So mancher deutsche Fussballfan dachte sich nach dem erneuten Vorrunden-Aus an der Weltmeisterschaft 2022 wohl, dass es nicht mehr schlimmer kommen könne.
Fünf Spiele und nur einen Sieg später mussten diese jedoch realisieren, dass Deutschlands Nationalteam noch nicht am Tiefpunkt angekommen war. Nach Niederlagen gegen Polen und Kolumbien und nur ein knappes Jahr vor dem Eröffnungsspiel der EM 2024 plagen das DFB-Team fast überall Probleme.
Unsicherheiten, unnötige Fehler und, wie Joshua Kimmich sagt, «saudumme Gegentore». Dies fasst die Defensive der Deutschen in den letzten drei Partien, aber auch schon davor, ziemlich gut zusammen. 17 Gegentore kassierte Deutschland in den letzten zehn Spielen, nur gegen Oman und Peru spielte es zu null. Oftmals ging den Gegentoren eine Unaufmerksamkeit oder ein Patzer eines Verteidigers vorher. Es fehlt jegliche Stabilität. Experte Lothar Matthäus bilanzierte: «Aufbauspiel schlecht, Stellungsspiel schlecht.»
Dabei hätte Deutschland eigentlich die Qualität für eine gute Defensive. Mit dem noch verletzten Manuel Neuer und Vertreter Marc-André ter Stegen ist die Torhüter-Position hervorragend besetzt – und damit wohl die einzige Position, die keine Baustelle darstellt. Dazu kommt mit Antonio Rüdiger ein eigentlicher Weltklasse-Innenverteidiger, nur kommt dieser im Nationalteam nicht an seine Leistungen aus dem Klub heran. Und damit ist er nicht alleine. Weshalb? Eine mögliche Antwort sind Flicks viele Experimente. 21 Abwehrreihen probierte der 58-Jährige in 24 Spielen. Da ist es unmöglich für die Defensivkräfte, sich einzuspielen und aufeinander abzustimmen.
Dies wäre aber immens wichtig, damit Spieler wie Rüdiger oder auch Nico Schlotterbeck und Malick Thiaw, der in seinen ersten beiden Länderspielen zwei ordentliche Leistungen zeigte, ihr ganzes Potenzial ausschöpfen können. Immerhin scheint das Experiment Dreierkette nach drei Spielen endgültig gescheitert. Bereits nach dem ersten Gegentor beim 0:2 gegen Kolumbien und einer Absprache mit Leon Goretzka stellte Flick sein Team auf eine Viererkette um. So schnell dürfte das System mit drei Innenverteidigern nicht mehr zum Einsatz kommen, ab den Länderspielen im September könnte sich dann eine feste Viererkette einspielen.
Auch auf den Aussenverteidiger-Positionen muss Flick einige Probleme beheben. Anders als im Abwehrzentrum scheint die Auswahl an Spielern von internationaler Klasse hier aber beschränkt. Doch gerade darin liegt die Aufgabe eines Nationaltrainers: aus den bestehenden Möglichkeiten das Optimum herauszuholen. Bisher versuchte Flick es oft mit Aussenverteidigern mit viel Offensivdrang, wie beispielsweise Robin Gosens, David Raum oder Marius Wolf.
Dadurch fehlen diese gerade bei Kontern aber in der eigenen Hälfte, was für zusätzliche Instabilität in der Defensive sorgt. Dies hängt auch damit zusammen, dass die deutsche Abwehrreihe im Ballbesitz weit aufrückt und sehr hoch steht. Nicht zuletzt gegen die Ukraine führten die vielen Räume, die sich dem Gegner ergaben, zu Gegentoren.
Es scheint also dringend nötig, auch hier umzustellen. Defensiv orientierte Aussenverteidiger würden auch den beiden Innenverteidigern zusätzliche Sicherheit geben. Mit dem nicht nominierten Freiburg-Captain Christian Günter brachte TV-Experte Bastian Schweinsteiger zuletzt eine interessante Option für die linke Seite ins Spiel. Rechts ist es etwas schwieriger, eine gute Alternative zu finden. Vielleicht braucht es da eine etwas unkonventionelle Lösung, die aber schon mal funktioniert hat. Wie einst Philipp Lahm könnte Joshua Kimmich auf die rechte Verteidigerposition zurückkehren, um die dortige Lücke zu füllen.
Wenn man an die erfolgreichen Zeiten der deutschen Nationalmannschaft in den letzten 15 Jahren zurückdenkt, hatte die Mannschaft immer einen klaren Sechser, der seinem Nebenmann offensiv den Rücken frei hielt. 2010 und 2012 war es ein Sami Khedira, der Bastian Schweinsteiger defensiv absicherte. Beim WM-Gewinn 2014 schlüpfte Schweinsteiger dann – vor allem im Endspiel gegen Argentinien – selbst in die Rolle des Kämpfers, um Toni Kroos die offensiven Freiheiten zu geben, die er brauchte.
