Aufgepasst, «Potter»-Fans: Wenn ihr kontroverse Meinungen zu Harrys Universum und dessen Erschafferin nicht ertragen könnt, ist das hier vielleicht nicht die richtige Lektüre. Es ist kein Liebesbrief – und das, obwohl ich selbst leidenschaftlicher Fan bin.
Aber genau das ist der Punkt: Ich bin Fan von «Harry Potter», nicht von J.K. Rowling. Gegen die hege ich mittlerweile einen echten Groll. Denn die Art, mit der sie mit Kritik umgeht, macht mich wütend.
«Harry Potter» hat mein Leben verändert. Das ist keine liebestrunkene Fan-Floskel, ich meine das vollkommen ernst: Als «Harry Potter and the Deathly Hallows» im Sommer 2007 erschien, war ich 15 Jahre alt, Hardcore-Fan und zu ungeduldig, um drei Monate auf die deutsche Fassung zu warten. Also wagte ich mich ans englische Original – und landete dann später im Anglistik-Studium. Thank you, Harry. Und thank you, J.K., denn natürlich weiss ich, dass ich ihr das Ganze zu verdanken habe.
Was mich allerdings nicht dazu verpflichtet, ihr in der realen Welt des getwitterten Wortes die Füsse zu küssen. Denn dort versucht sie krampfhaft, dem in den «Harry Potter»-Büchern vermittelten Weltbild des weissen, heterosexuellen Zauberers ein bisschen mehr Farbe hinzuzufügen.
.@claraoswiin But of course. pic.twitter.com/Galu47MT4X
— J.K. Rowling (@jk_rowling) 16. Dezember 2014
An sich eine tolle Message. Natürlich geht es dabei nicht um den wortwörtlichen, sondern den metaphorischen Schrank: Rowling will uns damit vermitteln, ihre Geschichte setze sich für das freie Ausleben jeglicher Sexualität ein, als Antwort auf die hoffnungsvolle Theorie eines Fans, Hogwarts sei ein sicherer Ort für die LGBT-Community.
Mein Problem damit: Eine solche Community gibt es in Hogwarts leider einfach nicht.
Bevor ihr jetzt aufschreit: «Aber was ist mit Dumbledore?» – Ja, sicher, inzwischen gilt die von Rowling 2007 bei einem Q&A in New York herausposaunte Enthüllung um Dumbledores (Homo-) Sexualität als Fakt. Da gibt es allerdings gleich mehrere Haken:
Es ist diese nachträgliche Bearbeitung von bereits bestehendem Material, die mich so stört. Und die will einfach nicht enden. «Heiligtümer des Todes» mag 2007 erschienen sein – aber Rowling hat in diesen vergangenen elf Jahren nie aufgehört, an der Geschichte herumzubasteln.
Zahllose Male wurde Rowling vorgeworfen, in «Harry Potter» kein sonderlich diverses Gesellschaftsbild zu präsentieren: Nicht nur Sexualität wirkt darin sehr eindimensional, auch Religion und Nationalität sind in nur wenigen bis gar keinen Facetten vertreten. Und dagegen versucht Rowling seitdem vorzugehen – mit einem Twitter-Feldzug.
.@benjaminroffman Anthony Goldstein, Ravenclaw, Jewish wizard.
— J.K. Rowling (@jk_rowling) 16. Dezember 2014
Ein Fan twitterte: «Meine Frau sagt, es gebe keine Juden in Hogwarts. Ich bin Jude, also schätze ich, sie hat das nur gesagt, um die einzige Hexe in der Familie zu sein.» Woraufhin Rowling antwortete: «Anthony Goldstein, Ravenclaw, jüdischer Zauberer.»
Ja, der gute Anthony spielte tatsächlich nie eine bedeutende Rolle und war einfach bloss ein Ravenclaw-Platzhalter in «Dumbledores Armee». Seine Religion? Wenn überhaupt, dann Nebensache, wie auch die jedes anderen Charakters in «Harry Potter». Damit habe ich persönlich kein Problem; eine Geschichte, die nicht nur Religion, sondern auch Nationalität, Sexualität, Bildung, etc. pp. in so vielen Facetten darstellt, dass sich niemand je ausgeschlossen fühlen könnte, möchte ich nicht lesen. Eine bereits bestehende Geschichte, die in irgendeiner dieser Richtungen Defizite hat, allerdings mit schnippischen Twitter-Ergänzungen nachträglich aufzuhübschen, ist für mich Schummelei.
.@ridd1kulus No, there was mutual respect and a sense of kinship between all wizards, no matter what their race.
— J.K. Rowling (@jk_rowling) 8. März 2016
@_Paaulaisadora Only by ludicrous Muggles. The wizards don't give a damn - it's all about the magic for them.
