Nur noch einen Sieg sind die vier NFL-Teams davon entfernt, in den Superbowl einzuziehen. Nach spektakulären Viertelfinals stehen am Sonntag die Halbfinals in der American-Football-Liga an und man verspricht wohl nicht zu viel, wenn man von den vier besten Teams der Liga spricht.
In der NFC treffen mit den Philadelphia Eagles und den San Francisco 49ers die beiden besten Teams der Regular Season aufeinander, in der AFC treffen die erstplatzierten Kansas City Chiefs auf die drittplatzierten Cincinnati Bengals. Die Bengals befinden sich in bestechender Form, haben seit zehn Spielen nicht mehr verloren und beförderten am letzten Wochenende die zweitplatzierten Buffalo Bills aus den Playoffs. Die Spiele versprechen also viel Spannung.
Die Philadelphia Eagles und die San Francisco 49ers verfügen über zwei der lauffreudigsten Offensiven der Liga. Ausserdem verbindet die beiden Teams, dass sie nach zugelassenen Yards der Gegner über die besten Defensiven der gesamten NFL verfügen. Wer jetzt aber ein langweiliges, von Läufen und Defensivaktionen geprägtes Spiel erwartet, liegt falsch.
Denn sowohl Philadelphia als auch San Francisco können in jedem Spielzug überraschen. Die Eagles haben mit Jalen Hurts einen der aufregendsten Quarterbacks in ihren Reihen. Der 24-Jährige, der vor der Saison noch belächelt wurde, hat allen bewiesen, dass er ein Team zum Erfolg führen kann. Damit wird er auch den letzten Zweifler unter den Verantwortlichen in «Philly» davon überzeugt haben, dass er der Mann für Gegenwart und Zukunft ist.
Denn Hurts überzeugt nicht mehr nur durch seine Schnelligkeit und Wendigkeit, er hat auch als Passer einen grossen Schritt nach vorne gemacht. Immer wieder bedient er Passempfänger wie A. J. Brown oder Devonta Smith mit starken Zuspielen. Und für die Zuschauer ist er ein wandelndes Highlight-Video – jeder Spielzug könnte ein sogenanntes «Big Play» sein, bei dem ein grosser Raumgewinn oder ein Touchdown erzielt wird.
Demgegenüber steht mit Brock Purdy ein ebenfalls junger Quarterback. Der 23-Jährige wurde im letzten April im Draft an allerletzter Stelle ausgewählt und besitzt deshalb den Spitznamen «Mr. Irrelevant». Unbedeutend ist Purdy aber schon längst nicht mehr. Nach den Verletzungen des eigentlichen Stamm-Quarterbacks Trey Lance und dessen Ersatzmann Jimmy Garoppolo spielte er in sieben Spielen von Beginn an und gewann alle. Dabei überzeugte Purdy mit einer für einen Rookie untypischen Gelassenheit und Genauigkeit bei seinen Würfen.
Dabei profitiert er natürlich von der Kreativität von Head Coach Kyle Shanahan und der Explosivität seiner Mitspieler. Sowohl Runningback Christian McCaffrey als auch Allzweckwaffe Deebo Samuel oder Tight End George Kittle sind immer für ein «Big Play» gut. Die 49ers verfügen über eine der für Verteidigungen am schwierigsten zu entschlüsselnden Offensiven der Liga. San Francisco ist immer für eine Überraschung gut.
Für die Eagles wird entscheidend sein, ihre Wide Receiver genügend in Szene zu setzen. Dass dies gegen eine Defensive, die sich mit 20 Interceptions die meisten der NFL schnappte, nicht einfach wird, ist klar. Doch Hurts muss als Passer in Szene treten und sowohl Brown als auch Smith müssen immer wieder genügend Abstand zu ihren Gegenspielern erlaufen, um zum Erfolg zu gelangen. Denn auf dem Boden wird es noch viel schwieriger, Raumgewinn zu erzielen: Die 49ers verfügen nämlich über die beste Lauf-Defense der NFL. Ausserdem werden Nick Bosa und Co. die Offensive Line der Eagles und Quarterback Hurts immer wieder unter Druck setzen. Da müssen die Pässe sitzen.
San Francisco wird einmal mehr darauf hoffen, dass Coach Shanahan einen auf den Gegner zugeschnittenen Masterplan ausheckt. Der 43-Jährige wird als Offensivgenie betitelt, für die Defensive ist DeMeco Ryans zuständig. Ryans gilt bei verschiedenen Teams als Cheftrainer-Kandidat.
Shanahan wird erneut versuchen, es dem Rookie-Quarterback Purdy so einfach wie möglich zu machen. Gelingt das, hat dieser bereits bewiesen, dass er sein Team zum Sieg führen kann. Auch die O-Line der 49ers wird alle Hände voll zu tun haben, denn mit 70 Sacks ist die Defensive der Eagles mit Abstand am gefährlichsten.
Die Partie zwischen den Eagles und den 49ers verspricht sehr spannend zu werden. Die Buchmacher sehen Philadelphia leicht favorisiert und erwarten auch einige Punkte. Angesichts der Stärke der Offensiven überrascht dies wenig, aber auch Liebhaber von starken Defensivaktionen werden definitiv auf ihre Kosten kommen. Vor allem auch, weil die Schiedsrichter in den Playoffs deutlich kulanter sind und die gelbe Flagge eher mal stecken lassen, als ein etwas härteres Einsteigen gleich zu bestrafen.
