FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter trug entscheidend dazu bei, dass die Landesregierung auf einen Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen einschwenkte. Und Keller-Sutter nimmt nun auch die Zügel in die Hand, wenn es um die Frage geht, wie die Europapolitik der Schweiz fortgeführt wird.
Die St.Gallerin kündigte an, dass ihr Departement Unterschiede zwischen der schweizerischen Rechtsordnung und dem EU-Recht identifizieren werde. Keller-Sutter will analysieren, wo es im Interesse der Schweiz liegt, die Differenzen abzubauen. Dabei sollen die Sozialpartner und die Kantone einbezogen werden, sagte die Justizministerin.
«Die Sozialpartner» – das bedeutet in erster Linie der Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt sowie Pierre-Yves Maillard, der Nationalrat und Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes.
Keller-Sutter, Vogt, Maillard – die drei respektieren sich, und sie haben ein Vertrauensverhältnis untereinander aufgebaut. Als es im vergangenen Jahr darum ging, die Begrenzungsinitiative der SVP abzuwehren, gleisten die drei die Überbrückungsrente für ältere Arbeitslose auf. Das Gesetz wurde schnell durch das Parlament gepeitscht, und die Begrenzungsinitiative scheiterte an der Urne klar.
Es war die alte europapolitische Allianz, die im Herbst 2020 den Angriff der SVP auf die bilateralen Verträge abwehrte. Die FDP und die Mitte müssen die SP – und damit die Gewerkschaften – ins Boot holen. Denn eine Vorlage, die sowohl von der SVP als auch von einem Teil der Linken abgelehnt wird, ist akut absturzgefährdet.
Bundesrätin Keller-Sutter betonte am Mittwoch die innenpolitische Abstützung, die für eine erfolgreiche Europapolitik nötig sei. Sowohl Didier Burkhalter als auch Ignazio Cassis verhandelten als Aussenminister mit Brüssel, beachteten dabei aber zu wenig, ob im Inland auch mehrheitsfähig ist, was sie mit der EU diskutierten.
Cassis wurde zum Prügelknaben der Linken, als er 2018 die Regelung der flankierenden Massnahmen öffentlich hinterfragte. Mit ihrem Sündenbock Cassis lenkten die Gewerkschaften davon ab, dass sie den möglichen künftigen Einfluss des Europäischen Gerichtshofs auf die Bestimmungen des Schweizer Lohnschutzes prinzipiell ablehnten.
Das soll nicht mehr passieren. Die Reihen sollen geschlossen werden. Gewerkschaftspräsident Maillard sagt: «Die Allianz, welche die Begrenzungsinitiative abschmetterte, war solide. Man hätte viele Probleme vermeiden können, hätte die Allianz in den Beratungen des Rahmenabkommens auch gespielt.»
Arbeitgeberpräsident Vogt sagt über Maillard, dass man mit ihm grundsätzlich Lösungen finden könne. «Als langjähriger Waadtländer Regierungsrat bringt er den notwendigen Pragmatismus mit.» Vogt gibt ausserdem zu verstehen, dass er hinter dem Plan von Bundesrätin Keller-Sutter steht.
«Europapolitisch macht die SVP wie in der Vergangenheit nicht mit. Es ist darum sinnvoll, dass alle Kräfte, die den bilateralen Weg sichern wollen, zusammenspannen», betont der Arbeitgeberpräsident.
Es sei nun zu prüfen, wo sich die Schweiz in Punkten, die innenpolitisch mehrheitsfähig sind, der EU-Gesetzgebung annähern könnte. Die Anmeldefrist für ausländische Unternehmen, die in der Schweiz Aufträge ausführen wollten, könnte man zum Beispiel durch eine digitale Lösung senken – ohne dass der Lohnschutz in Frage gestellt wird, meint Valentin Vogt.
