Noch nicht einmal zwölf Monate ist Gianni Infantino im Amt und schon hat der neue FIFA-Präsident sein grösstes Wahlversprechen eingelöst. 2026 werden an der WM 48 statt wie bislang 32 Nationen teilnehmen. Er schlägt damit zwei Fliegen mit einer Klappe: Mehr WM-Plätze bedeuten höhere Teilnahme-Chancen für die Kleinen, die Infantino bei den nächsten Wahlen die entscheidenden Stimmen bringen sollen. Und dann ist da ja auch noch das Geld: Statt 64 Spiele werden ab 2026 80 Partien ausgetragen. Mehr Spiele heisst automatisch: mehr Einnahmen.
3,3 Milliarden Euro Gewinn machte die FIFA mit der WM 2014 in Brasilien. Nach Ausschüttung der Prämien für die Teilnehmer-Länder, die restlichen FIFA-Mitglieder und die Vereine, welche ihre Spieler abstellten, blieb dem Weltverband die Rekordsumme von 1,6 Milliarden Euro. Geld, das natürlich wieder in den Fussball investiert wird. Zumindest, wenn man der FIFA Glauben schenkt.
Dank der neuen Mammut-WM werden die Einnahmen also weiter nach oben steigen. Für 2026 wird mit einer Zunahme von rund einer Milliarde Euro gerechnet, der Gewinn soll um rund eine halbe Milliarde Euro höher ausfallen als zuletzt in Brasilien. Die negativen Aspekte des neuen 48er-Modus werden grosszügig ausgeblendet, aufkommende Kritik wird weggelächelt.
Dass Absprachen in der Gruppenphase möglich sind, die Qualität des Turniers leiden wird und das Interesse an der aufgeblähten WM mit 80 Spielen schwinden könnte, nimmt die FIFA in Kauf. Schliesslich gilt es die Cashcow zu melken, so lange sie noch ausreichend Milch gibt.
Dass der Schuss auch nach hinten gehen kann, hat die UEFA in den letzten Jahren schmerzlich erfahren. Ihr Vorzeigeprodukt Champions League, das 1993 die Kommerzialisierung des modernen Fussballs initiiert hat, ist ins Wanken geraten. Die Einschaltquoten sind zwar nach wie vor hoch, doch in der Gruppenphase geraten sie immer stärker unter Druck. Duelle wie Ludogorez Rasgrad gegen Basel oder Rostow gegen Eindhoven locken ausser in den Heimatländern der Klubs kaum Zuschauer vor den TV.
Dabei hat die UEFA seit der Gründung der Champions League alles daran gesetzt, die «Liga der Besten» optimal zu verkaufen und zu vermarkten. Von zunächst acht Teams ist das Teilnehmerfeld der Gruppenphase ständig vergrössert worden. Seit der Saison 1999/2000 kämpfen 32 Teams um den Titel, die Qualifikation eingerechnet sind es gar 78.
Doch die UEFA hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Durch die ständig steigende Kommerzialisierung hat sich der europäische Klubfussball in eine Zweiklassen-Gesellschaft entwickelt. Auf der einen Seite die Grossklubs wie Bayern München, Manchester United oder Real Madrid, auf der anderen die (international gesehen) Kleinen wie der FC Basel, Salzburg oder Ajax Amsterdam.
Weil sich die Grossen dank ihrer wirtschaftlichen Anziehungskraft stets die besten Spieler leisten können, ist die Kluft zwischen ihnen und den Kleinen immer grösser geworden. Der letzte Champions-League-Sieger, der nicht stets im Konzert der Grossen mitspielt, war 2004 der FC Porto. Kantersiege der Topklubs sind in der Gruppenphase nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel geworden. Und spätestens ab den Achtelfinals spielen sie ohnehin unter sich, die Gruppenspiele drohen in der Bedeutungslosigkeit zu versinken.
Kein Wunder, mucksten die Topklubs zuletzt auf. Weil auch ihnen nicht entging, dass sich Duelle mit den grossen Rivalen besser vermarkten lassen, drohten sie auszusteigen und eine eigene «Superliga» zu gründen. Die UEFA musste einlenken, denn eine Champions League ohne Topklubs würde nicht mehr genügend Gewinn abwerfen. Ab der Saison 2018/19 gibt es deshalb einen neuen Verteilschlüssel für die Startplätze der Gruppenphase.
16 – also genau die Hälfte – sind dann für die vier besten Teams der vier besten Ligen Europas (derzeit jene aus Spanien, Deutschland, England und Italien) reserviert, zwei gehen für den Titelverteidiger und den Europa-League-Sieger drauf; acht Plätze erhalten die Ligen, die in der Fünfjahreswertung die Positionen fünf bis zehn belegen (derzeit Frankreich, Portugal, Russland, die Ukraine, Belgien und die Türkei). Resteuropa kann die übrigen sechs Startplätze unter sich ausmachen.
Diktiert wurde die neue Champions-League-Reform von der European Club Association, der Interessenvertretung der europäischen Fussballvereine. Sie wurde seit ihrer Gründung im Jahr 2008 von Jahr zu Jahr mächtiger. In der Exekutive der ECA sitzen Vertreter von Bayern München, Real Madrid, Manchester United, dem FC Barcelona, Juventus Turin, Milan und Arsenal – dem «Who is Who» des europäischen Klubfussballs.
Auf Druck der ECA sperrt die UEFA die kleinen Klubs also kontinuierlich aus der Champions League aus. Der Grund ist klar: Die Topklubs sorgen für das Spektakel und generieren den Grossteil des Umsatzes. Im Gegenzug erhalten die Klubs mehr Planungssicherheit, weil selbst Rang 4 in der heimischen Liga für die Qualifikation für die Königsklasse reicht.
Langweilige Gruppenspiele, sinkendes Interesse, Diktat der Grossen: Droht der FIFA mit der WM in ferner Zukunft das gleiche Schicksal wie der UEFA mit der Champions League, wenn die grosse Investitionsblase platzt? Davon ist momentan nicht auszugehen. Anders als die Champions League findet die WM nur alle vier Jahre statt. Alle Augen sind dann auf das FIFA-Turnier gerichtet. Ausserdem finden deutlich weniger Gruppenspiele statt als in der Champions League, wo ja Hin- und Rückspiele ausgetragen werden.
Auch fehlt der grosse Gegenspieler, wie ihn die UEFA in der ECA hat. Solange sich die grossen Fussball-Nationen und ihre Verbände nicht auf eine gemeinsame Position verständigen können, hat die FIFA bei Modusänderungen freie Hand. Die Aufstockung auf 48 Teams wird den Weltverband in absehbarer Zeit also nicht schwächen. Im Gegenteil: Indem die FIFA die kleinen Fussball-Nationen einlädt statt aussperrt, ist ihre Position stärker denn je.