Ctulhu for President
Daran könnte ich mich gewöhnen 👍
Die Justiz ist kein Wunschkonzert. Sie folgt nicht den Stimmungen des Tages und den Erregungen im Volke. Sondern einem roten Faden. Sie berücksichtigt die gesetzlichen Vorgaben und die Rechtsprechung der Vergangenheit. So wird das hohe Gut der Rechtssicherheit gewahrt.
Die Hockey-Richter dürfen sich auch nicht allein an den Folgen einer Missetat orientieren. Etwas vereinfacht gesagt: Ob ein Spieler verletzt wird oder nicht, ist beim Strafmass nicht entscheidend. Entscheidend ist die Tat, die zu einer Verletzung führen kann. Oder anders gesagt: Mark Barberios Strafe für den üblen Angriff gegen den Kopf von Garrett Roe darf nicht länger sein, weil er den Kiefer des ZSC-Topskorers gebrochen hat. Acht Spielsperren hätte er auch dann kassieren müssen, wenn sein Opfer unverletzt geblieben wäre.
Deshalb war ZSC-Coach Rikard Grönborg nach der Partie gegen Lausanne so aufgebracht. ⬇️ Mark Barberio durfte nach einer Zweiminutenstrafe weiterspielen, Garrett Roe schied verletzt aus. #ZSC #LHC pic.twitter.com/oe5fFKzqri
— MySports (@MySports_CH) November 21, 2021
Aus dem richtigen Leben wissen wir: Gesetze und Strafen werden den Erfordernissen der Zeit angepasst. Zum Beispiel wird heute eine Geschwindigkeitsübertretung oder Trunkenheit am Steuer viel härter bestraft als noch vor zehn und erst recht als vor 40 Jahren. Weil auch die Verkehrssituation heute eine andere ist.
Das gilt auch fürs Hockey. Noch vor 20 Jahren war die «Verkehrssituation» auf dem Eis eine ganz andere. Das Spiel war weniger schnell, die Spieler waren kleiner, leichter und weniger kräftig, ein Check weniger heftig.
Nach dem bisher gängigen Katalog der Hockey-Richter sind die acht Sperren gegen Mark Barberio richtig. Aber der Zeitpunkt ist nun gekommen, diesen Katalog, diese Richtlinien endlich zu überarbeiten und den Erfordernissen der Zeit anzupassen. Gerade durch die neuen Regeln, die Behinderungen nicht mehr zulassen und den Spielern freien Lauf lassen, ist das Eishockey noch schneller und damit noch gefährlicher geworden. Die Aufprallenergien erhöhen sich im Quadrat zum Tempo und der Kopf eines Spielers kann nicht mehr besser geschützt werden.
Die Angriffe auf den Kopf sind mit Abstand die gefährlichsten im Eishockey. Sie können zu Gehirnerschütterungen und damit zum Karrieren-Ende, ja zu lebenslangen Beschwerden führen. Diese Angriffe sind nicht einer Entwicklung des Spiels geschuldet, die den einzelnen überfordert. Sie «passieren» nicht einfach. Sie können sehr wohl verhindert werden. Jeder Spieler hat die Kontrolle über seinen Stock. Solche Angriffe sind in den allermeisten Fällen gezielte, bösartige Aktionen.
Die offiziellen Aufforderungen zu mehr Respekt sind – excusez l’expression – lächerlich. Sie sind gut gemeint, haben aber auch beim Nachwuchs null Wirkung, wenn die Junioren sehen, wie ihre Idole selbst bei übelsten Fouls milde Richter finden wie in den Fällen von Fabrice Herzog und Mark Barberio. Diese Respekts-Aktionen ähneln ein wenig den grossen Plakataktionen mit der Botschaft «Wer fährt, trinkt nicht.» Was den Automobilisten zur Nüchternheit erzogen hat, sind nicht solche Aufrufe. Sondern die harten Strafen.
Aufs Hockey übertragen: So wie im Strassenverkehr bei einem Vergehen jeder Art Trunkenheit am Steuer oder überhöhte Geschwindigkeit die Strafe automatisch verschärft, so muss künftig jeder Angriff gegen den Kopf stark strafverschärfend sein. Die Hockeyrichter haben einen Spielraum von bis zu 15 Spielsperren, ohne in den juristisch heiklen Graubereich des Arbeitsverbotes zu geraten. Grundsätzlich soll jeder Angriff auf den Kopf eines Gegenspielers automatisch zehn Spielsperren einbringen – und dann kommen verschärfend je nach Lage (Vorstrafen des Sünders etc.) weitere Sperren dazu. Es darf keinen Angriff mehr gegen den Kopf geben, der mit weniger als zehn Sperren sanktioniert wird.
Diese härtere Linie ist zwingend notwendig. Sie ist durchführbar, weil wir inzwischen Rechtsgleichheit haben: Jedes Spiel wird fürs Fernsehen produziert. Bei jedem Spiel sind also für die Beweisführung die gleichen Voraussetzungen gegeben. Die TV-Bilder sind so gut, dass eine Fehlbeurteilung einer Aktion nahezu ausgeschlossen werden kann.
Die bisherige viel zu milde Linie der Hockeyrichter, die sich nach dem «Fall Herzog» (nur 5 Spielsperren für den Angriff gegen den Kopf von Mauro Dufner) nun erneut beim «Fall Barberio» zeigt, muss so rasch wie möglich korrigiert werden. Wichtig ist dabei auch, dass ehemalige Spieler weitgehend von der Beurteilung ausgeschlossen werden: Der Kult um Härte und Männlichkeit gehört zwar zur Faszination dieses Sportes. Aber ehemalige Spieler neigen notorisch dazu, gefährliche Aktionen als Härte zu glorifizieren und zu relativieren. Es ist erstaunlich, was für Unsinn immer wieder verbreitet wird, um gefährliche Aktionen als einen Teil des Spiels zu verharmlosen.
Gefordert sind auch die Sportchefs. Künftig ist in den Spielerverträgen festzuschreiben, dass es während der Dauer einer Sperre keinen Zahltag gibt. Das ist erst und nur durchsetzbar, wenn es im Vertrag zwischen Klub und Spieler so festgeschrieben wird.
Wenn die Sportchefs und die Hockey-Richter nicht dazu beitragen, mit einer viel härteren Linie Missetäter zur Raison zu bringen, wird bald einmal Hilfe von aussen kommen: Wer mit einem Angriff gegen den Kopf für das Karriereende eines Gegenspielers oder gar bleibende gesundheitliche Schäden verantwortlich ist, wird sich eher früher als später mit Regressforderungen konfrontiert sehen.
Wer Spielregeln grob verletzt – wer also einen Gegenspieler mit einer Aktion verletzt, mit der dieser Gegenspieler im Rahmen der Spielregeln nicht rechnen muss – kann strafrechtlich belangt werden. Nicht einmal in einem Playoff-Final muss ein Spieler mit einem direkten Angriff auf seinen Kopf rechnen. Im Falle einer Strafanzeige der Geschädigten müssten Fabrice Herzog und Mark Barberio mit einer Verurteilung rechnen.