Was meint Maillard dazu? «Bei einer Evaluation der flankierenden Massnahmen machen wir mit», sagt er. Eine Aufweichung komme aber nicht in Frage. «Wir brauchen im Gegenteil Verstärkungen. Beim Vollzug der Anmeldefrist für ausländische Unternehmen waren wir immer für faire Lösungen offen.»
Die mögliche Annäherung des Schweizer Rechts an EU-Recht soll die Europäische Union besänftigen. Es ist offen, ob das gelingt. Auch eine Dynamisierung einzelner Verträge – wie sie schon beim Schengen-Abkommen vollzogen wird – ist denkbar.
Karin Keller-Sutter will dafür die Sozialpartner an einen Tisch bringen. Sie sieht sich in der Tradition des vormaligen FDP-Bundesrats Pascal Couchepin. Der Walliser findet es nun zwar schlimm, dass das Rahmenabkommen gescheitert ist. Aber er setzte sich in der Aushandlung der bilateralen Verträge für die flankierenden Massnahmen ein und war damit für Keller-Sutter ein Garant für den «Interessenausgleich zwischen Marktöffnung und sozialer Sicherheit» – wie die Justizministerin an einem Medientermin kurz nach ihrem Amtsantritt sagte.
Keller-Sutter sagte am Mittwoch nicht, in welchen Bereichen sie bei der Überprüfung der Differenz zwischen Schweizer Recht und EU-Recht ansetzen will. Sie erwähnte jedoch das erste bilaterale Paket, das 20 Jahre alt sei und wichtige, statische Marktzugangsabkommen enthalte. Es scheint klar, dass Keller-Sutter hier ansetzt. Dabei will sie Valentin Vogt und Pierre-Yves Maillard früh involvieren.
Die Wiedergeburt der Europa-Allianz gegen die SVP – was sagt die Volkspartei dazu? Fraktionschef Thomas Aeschi gibt sich unbeeindruckt. «Ich verstehe nicht, wieso der Bundesrat das Schweizer Recht noch stärker an das EU-Recht angleichen will», meint er. Als Nicht-EU-Mitglied könne sich die Schweiz gerade durch eine bessere und effizientere Regulierung von der Europäischen Union abheben und damit an Attraktivität für die Wachstumsmärkte in Asien und Amerika gewinnen.
Auch in der Spitze der SP ist eine gewisse Zurückhaltung spürbar, wenn von der Auferstehung der europapolitischen Allianz die Rede ist. Parteipräsident Cédric Wermuth brachte am Mittwoch am Fernsehen einen EU-Beitritt aufs Tapet. Es scheint klar, dass er damit die Sozialdemokraten besänftigen will, die über das Scheitern des Rahmenvertrags schwer enttäuscht sind.
Wermuth sagt aber auf Anfrage auch, es sei richtig, dass nun innenpolitisch ausgelotet werde, welche konkreten Angebote der Bundesrat der EU machen könne. Die Schweiz sei am Zug. Bei den flankierenden Massnahmen sei die SP gesprächsbereit, wenn es nur um technische Anpassungen gehe. «Über die genaue Ausgestaltung der Voranmeldefrist kann man diskutieren, wenn der Schutz in der Substanz gleich bleibt.»
Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt schaut in die Zukunft: «In einigen Jahren könnte ein Rahmenabkommen wieder zum Thema werden. Dann sollten wir besser vorbereitet sein als diesmal.» Zusammen mit Bundesrätin Keller-Sutter und Gewerkschafter Maillard macht sich Vogt nun an die Arbeit.
Ich will keine deregulierte Schweiz, nur damit wir vermehrt geld verdienen können in Asien und Amerika.
Herr Aeschi hat Recht verzichten wir auf 60% unseres Handelsvolumen um in China 5% dazu zu gewinnen.
Spannend war auch, dass der Bundesrat vor China und der USA tief eingeknickt ist und bei der EU (notabene der wichtigste Handelspartner) den harten Kerl zu markieren.
Werden lustige Jahre Schweizer Politik werden, nur gut, dass ich bald Rentne