Im aktuellen Kader fehlt dieser klassische Abräumer, der sich nicht zu schade ist, auch mal einen Gegner an der Mittellinie umzuräumen. Joshua Kimmich, Leon Goretzka oder Ilkay Gündogan gehören auf ihrer Position zur Weltklasse. Letzterer führte Manchester City als Captain gar zum Triple-Gewinn. Doch sind sich diese drei in ihrer Spielweise und ihrem Offensivdrang zu ähnlich. Keiner von ihnen übernimmt genügend Verantwortung in der Defensive. Dabei hätte zumindest Joshua Kimmich die Fähigkeiten, in die Rolle des Abräumers zu schlüpfen.
Der Bayern-Spieler bringt die nötige Mentalität, den Biss und eigentlich auch die defensiven Qualitäten mit. Sein Problem scheint momentan aber vor allem zu sein, dass er zu viel will. Kimmich ist auf dem Spielfeld überall zu finden, fehlt aber zu oft dort, wo er eigentlich sein sollte. Der 28-Jährige vernachlässigt seine Aufgaben als Sechser und schaltet sich häufig zu sehr in die Offensive ein. In einem System mit zwei zentralen Mittelfeldspielern ist dies allerdings tödlich.
Bei einem Ballverlust ist die Abwehr so häufig auf sich allein gestellt, und wenn die beiden Aussenverteidiger ebenfalls mit aufgerückt sind, kann der Gegner teilweise sogar in Überzahl kontern. Flicks Aufgabe muss es nun sein, dem deutschen Lautsprecher klarzumachen, wo seine Aufgaben liegen und wie er diese in Zukunft umzusetzen hat. Wenn Kimmich nämlich mal in einer Reihe mit den ganz grossen deutschen Spielern der letzten Jahre wie Philipp Lahm oder Bastian Schweinsteiger genannt werden will, muss er sich in den Dienst der Mannschaft stellen und seine Rolle akzeptieren.
Bereits vor der WM in Katar wurde die Debatte um einen echten Neuner immer wieder geführt. Deutschland würde ein echter Stürmer fehlen, wie es Gerd Müller, Jürgen Klinsmann oder Miroslav Klose waren. Die Verantwortung dafür liegt unter anderem beim Verband. In der Nachwuchsarbeit des DFB wurde es verpasst, solche Spielertypen zu fördern. Vielmehr wurde der Fokus auf technische Beschlagenheit gelegt. Deshalb hat der Weltmeister von 2014 aktuell auch viele ähnliche Spielertypen im Team, wie es beispielsweise Kai Havertz, Jamal Musiala oder auch Florian Wirtz sind.
Es sind alles hochveranlagte Spieler, die jedoch kaum alle gemeinsam aufgestellt werden können, da der Platz im offensiven Mittelfeld beschränkt ist. Um dies zu umgehen, wurde Havertz häufig in der Sturmspitze aufgestellt. Dass der Chelsea-Star seine Fähigkeiten im Sturm aber nicht optimal ausspielen kann, ist auch in der Premier League offensichtlich geworden.
Seine statistisch gesehen besten Saisons spielte der 24-Jährige zwischen 2018 und 2020 bei Bayer Leverkusen – vorwiegend als Zehner. Dort sammelte er jeweils 27 Skorerpunkte. Zahlen, die er beim FC Chelsea als Mittelstürmer nicht annähernd erreichen konnte. Warum Flick ihn in der Nationalmannschaft dennoch immer wieder als Stürmer aufbietet, bleibt sein Geheimnis. Zumal man mit Niclas Füllkrug die Lücke im Sturm eigentlich bereits perfekt geschlossen hat.
Der Stürmer von Werder Bremen bewies, dass er die Qualitäten hat, die man sich von einem Stürmer wünscht: Er schiesst Tore. In bislang neun Länderspielen traf er siebenmal und dabei wurde er sechsmal nur eingewechselt und spielte nie über 90 Minuten. Im Schnitt trifft der 30-Jährige für den vierfachen Weltmeister alle 51 Minuten. Eine Statistik, die jedem Stürmer eigentlich einen Stammplatz garantieren sollte.
Unter anderem im Sturm zeigt sich aber eines der grossen Probleme der deutschen Mannschaft. Flick scheint nicht nur nach Leistung, sondern auch nach Namen aufzustellen. Dadurch kommt es auch vor, dass ein Spieler nicht auf seiner besten Position aufläuft und so nicht annähernd an seine Topform herankommt.
