
Sag das doch deinen Freunden!
Es war ein bisschen wie in einem Klassenzimmer: Zwei lästige, aber lustige Lausbuben halten alle auf Trab. Nur der Klassenstreber hält noch zur Lehrerin, die schon alle Hoffnung mit den beiden hat fahren lassen. Und die Lausbuben machen mit ihrem Quatsch zum Amüsement der ganzen Klasse die Schulstunde zu ihrer eigenen Show.
So hat es sich gestern in der «Arena» zur Durchsetzungs-Initiative abgespielt, als Justizministerin Simonetta Sommaruga und FDP-Ständerat* Andrea Caroni gegen die Befürworter der Vorlage Toni Brunner und Gregor Rutz (beide SVP) antreten mussten.
Rasch war Sommaruga der Verdruss im Umgang mit ihren SVP-Gegnern anzusehen. Schon nach zehn Minuten, als Toni Brunner anfing, konsequent von der «Täterschutzklausel» zu sprechen und die Parole «Weniger Kriminelle, mehr Sicherheit» mantraartig zu wiederholen, war Sommarugas Geduld am Ende, was sich in genervtem Gesichtsausdruck zeigte, wann immer sie dachte, nicht im Bild zu sein.
Von da an hatten Brunner und Rutz die Sympathien sowohl des Studio- als auch des TV-Publikums in der Tasche und die Debatte gewonnen. Denn Sommarugas Flankenschutz Caroni machte auch den gravierenden Fehler, schlecht vorbereitet mit den immergleichen und nachweislich falschen Fallbeispielen von Bagatelldelikten um sich zu werfen, die gemäss Durchsetzungs-Initiative angeblich zur Ausschaffung führten (Fenster im Gartenhäuslein einschlagen und Schoggistängeli stehlen etc.).
Damit begab sich Caroni auf das Schlachtfeld, auf dem ihn Rutz und Brunner haben wollten: Auf die praktische Ebene der Umsetzung, von der keiner weiss, wie sie letztlich aussehen wird und wo man alle vier Sekunden «Weniger Kriminelle heisst mehr Sicherheit!» sagen kann, ohne dass es unpassend erscheint. Einbruchdiebstähle und Körperverletzungen als Bagatelldelikte zu erwähnen, hat Caroni auch nicht geholfen. Denn was sagt Toni Brunner, wenn er so etwas hört? «Einen Faustschlag ins Gesicht zu kriegen, ist für mich keine Bagatelle, sondern vielleicht sogar etwas vom Schlimmsten, das es gibt.» Und niemand würde ihm widersprechen.
Zwar lenkte Moderator Projer die Diskussion von den Niederungen der Schoggistängeli-Diebstähle zur eigentlich führenswerten Debatte, nämlich derjenigen über den Widerspruch der Initiative zu grundlegenden demokratisch-rechtsstaatlichen Prinzipien wie Verhältnismässigkeit. Aber Caroni war bereits dermassen aus dem Konzept, dass er ausgerechnet den Minarett-Verbietern Rutz und Brunner «Scharia-Logik» vorwarf und «Völkermörder auf eine Stufe mit jemandem zu setzen, der einen Joint raucht». Der erste Vorwurf ist peinlich, der zweite faktisch falsch, weil Kiffen nicht von der Durchsetzungs-Initiative erfasst ist.
Sommaruga warf den beiden derweil bezüglich Secondo- und der Jugendstrafrechtfrage stellvertretend für die SVP vor, die Partei stifte Verwirrung darum, ob die Initiative nun zur Ausschaffung von Secondos und Jugendlichen führe oder nicht, was sie im Sinne einer transparenten Information für das Stimmvolk als «unbefriedigend» erachte. «Unbefriedigend» ist im politischen und geschäftlichen Umgang nichts anderes als der diplomatische Terminus für das umgangssprachliche «verschissen» und sein Gebrauch immer ein zuverlässiger Frust-Indikator.
Die beiden Lausbuben Rutz und Brunner, in der irrigen Meinung, nicht im Bild zu sein, amüsierten sich köstlich über Sommarugas Wut. Es lief alles nach ihrem Gusto, denn die beiden geladenen Experten machten ihren Job nicht, der eigentlich darin bestünde, falsche Behauptungen der Politiker zu entlarven. Der St.Galler Erste Staatsanwalt Thomas Hansjakob, ein erklärter Gegner der Initiative, erging sich wie Caroni in abschreckenden Bagatelldelikts-Ausführungen und sein Kollege Markus Melzl, Kolumnist in Christoph Blochers «Basler Zeitung» und sachverständiger Befürworter der Initiative, beklagte, dass «die Richter noch und nöcher Härtefälle konstruieren, sodass in den letzten zehn Jahren über 1000 Kriminelle nicht ausgeschafft wurden.»
Und es wurde sogar noch besser, weil ihre Gegner Rutz und Brunner dauernd ins Messer liefen. Caroni betonte, nur 19 Prozent der ausländischen Gefängnisinsassen hätten Wohnsitz in der Schweiz, der Rest seien Kriminaltouristen. Diesen Steilpass nahm Rutz an: «Eben, sehen Sie, man zieht die Kriminaltouristen ja förmlich an, weil die genau wissen, hier passiert ihnen nichts.»
Und nachdem Sommaruga nochmal darauf hingewiesen hatte, dass Einbrüche und Schläge auch für sie keine Bagatelldelikte seien, sagte Toni Brunner: «Vielen Dank, Sie reden jetzt hervorragend für unsere Initiative.»
Eine treffendere Analyse der gestrigen «Arena» gibt es nicht. (thi)
* In der ursprünglichen Fassung dieses Artikels hiess es, Andrea Caroni sei Nationalrat der FDP. Das ist natürlich falsch. Wir bitten um Entschuldigung für den Fehler.