Eine Szene, die sich Mitte August Jahr für Jahr zu wiederholen scheint: Die Sommerferien sind vorbei, es ist heiss und obwohl langsam die Erkenntnis ins Bewusstsein drängt, dass der Sommer nicht ewig dauert, scheint der Winter noch weit weg, so weit, dass es schwer ist, sich vorzustellen, dass in einem Monat bereits wieder Eishockey gespielt wird.
Es ist einer dieser heissen Augusttage, als Nico Hischier an einem Tisch in einem Berner Garten sitzt. Nach einem Sommer in Europa strahlt der Walliser eine innere Ruhe aus, die ansteckend wirkt. Die Zeit nach der Eishockey-WM in Prag hat er genutzt, um in seiner «Homebase» in Bern den Kopf zu lüften und mal an etwas anderes als Eishockey zu denken.
Inseln scheinen es dem jungen Mann aus dem Bergkanton besonders angetan zu haben. Zweimal machte er ein paar Tage Ferien auf Mallorca, einmal auf Ibiza und für ein Trainingslager reiste er nach Teneriffa. Die bevorzugte Reisebegleitung: sein Bruder und seine Schwester.
Aber eigentlich sind wir ja nicht hier, um über Ferien zu plaudern, sondern über Eishockey, den Sport, der Nico Hischier schon mit 17 Jahren auf die andere Seite des Atlantiks, nach Kanada, gelockt hat und ihn zu einer der grossen Schweizer Sportpersönlichkeiten gemacht hat.
Früh im Gespräch drängt sich die Frage auf, wie tief denn der Stachel des verlorenen WM-Finals mit der Schweizer Nationalmannschaft gegen Tschechien im vergangenen Mai noch sitzt. «Wenn ich per Zufall auf Social Media über das Tor von David Pastrnak stolpere, spüre ich die Enttäuschung schon immer noch ein bisschen», meint Hischier. Allen, die damals mit der Nati vor dem Fernseher oder live im Stadion mitgefiebert haben, dürfte es ähnlich gehen.
Aber Nico Hischier wäre wohl nicht der Captain der New Jersey Devils und auch nicht der erste und bislang einzige NHL-Nummer-1-Draft aus der Schweiz, wenn er keine Strategien hätte, um solche Enttäuschungen schnell abzuhaken und wieder nach vorne zu schauen. «Ich habe das gut verarbeitet. Mir hat es am meisten geholfen, die Tasche in den Keller zu stellen, Freunde und Familie zu treffen und mal nicht an Hockey zu denken. Ich habe aber schnell realisiert, dass das, was wir in Prag erleben durften, extrem cool war.»
Apropos Captain. Diese Rolle wurde dem heute 25-Jährigen bei den Devils schon im zarten Alter von 22 Jahren zugetraut. Und auf den ersten Blick scheint sie nicht so richtig zu diesem Mann zu passen, der – ganz der Schweizer – «nicht gerne im Mittelpunkt» steht und sich aus «gewissen Sachen gerne raushält». Doch die nunmehr acht Jahre in den USA und in Kanada haben ihre Spuren hinterlassen und Hischier schätzt, wie er erzählt, die offene Art der Menschen jenseits des Atlantiks. «Es ist gut, offen auf neue Leute zuzugehen und die eigene Komfortzone gelegentlich zu verlassen.»
Eine Captain-Pflicht, mit der sich Hischier aber bis heute nie so richtig anzufreunden vermochte, ist das Redenschwingen. «Es kostet mich viel Überwindung, an Charity-Events vor Leuten zu sprechen. Und dann noch auf Englisch. Aber dann verplappere ich mich halt ein paar Mal, das ist dann halt so. Dann kommen manchmal Sprüche von Mitspielern, aber im Nachhinein kann ich auch darüber lachen.»
Die vergangene NHL-Saison war für Hischier und sein Team keine einfache. Rund ein Monat war gespielt, als der Center einige Spiele verletzt passen musste. Und er war bei weitem nicht der einzige von Verletzungssorgen geplagte Devil. Auch Timo Meier, einer seiner drei Schweizer Teamkollegen, musste zeitweise aussetzen. Und dass das Verpassen der Playoffs für ein Team wie die New Jersey Devils eine herbe Enttäuschung war, versteht sich von selbst.