Dies zeigt sich auch am Beispiel Gündogan. Während er bei Manchester City vor allem im zentralen Mittelfeld brilliert, wurde der Triple-Gewinner gegen Kolumbien offensiv halblinks aufgestellt. Eine Position, auf der die Qualitäten des 32-Jährigen völlig verschenkt schienen. Zumal Musiala oder Havertz für die Position hinter der Sturmspitze prädestiniert wären.
Die Nomination von Emre Can als Abwehrchef in der Dreierkette sorgte ebenfalls für Fragezeichen. Bei Dortmund wird er dort nur bei Verletzungen des Stammpersonals aufgestellt, da er seine Stärken im Mittelfeld deutlich besser ausspielen kann. Dort kann er nämlich auch mal nach vorne preschen oder bei Pässen und in Zweikämpfen Risiko eingehen, da hinter ihm jemand da ist, um abzusichern.
Die ersten zwei Jahre unter Hansi Flick deuten darauf hin, dass sich im Vergleich zur Ära Joachim Löw nicht viel geändert hat. Dabei sollte die Veränderung auf dem Trainerposten etwas Neues bringen, schliesslich verliefen die letzten drei Jahre unter Löw mehr als enttäuschend. Doch weiterhin wird bedingungslos an gewissen Spielern festgehalten, fehlt in der Defensive die Stabilität und offensiv ein klares Konzept. Dabei wäre es gerade am Trainer, den Spielern mit einem vorgegebenen System Sicherheit zu geben – und sie nicht mit ständigen Experimenten zu verunsichern.
Das deutsche Team lässt aber auch die Aufopferungsbereitschaft und den nötigen Einsatz vermissen. «Wo ist der deutsche Fussball geblieben?», fragt der frühere Bundestrainer Berti Vogts. Er vermisse den Mut, den Spielwitz und die deutschen Tugenden. So spiele keine deutsche Mannschaft, sagt der 76-Jährige und fügt an: «Ich kann nachvollziehen, dass sich die Fans mit diesem Fussball nicht identifizieren können und mit der Nationalmannschaft fremdeln.»
Die Aussagen von Vogts dürfen nicht als Stammtisch-Parolen («Das sind doch keine echten Deutschen» oder «Die identifizieren sich nicht mit dem Land») interpretiert werden. Vielmehr geht es darum, dass bei Deutschland eigentlich immer das Team als Star galt. Natürlich gab es einzelne Stars, die hervorstachen, doch kämpfte jeder für den anderen und merzte auch mal einen Fehler eines Mitspielers aus. Nun scheint es, als würden 11 Individualisten ihr eigenes Spiel spielen, anstatt ein gemeinsames System, ein gemeinsames Ziel zu verfolgen.
Das macht ein erfolgreiches Team jedoch aus. Mit der richtigen Einstellung können auch Gegner, die auf dem Papier über mehr Qualität verfügen, geschlagen werden. Zuletzt hat dies Argentinien bei der WM in Katar bewiesen, Deutschland startete im WM-Final 2014 unter anderem mit Benedikt Höwedes und Christoph Kramer. Zum damaligen Spirit gilt es nun zurückzufinden.
Wie gross die Aussagekraft der letzten Partien wirklich ist, kann selbstverständlich angezweifelt werden. Schliesslich sind es drei Testspiele am Ende einer langen Saison. Aber die Dringlichkeit hätte Flick und seinen Spielern spätestens im Spiel gegen Kolumbien bewusst sein sollen. Ausserdem wird die Zeit knapp. Bis zur EM sind es noch 360 Tage, bis dahin wird Deutschland ausschliesslich Testspiele bestreiten. Viele Möglichkeiten haben Flick und Co. also nicht mehr, um die bestmögliche Aufstellung zu finden.
Unter anderem deshalb ist der Trainer bei Sportdirektor Rudi Völler und den weiteren Verantwortlichen beim DFB noch kein Thema. Auch nach dem 0:2 gegen Kolumbien stärkte Völler dem Mann an der Seitenlinie den Rücken. Dennoch wird der Druck auf Flick immer grösser.
Allerdings ist Flick jetzt schon zwei Jahre im Team und seit dem hat sich gar nichts verändert. Er experimentiert immer noch massiv.
Warum ein Lücke im Sturm nicht von Anfang an ran darf kapiere ich einfach nicht.
Bestes Beispiel dafür ist,daß Flick Süle vor den Bus geworfen hat,ohne Not+nach einer mehr als guten Saison mit Dortmund.
Oder daß er keine Kritik an den Spielern zulassen will (was aber dann Völler mit voller Breitseite tut)
Wie will man Teamgeist formen,wenn der Trainer schon jegliche Loyalität vermissen läßt?
Wie kann man den "6er" Kimmich erfolglos miese Ecken treten lassen+sich dann wundern,daß hinten die Absicherung fehlt?
Lernt man schon in der F-Jugend.
1 Problem neben vielen anderen ist die Unfähikgkeit Flick