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Du willst nur das Beste? Voilà:
Das Schwingen ist nicht so einig, wie es von aussen scheint. Im Eidgenössischen Schwingerverband (ESV) gibt es seit der Gründung im Jahre 1894 mächtige Strömungen, die immer wieder austariert werden müssen. Heftige Richtungskämpfe haben die Schwinger mehrmals so schwer erschüttert, dass sogar Könige wie Ruedi Hunsperger vom Bannstrahl der Gralshüter getroffen und vorübergehend exkommuniziert worden sind. Und die Rivalitäten zwischen den Teilverbänden sind so mächtig wie die zwischen den Nationalstaaten in Europa. Aber nie stand die Einheit, das starke, geeinte Auftreten nach aussen infrage. Was hält die Schwinger zusammen?
Es ist ein kluges System. Eine Synthese zwischen der Weisheit der Alten und der Dynamik der Jungen. Die Ehrenmitglieder behalten an der Generalversammlung lebenslänglich das Stimmrecht und verhindern übereilte Reformen und unüberlegte Modernisierungen. Der Macht der grossen Stände steht der erfolgreiche Behauptungswillen der Minderheiten gegenüber.
Von aussen erscheint der ESV dem Unkundigen als Monolith. Im Inneren ist er in fünf Teile aufgespaltet. In Regionen, die eigentlich der Administration des Staates Vorbild sein könnten. In die Teilverbände Nordostschweiz (NOSV), Nordwestschweiz (WSV), Innerschweiz (ISV), Bernbiet (BKSV) und Südwestschweiz (SWSV). Sie alle sind eigenständig, führen ihre eigenen Feste durch und treten nur beim «Eidgenössischen», wenn es gilt den König zu krönen, in direkte sportliche Konkurrenz. Dieses Fest der Feste wird im gleichbleibenden Turnus jedes Mal von einem anderen Teilverband organisiert. Kein Bestechen hilft, um das Fest zu bekommen.
Doch in keinem anderen Gremium wird die Autonomie der Regionen so gelebt wie im Eidgenössischen Kampfgericht. Es könnte als Vorbild für ein EU-Parlament dienen. Jeder der fünf Teilverbände darf einen Mann dorthin entsenden. Nach jedem Kampf (Gang) werden die Schwinger neu gegeneinander eingeteilt. Aber wer gegen wen? Die Paarungen werden nicht ausgelost. Unter sich machen die Vertreter der Teilverbände im Einteilungskampfgericht aus, wer gegen wen in die Hosen muss.
So lange wie möglich treten nicht zwei Schwinger aus dem gleichen Teilverband gegeneinander an. In der Praxis sieht das so aus: Der Berner ist einverstanden, dass sein Schwinger X gegen den Schwinger Y aus der Innerschweiz antritt, stellt aber zur Bedingung, dass sein Favorit Z gegen den Westschweizer M kämpfen darf. Der Innerschweizer will seinen Favoriten O schonen und versucht, die Zustimmung des Gremiums zu einer Einteilung gegen den Ostschweizer T zu bekommen.
Die einzelnen Einteilungskampfrichter kennen ihre Schwinger, wissen, gegen wen sie die besten Chancen haben. In intensiven Verhandlungen wird zügig, aber ohne Hast leidenschaftlich, aber immer im Dienste der Sache ausgehandelt, wer gegen wen antritt. Draussen warten über 50'000 Zuschauer und Hunderttausende vor dem TV-Schirm auf die Paarungen des nächsten Ganges. Ein Gremium, das unter höchster Belastung so zügig funktioniert, ein Parlament, in dem jeder seine Vorteile ins Spiel bringen darf und doch am Ende den Kompromiss akzeptiert, müsste auch in der Politik funktionieren. Die Bedingung ist aber, dass jeder seine Pappenheimer und die Materie ganz genau kennt. Was in der Politik bekanntlich nicht immer der Fall ist.
Das Geld hat die Aussenwelt neugierig gemacht auf die innere Welt der Schwinger. Wo die Sponsoren Schlange stehen, wollen alle hin. Und auch hier lernen wir etwas. Der Sport wird längst vom Geld regiert. Sponsoren und TV-Anstalten, die gigantische Summen für die Übertragungsrechte bezahlen, haben den Sport korrumpiert und setzen Anspielzeiten, Austragungsorte und Regeln durch.
Die Schwinger aber haben einen Weg gefunden, Geld zu nehmen und dafür nicht die Seele herzugeben – was ja auch so etwas wie ein Motto unserer Geschichte ist. Die Werbung haben sie ganz aus der Arena verbannt und auf Mann ist sie stark eingeschränkt. Jeder muss aus seinen Werbeverträgen zehn Prozent in die Verbandskasse abliefern – «Reichtumssteuer». Und die Hoheit über Termine und Austragungsorte liegt immer bei den Schwingern selbst.
Der Medien-Milliardenkonzern Ringier hat schon mehrmals vergeblich versucht, die Schwinger für ein «Masters» zu gewinnen. Ein Fest mit den «Bösesten» – im Schwingen sind die Besten böse – im Hallenstadion. Eine reine Kommerz-Veranstaltung, die der Medien-Gemischtwarenladen natürlich aufs Vortrefflichste zu vermarkten wüsste. Die Schwinger haben immer abgelehnt. Denn es wäre der Verkauf der Seele.
Die Bedeutung der TV-Präsenz haben auch die Schwinger erkannt. Aber sie haben ihre Seele dem Fernsehen nicht verkauft. Der TV-Vertrag bringt dem ESV nicht einmal eine sechsstellige Summe pro Jahr. Gemessen an den Einschaltquoten ist das weltweit der günstigste TV-Vertrag. Aber es gibt auch die andere Seite: Die Schwinger bekommen nicht so viel Geld, dass sie dann alle Wünsche des staatstragenden Fernsehens akzeptieren müssen. Sie bleiben eigenständig. Und in der öffentlichen Wahrnehmung sind sie inzwischen vom Alpöhi-Image weg in die Mitte gerückt und vom helvetischen Sonderfall zum schweizerischen Idealfall geworden.