Nach dem Ja zu Masseneinwanderungsinitiative erklärte Gerhard Schwarz, damals noch Direktor des wirtschaftsnahen Thinktanks avenir suisse, entnervt: Es gäbe ein ganz einfaches Mittel, die Zuwanderung zu stoppen. Die Schweiz müsste ganz einfach nicht mehr so wettbewerbsfähig sein.
Schwarz hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Etwas salopp (und ja, wir wissen, auch leicht sexistisch) ausgedrückt, kann man sagen: Die Schweiz benimmt sich wie eine Frau, die sich herausputzt und sich dann wundert, dass ihr die Männer nachschauen.
Jedes Mal sind wir stolz, wenn das WEF oder sonst eine Organisation uns zum wettbewerbsfähigsten Land der Welt erklärt. Wir schätzen es, wenn die OECD uns ein glänzendes Zeugnis ausstellt und nur Kleinigkeiten bemängelt, und wir sind geschmeichelt, wenn unsere tiefen Steuern und unsere hohe Lebensqualität gelobt werden.
Der Steuerwettbewerb ist uns fast so heilig wie die Neutralität. Wie der Kanton Zug in der Schweiz locken wir weltweit mit tiefen Steuern ausländische Unternehmen an, und weil viele kommen, können wir ihnen auch eine moderne Infrastruktur und ausgezeichnete Spitäler, Schulen und Universitäten anbieten.
Das «Modell globaler Kanton Zug» funktioniert, zumindest vordergründig. In den letzten 15 Jahren hatten wir wirtschaftlich gesehen fast ideale Zustände: Jahr für Jahr ist unser Bruttoinlandprodukt (BIP) zwischen 1,5 und 2 Prozent gewachsen. Die Wirtschaft hat sich so weder überhitzt, noch ist sie eingebrochen. Auch den Frankenschock hat sie erstaunlich gut verdaut.
Auf den zweiten Blick zeigen sich die Schattenseiten: In den letzten zehn Jahren sind jährlich durchschnittlich 170'000 Menschen ein- und 100'000 Menschen wieder ausgewandert. Die Nettozuwanderung entspricht somit etwa der Bevölkerung einer Stadt wie Luzern. Zudem reisst die Dynamik des Wohnungsmarktes auch die Einheimischen mit. Sie zwingt sie zum Umzug, zu längeren Arbeitswegen, und so weiter.
Für die Volkswirtschaft wirkt dies stimulierend. Jeder Nettozuwanderer beansprucht im Schnitt 45 Quardratmeter Wohn- und 15 Quadratmeter Arbeits-und Konsumfläche. Laut dem Immo-Monitoring-Büro Wüst & Partner kostet der Quadratmeter Wohnfläche rund 7000 Franken, wovon etwa 4000 Franken BIP-relevant sind. Das allein kostet jährlich rund 18 Milliarden Franken.
In der BIP-Statistik schlägt sich dies mit 2,8 Prozent nieder. Dazu kommen die Kosten für Inneneinrichtungen, Umzug, Wohnungssuche und der Ausbau der Infrastruktur. Über den Daumen gepeilt kann man sagen: Die Schweiz verbraucht derzeit rund vier Prozent ihres BIPs, um die Zuwanderung zu bewältigen. Das macht uns beschäftigt, aber macht es uns auch reich?
Wohl eher nicht. Pro Kopf gerechnet ist unser BIP in den letzten neun Jahren gerade Mal um 3,5 Prozent gewachsen – insgesamt wohlverstanden, nicht jährlich. Zieht man davon die hohen Umtriebe der Zuwanderung ab, bleibt wenig bis nichts. Zudem werden die Gewinne dieses Wachstums sehr ungleichmässig verteilt.
In jedem Quadratmeter Wohnfläche stecken rund 3000 Franken Bodenrente. Allein dafür haben die Zuwanderer via ihre Mieten ein Eintrittsgeld von rund 14 Milliarden Franken an die Bodenbesitzer bezahlt.
Tiefe Zinsen und ein ausgetrockneter Wohnungsmarkt haben zudem die Immobilienpreise explodieren lassen. So hat Wüest & Partner ausgerechnet, dass allein im Jahr 2015 die Wertsteigerung bei Mietwohnungen 40 Milliarden Franken betrugen. Rechnet man die Wertsteigerung bei Wohneigentum dazu, kommt man auf insgesamt 110 Milliarden Franken.
Die Zeche für diese Wertsteigerung bezahlen Mieter und junge Haushalte, die Wohneigentum zu übersetzten Preisen erwerben müssen. Zudem hat sich das Schweizer Finanzsystem mit dem Immobilienboom eine Zeitbombe gebastelt. Sie wird explodieren, sollte die Nettozuwanderung nachlassen oder die Zinsen steigen.
Die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative zeigt, dass der politische Spielraum eng geworden ist. Wir können nicht gleichzeitig die Zuwanderung beschränken und die bilateralen Verträge mit der EU behalten. Wir können uns nur mit faulen Kompromissen darüber hinwegtäuschen.
Bei der Unternehmenssteuerreform III geraten wir in ein ähnliches Dilemma: Möglicherweise können wir so das «Modell globaler Kanton Zug» retten und die ausländischen Unternehmen im Land behalten. Wir werden dann weiterhin die Ranglisten von WEF & Co. anführen und von der OECD gute Zeugnisse erhalten.
Wollen wir hingegen weniger Zuwanderer, ist die Unternehmenssteuer III keine gute Idee. Immerhin wird sie uns geschätzte Steuerausfälle von rund drei Milliarden Franken bringen und ohne neue Zuwanderer wird der Schweizer Mittelstand dafür gerade stehen müssen.