Schweiz
Wirtschaft

Der schizophrene Kampf um die Unternehmenssteuer

ARCHIV --- ZUR UNTERNEHMENSSTEUERREFORM III STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES BILD ZUR VERFUEGUNG --- Bundesrat Ueli Maurer befasst sich mit der Unternehmenssteuerreform III (USRIII) am Montag, 6. Juni 2016 ...
Verteidigt das Unternehmenssteuerreformgesetz III: Finanzminister Ueli Maurer.Bild: KEYSTONE

Der Streit um die Unternehmenssteuerreform III zeigt: Die Schweiz ist schizophren

Mit tiefen Steuern locken wir ausländische Unternehmen ins Land – und beklagen uns, wenn der Ausländeranteil steigt.
09.01.2017, 10:5510.01.2017, 03:09
philipp löpfe, werner vontobel
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Nach dem Ja zu Masseneinwanderungsinitiative erklärte Gerhard Schwarz, damals noch Direktor des wirtschaftsnahen Thinktanks avenir suisse, entnervt: Es gäbe ein ganz einfaches Mittel, die Zuwanderung zu stoppen. Die Schweiz müsste ganz einfach nicht mehr so wettbewerbsfähig sein.  

Schwarz hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Etwas salopp (und ja, wir wissen, auch leicht sexistisch) ausgedrückt, kann man sagen: Die Schweiz benimmt sich wie eine Frau, die sich herausputzt und sich dann wundert, dass ihr die Männer nachschauen.

Steuerwettbewerb als Fetisch

Jedes Mal sind wir stolz, wenn das WEF oder sonst eine Organisation uns zum wettbewerbsfähigsten Land der Welt erklärt. Wir schätzen es, wenn die OECD uns ein glänzendes Zeugnis ausstellt und nur Kleinigkeiten bemängelt, und wir sind geschmeichelt, wenn unsere tiefen Steuern und unsere hohe Lebensqualität gelobt werden.  

Plakate vom ueberparteilichen Komitee haengen anlaesslich des Kampagnenstarts "Nein zur Unternehmenssteuerreform USR III" an einer Scheibe, am Dienstag, 29. November 2016, in Bern. (KEYSTONE ...
Die Linken bekämpfen die Reform.Bild: KEYSTONE

Der Steuerwettbewerb ist uns fast so heilig wie die Neutralität. Wie der Kanton Zug in der Schweiz locken wir weltweit mit tiefen Steuern ausländische Unternehmen an, und weil viele kommen, können wir ihnen auch eine moderne Infrastruktur und ausgezeichnete Spitäler, Schulen und Universitäten anbieten.  

Ideales Wirtschaftswachstum

Das «Modell globaler Kanton Zug» funktioniert, zumindest vordergründig. In den letzten 15 Jahren hatten wir wirtschaftlich gesehen fast ideale Zustände: Jahr für Jahr ist unser Bruttoinlandprodukt (BIP) zwischen 1,5 und 2 Prozent gewachsen. Die Wirtschaft hat sich so weder überhitzt, noch ist sie eingebrochen. Auch den Frankenschock hat sie erstaunlich gut verdaut.  

Auf den zweiten Blick zeigen sich die Schattenseiten: In den letzten zehn Jahren sind jährlich durchschnittlich 170'000 Menschen ein- und 100'000 Menschen wieder ausgewandert. Die Nettozuwanderung entspricht somit etwa der Bevölkerung einer Stadt wie Luzern. Zudem reisst die Dynamik des Wohnungsmarktes auch die Einheimischen mit. Sie zwingt sie zum Umzug, zu längeren Arbeitswegen, und so weiter. 

Zwei Plakate mit "Steuerreform JA" an der Medienkonferenz des ueberparteilichen Komitees "Steuerreform JA", am Dienstag, 29. November 2016 in Bern. Die buergerlichen Parteien stehe ...
Wirtschaft und Bürgerliche sind dafür.Bild: KEYSTONE

Für die Volkswirtschaft wirkt dies stimulierend. Jeder Nettozuwanderer beansprucht im Schnitt 45 Quardratmeter Wohn- und 15 Quadratmeter Arbeits-und Konsumfläche. Laut dem Immo-Monitoring-Büro Wüst & Partner kostet der Quadratmeter Wohnfläche rund 7000 Franken, wovon etwa 4000 Franken BIP-relevant sind. Das allein kostet jährlich rund 18 Milliarden Franken.

Die Wohlstandseffekte sind überschaubar

In der BIP-Statistik schlägt sich dies mit 2,8 Prozent nieder. Dazu kommen die Kosten für Inneneinrichtungen, Umzug, Wohnungssuche und der Ausbau der Infrastruktur. Über den Daumen gepeilt kann man sagen: Die Schweiz verbraucht derzeit rund vier Prozent ihres BIPs, um die Zuwanderung zu bewältigen. Das macht uns beschäftigt, aber macht es uns auch reich?  