Für diese Saison hat das Team an der Ostküste aufgerüstet. Der Schwede Jacob Markström soll in der kommenden Saison als Nummer 1 das Tor hüten. Ein Zuzug, der vom Captain begrüsst wird: «Der Goalie ist im Hockey sehr wichtig, das sieht man bei den Topteams: Die haben meistens einen konstanten, soliden Torhüter zwischen den Pfosten.»
Die Verpflichtung des neuen Torhüters hatte zur Folge, dass mit Akira Schmid ein anderer Schweizer bei den «Swiss Devils» gehen musste. Er wurde nach Las Vegas getradet. In der NHL ist der Grat zwischen Erfolg und Bedeutungslosigkeit schmaler als anderswo und kein Spieler ist vor einem Trade in ein anderes Team, womöglich in einen entfernten Winkel des Landes oder über die Grenze nach Kanada, gefeit.
Das weiss auch der Captain: «Passieren kann das immer, das weiss jeder. Aber vielfach merkt man, wenn es so weit ist. Aber es gibt auch Spieler, die eiskalt erwischt werden. Ich weiss nicht, wie es sich anfühlt, weil es mir noch nie passiert ist. Es ist sicher nicht praktisch, vor allem, wenn man Familie hat. ‹But we sign up for that›», sagt Hischier, ganz der Profi, zu den Trades, die wie ein Damoklesschwert über den NHL-Spielern hängen.
Noch ist Hischier aber eine wichtige Stütze bei den Devils und wird dafür auch fürstlich entlohnt. In seiner Karriere hat er schon über 37 Millionen Dollar verdient. Für Hischier ist diese stolze Summe «ein Privileg, eine Sicherheit, eine Stabilität im Leben», mehr aber nicht. «Geld kann Dinge vereinfachen, aber schlussendlich gebe ich mein Geld vor allem gerne für Erinnerungen aus. Ich habe schon früh viel Geld verdient, aber das stand für mich nie im Vordergrund. Deshalb habe ich einfach normal weitergelebt.»
Wer so viel Geld verdient, könnte zum Beispiel bei einem Eishockeyverein einsteigen. Das scheint bei (Ex)-Natispielern ohnehin en vogue zu sein. So hat Nino Niederreiter beispielsweise in den EHC Chur investiert, Roman Josi und Mark Streit beteiligten sich am SC Bern. Hat Nico Hischier bei seinem Jugendverein, dem EHC Visp, Ähnliches vor? So weit in die Zukunft will der 25-Jährige noch nicht denken: «Ich weiss noch nicht, ob ich mich nach der Karriere mit Hockey auseinandersetzen möchte oder nicht. Ich bin noch einige Jahre jünger als Niederreiter und Josi und beschäftige mich aktuell noch nicht oft mit der Zeit nach dem Eishockey.»
Was Hischier aber weiss: Wenn seine Hockeykarriere einmal ein Ende nimmt, will er die Welt sehen: «Reisen steht bei mir ganz weit oben auf der Liste. Das würde ich gerne noch nachholen. Die meisten machen das Anfang 20, ich dann halt später. Wenn man älter ist, ist es bestimmt ein anderes Reisen, aber schön wäre es trotzdem.» Destinationen, die ihn reizen, sind Costa Rica, Südamerika oder Thailand.
Nico Hischier ist vieles, das sich gegenseitig auszuschliessen scheint: Er ist zurückhaltend, scheut öffentliche Reden und ist gleichzeitig der Captain einer Eishockeymannschaft in der weltweit besten Liga. Er ist ein Reisender, aber ein Walliser im Herzen. Er ist ein 25-jähriger Mehrfachmillionär, aber bescheiden.
«Ich lebe in zwei Welten», sagt Hischier, und er braucht beide, um im Gleichgewicht zu bleiben: «Hier in der Schweiz habe ich mehr Freizeit und bin nahe bei meiner Familie und meinen Freunden. Drüben bin ich viel am Reisen und überall, wo ich hingehe, geht es um Hockey. Ich brauche diese Monate in der Schweiz, um Energie zu tanken».
Und trotz dieses Balanceakts zwischen zwei verschiedenen Welten scheint es Nico Hischier zu gelingen, sich selbst zu bleiben.