Solange ich nichts anderes höre, hoffe ich weiter», sagt er.