Warum Inti Pestoni? Diese Frage können hockeytechnisch nur die Hockeygötter beantworten. Denn der HCD-Topskorer ist von Kari Jalonens Idealvorstellung eines Flügelstürmers so weit entfernt wie Mickey Mouse.
Eigentlich müsste ein Sportunternehmen Transferfragen mit seinem Cheftrainer besprechen. Erst recht, wenn dieser Mann einer der besten Coaches der Welt ist.
Aber beim SCB gibt es intern eine sonderbare Regelung: Kari Jalonen hat zu den Transfers von Schweizer Spielern nichts zu sagen. Die sind ausschliesslich Sache des tüchtigen Sportchefs und seiner Scouts.
Der SCB ist eine der besten Hockeyfirmen Europas. Aber in einem Bereich ist der SCB stehengeblieben: im Scouting. In Nordamerika gibt es eine Redewendung: Ein guter Scout geht Spieler schauen. Ein unfähiger Scout geht Spiele schauen.
So ist es beim SCB. Die Jungs aus dem Büro von Alex Chatelain sehen Spiele, aber nicht die Spieler. Kürzlich spottete ein international erfahrener Kenner über die SCB-Talentsucher: Wenn ein Elefant über den Bundesplatz laufe, dann riefen die SCB-Scouts aufgeregt Marc Lüthi an und meldeten ihm, man habe vor dem Bundeshaus einen Esel gesehen.
Das mag eine Erklärung für die nun schon zwei Jahre währende Transfer-Misswirtschaft sein. Alex Chatelain hat Leonardo Genoni verloren, das enorme Potenzial der eigenen Junioren nicht erkannt, Matthias Bieber, Grégory Sciaroni und Daniele Grasse geholt (für das Geld, das er für diese «Nonvaleure» verschwendet hat, hätte er Genoni halten oder Grégory Hofmann bekommen können) und im grossen nationalen Transferfass auch diese Saison keinen Stich gemacht. Inti Pestoni ist sozusagen sein Transfer-Trostpreis.
Die Verpflichtung des Nationalstürmers hat «Sprengkraft». Inti Pestoni ist talentiert, aber er hat zu wenig Biss und physisches Durchsetzungsvermögen. Er ist hochtalentiert, aber nicht austrainiert. Bei den ZSC Lions musste er zeitweise Konditionstraining nachholen und durfte nicht spielen. Ein Spieler wie Pestoni in einer von Kari Jalonen gecoachten Mannschaft ist – man verzeihe mir diesen Vergleich – wie eine Kampfgenossin und EU-Netzwerkerin vom linken SP-Flügel im Zentralsekretariat der SVP.
Pestoni kann nur Wirkung erzielen, wenn er im ersten oder zweiten Block neben einem exzellenten Center viel Eiszeit bekommt. Bei Jalonen gibt es keine Eiszeit aus politischen Gründen. Der finnische Kulttrainer kennt nur eine harte Währung: Leistung in Training und Spiel. Da ist er unerbittlich.
Was, wenn er Inti Pestoni in die dritte und vierte Linie oder gar auf die Tribüne verbannt? Dann blamiert er Sportchef Alex Chatelain.
Kari Jalonen kompensiert durch seine kompromisslose Arbeit den alarmierenden Substanzverlust auf dem Transfermarkt. Nur deshalb schlägt die verfuhrwerkte Transferstrategie noch nicht auf die Resultate durch.
Der SCB ist inzwischen auf dem besten Weg, sportlich die Eishockey-Antwort auf den FC Basel zu werden. Der SCB kann mit einem Coach wie Kari Jalonen im nächsten Frühjahr nach wie vor Meister werden. Ja, mit dem stockkonservativen Schablonen-Hockey wird der SC Bern im «Abnützungskampf» der Playoffs sogar ein Titelfavorit sein. Aber mittelfristig sind die Perspektiven düster.
Die Kunst eines Sportchefs ist es, mit einer laufenden Erneuerung der Mannschaft, mit klugen Transfers, mit Förderung der eigenen Talente die Konkurrenzfähigkeit einer Mannschaft zu erhalten und die Balance zwischen kompromisslosem Erfolgsstreben und wirtschaftlicher Vernunft zu finden. Das ist dem SCB mit Sportchef Sven Leuenberger jahrelang gelungen.
Kritiker tun Sven Leuenbergers Nachfolger Alex Chatelain aber auch Unrecht. Er kennt das Eishockey aus jahrelanger Erfahrung und gehörte zu jener legendären Mannschaft, die 1998 in Helsinki bei der U20-WM Bronze holte. Sein Problem: Er ist ein hochanständiger, freundlicher Hockeyfacharbeiter. Doch ihm fehlt jegliches Charisma und Verkaufstalent. Der Sportchef ist aber der wichtigste Verkäufer einer Hockeyfirma. Wenn er einem Spieler den Verbleib beim oder den Wechsel zum Klub nicht überzeugend «verkaufen» kann, dann ist er im Transfergeschäft verloren. Und er ist auf das Urteil fähiger Scouts angewiesen.
Der SCB ist die grösste Hockeyfirma im Land. Mit über 50 Millionen Franken Umsatz. Aber inzwischen ein jammernder Zwerg im Transfermarkt. Es ist nur noch möglich, auf dem Spielermarkt Ambri auszustechen.
Inti Pestonis Agent konnte sein Glück kaum fassen. Im Herbst bangte er noch um die Zukunft seines Klienten. Er hatte keinerlei Möglichkeit, bei den Verhandlungen um eine Rückkehr zu Ambri mit einem schönen Vertragspokerspiel das Salär in die Höhe zu treiben. Und dann kam, wie ein Geschenk der Hockeygötter, auf einmal das SCB-Interesse. Ja, der SCB besserte im Laufe der Verhandlungen gar noch die Offerte nach. Und SCB-General Marc Lüthi jammert über die Löhne der Mitläufer und merkt nicht, dass seine Sportabteilung inzwischen die schlimmste Lohntreiberin für Dritt- und Viertlinienspieler geworden ist. Er sollte sich dringend wieder mehr um die Sportabteilung seiner Firma kümmern.
Kari Jalonen hat noch einen Vertrag für die nächste Saison. Er ist ein Mann der Ehre und ein Kämpfer. Er hält seine Verträge ein. Und doch: Wenn der SCB im nächsten Frühjahr nicht mindestens ins Finale kommt, dann gibt es keine Basis mehr für eine erfolgreiche weitere Zusammenarbeit mit dem finnischen Cheftrainer.