Die SP vernachlässige das Thema Digitalisierung in sträflicher Weise. Die Kritik des rechten Parteiflügels um die Aargauer Ständerätin Pascale Bruderer und den Zürcher Ständerat Daniel Jositsch am SP-Wirtschaftspapier war hart. Davon liessen sich die SP-Delegierten allerdings nicht beirren und verabschiedeten das Papier mit grossem Mehr. Umgekehrt wurde aus ihren Kreisen der Vorwurf erhoben, ihre liberalen Parteikollegen übten billige Kritik, ohne eigene Ideen zu liefern.
Das holen nun Bruderer und Co. nach. In einem der «Aargauer Zeitung» exklusiv vorliegenden Dokument der von ihnen gegründeten «reformorientierten Plattform» stellen sie sechs Thesen und Forderungen auf, wie die SP die digitalen Veränderungen angehen soll.
Dabei gehen die liberalen Genossen auf Distanz zu den Gewerkschaften: «Die Digitalisierung lässt sich nicht aufhalten», sagt Bruderer. «Wir sollten sie daher aktiv und im Sinne der Chancengerechtigkeit mitgestalten, statt auf Verhinderungstaktik zu setzen.» Die Produktivitätssteigerung dürfe nicht aus Angst vor personellen Konsequenzen verhindert werden. «Vielmehr sollten wir darauf fokussieren, wie wir Arbeitnehmern, die der Digitalisierung zum Opfer fallen, neue Perspektiven eröffnen.»
Streckenweise liest sich das Papier wie ein Positionsbezug des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse: Die Schweiz werde ihren Wohlstand nur halten können, wenn sie bei der Digitalisierung an vorderster Front mitwirke und von den sich bietenden Chancen profitiere, heisst es etwa.
Gefordert wird eine Bildungsoffensive, wie sie auch Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann vorschwebt. Und: «Überholte Gesetzesvorgaben müssen an die heutigen Anforderungen angepasst werden.»
Als konkretes Beispiel wird eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten vorgeschlagen. «Flexiblere Arbeitsmodelle sind nicht nur ein Anliegen von Arbeitgebern, sondern auch vieler Arbeitnehmenden», sagt Bruderer. Etwa wenn es darum gehe, Beruf und Familie besser miteinander zu vereinbaren. «Denkbar wäre etwa, dass ein Elternteil die Arbeit unterbrechen kann, um das Kind aus der Kita abzuholen, und sich abends nochmals zur Arbeit einloggt.»
Eine E-Mail-Sperre von 19 bis 7 Uhr, wie sie der Berner SP-Nationalrat und Gewerkschafter Corrado Pardini vorschlägt, halten die liberalen Genossen für falsch. Auch eine Steuer für Selbstbedienungskassen bei Detailhändlern wie Migros und Coop, wie sie Linke im Kanton Genf zum Schutze der Arbeitnehmern fordern, lehnt Bruderer als «hilflos und wenig zielführend» ab.
Pardini, Vertreter des linken Parteiflügels, begrüsst zwar das Engagement der Liberalen, zweifelt aber an deren wirtschaftspolitischer Kompetenz: «Ich wünschte mir, die Plattform würde etwas näher an der Realität der Betriebe argumentieren», sagt er. Was ihn nicht überrasche, denn die meisten Mitglieder seien Staatsangestellte, die mit der betriebswirtschaftlichen Praxis wenig vertraut seien.
«Wenn die Digitalisierung dazu führt, dass die Autonomie des Einzelnen gestärkt wird, ist dagegen nichts einzuwenden», findet Pardini. Man wehre sich aber gegen Unternehmen, die die Digitalisierung dazu missbrauchten, um die Gewinne der Aktionäre auf Kosten der Arbeitnehmer hochzuschrauben. «Indem diese einfach länger arbeiten – oder 24 Stunden erreichbar sein müssen». Jeder Betriebsmediziner könne bestätigen, dass damit die Gesundheit der Arbeitnehmenden aufs Spiel gesetzt werde. Ihm fehlt im Papier der Hinweis, dass die Digitalisierung dem Menschen nützen und nicht schaden soll.
Für Zündstoff ist also gesorgt, wenn am kommenden Samstag Liberale und Linksideologen in Bern aufeinandertreffen. Dann fällt unter der Leitung von Nationalrat Beat Jans der Startschuss zur Erarbeitung des SP-Wirtschaftskonzepts fürs nächste Jahrzehnt. Im Steuerungsgremium sitzt auch Bruderer. Am absehbaren Richtungsstreit dürfen alle teilnehmen.