Wohl eher nicht. Pro Kopf gerechnet ist unser BIP in den letzten neun Jahren gerade Mal um 3,5 Prozent gewachsen – insgesamt wohlverstanden, nicht jährlich. Zieht man davon die hohen Umtriebe der Zuwanderung ab, bleibt wenig bis nichts. Zudem werden die Gewinne dieses Wachstums sehr ungleichmässig verteilt.  

JAHRESRUECKBLICK 2016 - JUNI - Gigantische Schlange von Wohnungssuchenden bei der Besichtigung einer Musterwohnung der Wohnungssiedlung Kronenwiese im Zuercher Quartier Unterstrass am Freitag, 3. Juni ...
Hunderte bewerben sich für eine günstige Wohnung in der Überbauung Schindlergut in Zürich.Bild: KEYSTONE

In jedem Quadratmeter Wohnfläche stecken rund 3000 Franken Bodenrente. Allein dafür haben die Zuwanderer via ihre Mieten ein Eintrittsgeld von rund 14 Milliarden Franken an die Bodenbesitzer bezahlt.  

Tiefe Zinsen und ein ausgetrockneter Wohnungsmarkt haben zudem die Immobilienpreise explodieren lassen. So hat Wüest & Partner ausgerechnet, dass allein im Jahr 2015 die Wertsteigerung bei Mietwohnungen 40 Milliarden Franken betrugen. Rechnet man die Wertsteigerung bei Wohneigentum dazu, kommt man auf insgesamt 110 Milliarden Franken.  

Die Zeche für diese Wertsteigerung bezahlen Mieter und junge Haushalte, die Wohneigentum zu übersetzten Preisen erwerben müssen. Zudem hat sich das Schweizer Finanzsystem mit dem Immobilienboom eine Zeitbombe gebastelt. Sie wird explodieren, sollte die Nettozuwanderung nachlassen oder die Zinsen steigen.

Die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative zeigt, dass der politische Spielraum eng geworden ist. Wir können nicht gleichzeitig die Zuwanderung beschränken und die bilateralen Verträge mit der EU behalten. Wir können uns nur mit faulen Kompromissen darüber hinwegtäuschen.  

Rund drei Milliarden Franken werden fehlen

Bei der Unternehmenssteuerreform III geraten wir in ein ähnliches Dilemma: Möglicherweise können wir so das «Modell globaler Kanton Zug» retten und die ausländischen Unternehmen im Land behalten. Wir werden dann weiterhin die Ranglisten von WEF & Co. anführen und von der OECD gute Zeugnisse erhalten.

Wollen wir hingegen weniger Zuwanderer, ist die Unternehmenssteuer III keine gute Idee. Immerhin wird sie uns geschätzte Steuerausfälle von rund drei Milliarden Franken bringen und ohne neue Zuwanderer wird der Schweizer Mittelstand dafür gerade stehen müssen.

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137 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Martin C.
09.01.2017 11:41registriert Dezember 2016
Der schleichende Niedergang des Mittelstandes wird fortgeführt. Für jede Unternehmersteuerreform muss der Mittelstand aufkommen. Die Lohnschere öffnet sich munter weiter. Seltsam, dass das Volk immer wieder auf die Angstmachereitaktik der Befürworter hereinfällt.
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N. Y. P. D.
09.01.2017 11:11registriert Oktober 2015
Mit tiefen Steuern locken wir ausländische Unternehmen ins Land und beklagen uns, wenn der Ausländeranteil steigt.

ENDLICH !

In einem Satz bringt es watson auf den Punkt. Und zwar wie die SVP funktioniert. Die SVP will sehr tiefe Unternehmenssteuern, die natürlich ausländische Firmen anzieht und wiederum Einwanderung generiert.
Und für die Stammtische im Land wettert* die SVP dann gegen die Einwanderung. Genau das ist schizophren. Aber natürlich auch sehr gerissen.

*zwecks Erhöhung des Stimmenanteils
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piedone lo sbirro
09.01.2017 14:00registriert November 2016
wer meint, dass die internationale konkurrenzfähigkeit der schweiz vom steuerfuss abhängt, hat nichts vom erfolgsmodell schweiz verstanden.
entscheidend für produzierende unternehmen sind infrastruktur, verfügbarkeit von gut ausgebildeten arbeitskräften, verfügbarkeit von kapital und innovation in forschung und entwicklung.

auf tiefe steuern sind nur holding-briefkastenfirmen angewiesen die keine arbeitskräfte schaffen.
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