— J.K. Rowling (@jk_rowling) 7. September 2014
Auf Twitter, wohlbemerkt – nicht in den Büchern. Denn obwohl sie schreibt, ...
To everyone asking whether their religion/belief/non-belief system is represented at Hogwarts: the only people I never imagined there 1/2
— J.K. Rowling (@jk_rowling) 16. Dezember 2014
are Wiccans.
— J.K. Rowling (@jk_rowling) 16. Dezember 2014
... Wiccans (Wicca ist die Religion der Hexen) seien die einzigen Religionsanhänger, die sie in Hogwarts nicht sehen könne, weil deren Konzept von Magie mit dem aus den Büchern kollidiere, stellt sich eine Frage: Wieso sieht man von diesen ganzen Religionen dann nichts? Weihnachten und Ostern feiert Harry zwar, aber nicht in ihrem ursprünglichen religiösen Kontext. Rowling macht es sich mit ihrer Behauptung sehr leicht: Indem sie gar keine Religion zeigt, ist es einfach, zu behaupten, alle seien vertreten. Nur eben nicht sichtbar.
Harry, Ron und Hermine sind weiss – davon gingen die meisten Leser immer aus. Warum? Vielleicht wegen ihrer Film-Darsteller.
Die potentielle Ausnahme: Hermine, die in den Büchern lediglich als braunäugig und kraushaarig beschrieben wurde und somit Spielraum bezüglich ihrer Hautfarbe lässt. Als 2015 Noma Dumezweni, eine dunkelhäutige Schauspielerin, für das Theaterstück «Harry Potter and the Cursed Child» in der Rolle der Hermine gecastet wurde, war der Aufruhr gross. Und plötzlich warf Rowling auch auf Twitter die Möglichkeit in den Raum, Hermine sei schon die ganze Zeit dunkelhäutig gewesen:
Canon: brown eyes, frizzy hair and very clever. White skin was never specified. Rowling loves black Hermione 😘 https://t.co/5fKX4InjTH
— J.K. Rowling (@jk_rowling) 21. Dezember 2015
Aber dann auch richtig – nämlich von Anfang an, nicht nachträglich per Twitter-Fussnote eingefügt. Auf mich macht das den Eindruck, als habe Rowling die Bücher so «clean» wie möglich halten wollen, indem sie Themen wie Religion, Nationalität und Sexualität aussen vor liess, und auch über ein Jahrzehnt später noch immer je nach Lust und Laune dort ergänzt, wo die Kritiker ansetzten. Denn wenn jemand den Vorwurf äussert, es gebe nicht genug sexuelle oder religiöse Vielfalt in «Harry Potter», ist es nicht genug, diesen Makel mit einem «Ach, habe ich das nie erwähnt? Dumbledore ist übrigens schwul und Nebencharakter #5674 ist Jude!» auszubessern.
Vor allem, wenn man nicht konsequent genug ist, diesen Nachtrag dann auch in den «Phantastische Tierwesen»-Prequels offen und ehrlich durchzuziehen – sowohl in sexueller als auch in religiöser Hinsicht: Dumbledore und Grindelwald, sein Widersacher und Voldemorts Vorgänger, gelten zwar als homosexuell, zeigen es aber kaum (bis gar nicht), und Tina und Queenie Goldstein scheinen Anthonys Vorfahren zu sein, sind aber offenbar (?) keine praktizierenden Juden. Aber über die Prequels habe ich mich schon lang und breit hier ausgelassen.
Wenn ihr die Energie aufbringen könnt, jeden einzelnen «Potter»-Tweet von Rowling und jeden Artikel auf «Pottermore» zu lesen, wo nicht nur die Autorin, sondern ein ganzes Team an Leuten die Geschichte mit weiteren Informationen aufbauscht, ziehe ich meinen Hut vor euch. Mich persönlich stresst diese «Extended Version» einer Story, die ich in- und auswendig zu kennen glaubte, nur.
Ständig kommt etwas Neues dazu, das bereits Gelerntes teilweise so abändert, dass ich mich – und mein Herz blutet bei dieser Einsicht – inzwischen nicht mehr zu 100% auskenne im «Potter»-Universum. Und vielleicht entspricht meine Version der Geschichte mittlerweile gar nicht mehr der von Pottermore und Twitter-Rowling ergänzten Story. Ich werde es nie erfahren.
Denn inzwischen ist der Zug so dermassen abgefahren, dass ich wohl mehrere Wochen bräuchte, um mich durch sämtliches neues Material zu lesen. Und das ist eine Arbeit, die ich nicht leisten will – denn «Harry Potter» gefällt mir so, wie es ist. Ohne Pottermore. Ohne Twitter. Und, ja, ohne J.K. Rowling, die nach all den Jahren immer noch nicht aufgehört hat, an ihrer längst publizierten Geschichte weiterzuschreiben.