Im Arrowhead Stadium dürfen die Zuschauer:innen auf ein regelrechtes Offensivspektakel hoffen. In der AFC treffen zwei passstarke Teams aufeinander, die sich bereits im letzten Jahr im Halbfinal begegneten und von denen man getrost sagen kann, dass sie sich spinnefeind sind. Dies zeigt auch die Aussage von Chiefs-Linebacker Willie Gay Jr., der auf die Frage, was ihn an der Offense der Bengals am meisten beeindrucke, antwortete: «Nichts.»
Not many words from #Chiefs LB Willie Gay today but one thing stood out.
— PJ Green (@PJGreenTV) January 26, 2023
“What impresses you about that Bengals offense?”
“Nothing.” pic.twitter.com/lp6KQ2HeAG
Auch hier treffen zwei junge Quarterbacks aufeinander. Anders als Hurts und Purdy haben sich diese beiden aber längst in der Riege der besten Spielmacher etabliert und nahmen bereits an mindestens einem Superbowl teil. Der 27-jährige Patrick Mahomes gewann in der Saison 2019/20 mit Kansas City gar den Titel. In diesem Jahr musste er sich aber umgewöhnen – sein liebster Wide Receiver, Tyreek Hill, unterschrieb in der Sommerpause in Miami.
Nun nimmt Tight End Travis Kelce eine noch grössere Rolle ein, dahinter verlässt sich Mahomes vor allem auf JuJu Smith-Schuster. Nicht wenige Experten glauben, dass die Offense der Chiefs jetzt noch besser ist, da sich die Last auf mehrere Schultern verteilt und sie noch variabler ist. An Mahomes' Fähigkeit, ein Team in jeder Situation zum Sieg zu führen, bestehen ohnehin keine Zweifel.
Nur steht ihm in Joe Burrow ein Mann gegenüber, der schon des Öfteren bewiesen hat, dass auch Mahomes schlagbar ist. Die letzten drei Begegnungen entschied Cincinnati allesamt für sich. Unter anderem drehten Burrow und Co. im letztjährigen Halbfinal einen 3:21-Rückstand und zogen so in den Superbowl ein. Dort unterlagen sie den Los Angeles Rams – in diesem Jahr soll der erste Titel der Franchise her.
Burrow begeistert vor allem durch seine Coolness in entscheidenden Situationen. Dabei kann er sich stets auf seinen Receiver Ja'Marr Chase verlassen, auch Tee Higgins und Tyler Boyd sind verlässliche Ziele für Zuspiele. Darauf werden sich die Bengals auch im Halbfinal wieder verlassen, denn die Chiefs sind im Passspiel durchaus anfällig – kein Team liess mehr Touchdown-Pässe zu als Kansas City.
Ein spannendes Duell wird jenes von Patrick Mahomes gegen die Zeit. Am letzten Samstag führte er Kansas City humpelnd zum Sieg über die Jacksonville Jaguars. Mit Blick auf den Halbfinal fragen sich alle: Wie fit ist der MVP von 2018 wirklich? Mahomes konnte ab Mittwoch vollständig am Training teilnehmen – aber wie ist es im Spiel? Wie reagiert sein Knöchel auf den Ernstkampf und wie mobil ist der ansonsten auch einmal für einen langen Lauf gute Quarterback?
OFF ONE FOOT. Mahomes to MVS!
— NFL (@NFL) January 22, 2023
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Ist Mahomes fit, macht es das für seinen Coach Andy Reid deutlich einfacher, einen siegbringenden Plan auszuhecken. Für die Cincinnati Bengals hingegen sorgt das für zusätzliche Probleme. Für die Chiefs wird entscheidend sein, weiterhin verschiedene Receiver einzusetzen und vor allem den Bengals-Cornerback Eli Apple, der nicht immer gut aussieht, herauszufordern.
Auch die Gäste haben Verletzungssorgen zu beklagen. Bei Cincinnati sind mehrere Spieler der Offensive Line verletzt. Wie viele der eigentlichen Stammspieler einsatzfähig sind, ist noch unbekannt. In jedem Fall wären sie extrem wichtig, da Kansas City über die zweitstärkste Verteidigung verfügt, wenn es darum geht, zum gegnerischen Quarterback zu gelangen und ihn zu Fall zu bringen. Wie gut die Bengals Burrow schützen können und wie viel Zeit sie ihm und damit auch den Wide Receivern verschaffen können, um auch einmal einen langen Pass anzubringen, wird mitentscheidend sein.
Auch hier gehen die Buchmacher von einer engen Partie aus, Kansas City wird leicht favorisiert. Wenn Patrick Mahomes fit ist, wird es für die Bengals enorm schwierig, aber auch Joe Burrow ist kaum zu stoppen – wie er nicht zuletzt gegen die Chiefs bereits mehrmals bewiesen hat. Möglicherweise wird am Ende den Unterschied ausmachen, welche Defense den besseren Tag hat oder das bessere Mittel findet, denn Schwächen sind bei den Offensiven kaum auszumachen.