Diesem SCB gehört die Vergangenheit und die Gegenwart. Die Berner werden die Qualifikation zum zehnten Mal in den letzten 14 Jahren auf dem ersten oder zweiten Platz beendet. Eine solche langanhaltende Dominanz zwischen September und März ist im 21. Jahrhundert noch keiner anderen Mannschaft gelungen. Nicht dem HC Davos, nicht den ZSC Lions und nicht Lugano. Da drängt sich die Frage auf: Geht das so weiter? Gehört dem SC Bern auch die Zukunft?
Der SCB ist für eine Meisterfeier im April gebaut. Aber nicht mehr für eine Dominanz der Qualifikation in den nächsten Jahren.
Wo liegt das Problem? Erstens an den immer grösseren Schwierigkeiten am Verhandlungstisch. Marc Lüthi (als er sich noch um den Sport kümmerte) und Sportchef Sven Leuenberger verstanden es, immer wieder grosse Spielerpersönlichkeiten nach Bern zu holen. Spieler, die auch jeder andere Klub wollte. Sie sind die Leitwölfe grosser Meisterteams geworden: Zum Beispiel Christian Dubé, Martin Plüss, Eric Blum, Simon Moser oder Leonardo Genoni.
Solche «Kaisertransfers» gelingen dem SCB nicht mehr, Genoni und Grégory Hofmann gehen nach Zug und Enzo Corvi bleibt in Davos. Mit Genoni, Hofmann und Corvi würde der SCB die nächsten Jahre weiterhin dominieren. Aber nun machen Genoni und Hofmann Zug zum neuen Titanen.
Der SCB braucht dringend wieder «Kaisertransfers». Weil viele starke Spielerpersönlichkeiten 30 Jahre alt oder älter sind. Und siehe da: Die stets sehr gut informierte «Berner Zeitung» vermeldet den Zuzug von Vincent Praplan (sofern er keinen neuen NHL-Vertrag bekommt). Wir gehen bei den nachfolgenden Zeilen davon aus, dass diese Meldung stimmt.
Ist Praplan der «Königstransfer», der die Vormachtstellung der Berner festigt? Nein, ist er nicht. Dieser Deal ist jedoch aus zwei Gründen sehr interessant und – wie jeder teure Transfer – auch riskant.
Einerseits klagt Marc Lüthi zu Recht über zu hohe Löhne. Der Markt setzt dem SCB Grenzen, weil keine Milliardärinnen und Milliardäre wie in Lugano, Zürich, Zug oder Lausanne die Transferkasse öffnen. Aber nun hat sein Sportchef Praplan (24) zum teuersten Schweizer Spieler der Liga und zum teuersten Schweizer Spieler in der SCB-Geschichte gemacht.
Bereits vor mehreren Wochen erzählte ein Sportchef, Vincent Praplan sei nicht mehr auf dem Markt, ein Klub habe den Deal gemacht. Für mindestens 700'000 Franken brutto pro Saison. Es war also offenbar Bern. Nicht Lugano.
Aber es darf nicht sein, dass ein neuer Schweizer Spieler beim SCB mehr verdient als Captain Simon Moser. Das wird nun der Fall sein. Die Salär-Hierarchie, die Alex Chatelains Vorgänger Sven Leuenberger über Jahre sorgfältig aufgebaut, gehegt und gepflegt hat und ein wichtiger Faktor für die sportliche und wirtschaftliche Stabilität ist, gibt es ab nächster Saison nicht mehr. «Salär-Unfrieden» in der Kabine wäre fatal. Simon Moser hat den gleichen Agenten («Schorsch» Müller) und kennt Vincent Praplans Vertrag bis ins letzte Detail.
Der Transfer wäre trotz aller Risikofaktoren ein «Kaisertransfer», wenn sich Praplan bereits als ein Leitwolf in kritischen Situationen bewährt und das Format eines Martin Plüss hätte. Doch das hat er noch bei weitem nicht. Letzte Saison war er im Abstiegskampf in Kloten ein «Nonvaleur»: Ein mageres Törchen in den sieben Spielen der Liga-Qualifikation gegen die Lakers. Wer ihn als Mitläufer statt als Leader bezeichnet, ist kein Schelm.
Aber nicht nur das SCB-Innenleben wird sich durch den Praplan-Transfer verändern. Es zeichnet sich auch eine Stiländerung ab. Das Team bekommt mit dem WM-Silberhelden noch mehr Flügel. Auch Thomas Rüfenacht, Gregory Sciaroni, Tristan Scherwey, Mark Arcobello, Alain Berger, Matthias Bieber, Daniele Grassi, Simon Moser, Marc Kämpf spielen ihr bestes Hockey auf den Aussenbahnen.
Mit Inti Pestoni (auch er kein «Kaisertransfer») und Vincent Praplan hat der SCB auf nächste Saison zwei weitere Flügel verpflichtet. Obwohl das Risiko erheblich ist, dass mit Gaëtan Haas der besten Schweizer Center im Sommer an die NHL verloren geht. Gerade deshalb wäre Enzo Corvi so wichtig gewesen. Alex Chatelain hat alles versucht, den HCD-Stürmer zu verpflichten.
Von diesem «Flügelüberschuss» werden voraussichtlich die SCL Tigers profitieren. Alain Berger wird wohl überzählig und kann trotz laufendem Vertrag zu seinem Bruder Pascal ins Emmental wechseln.
So viel Power auf den Aussenbahnen, so wenig Lenker und Denker in der Mitte – auf den ersten Blick eine beunruhigende Veränderung. Aber andererseits lösen sich die Positionen mehr und mehr auf. Im modernen Hockey wird es immer wichtiger, dass sich Spieler auf allen Positionen zurechtfinden. Die Wahrscheinlichkeit ist also gross, dass das SCB-Spiel mit dieser Flügellastigkeit spektakulärer wird.
Die wichtige Frage ist, ob es dem «geflügelten» SCB gelingen wird, dem Schicksal von Lugano davonzufliegen. Im Frühjahr 2006 gewann der HC Lugano seinen letzten Titel. Es war die Krönung einer Dominanz, die an den SCB von heute mahnt. Lugano hatte in sieben Jahren sechsmal die Qualifikation auf Platz eins oder zwei beendet.
Seither erreichte Lugano in der Qualifikation nie mehr einen der beiden ersten Plätze und gewann auch keinen Titel mehr. Ein zentraler Faktor war der Verlust des Titanen Ronnie Rüeger (er wechselte zu Kloten) und der gescheiterte Versuch, ihn mit einem guten Torhüter ohne langjährige Erfahrung als Nummer 1 zu ersetzen (Simon Züger).
Auch der SCB wird nach dieser Saison mit Leonardo Genoni einen Meistergoalie verlieren und sein Ersatz (Niklas Schlegel) war noch nie während einer ganzen Saison in der NL die Nummer 1. Der SCB hat zum ersten Mal seit seinem ersten Titel von 1959 einen Goalie, der noch nie die Nummer 1 war.
Allerdings gibt es einen ganz grossen Unterschied zwischen Lugano und Bern. Die Tessiner verloren damals auch Meistertrainer Harold Kreis (er wurde zwei Jahre später mit den ZSC Lions Meister) und hatten seit 2006 zu viele Operetten-Trainer beschäftigt.
Kari Jalonen bleibt hingegen. Der grosse Kari kann die Stiländerung managen und mit System und Disziplin vorerst ohne «Königstransfers» die Leistungsstärke bewahren. Aber was wird sein, wenn sein Vertrag im Frühjahr 2020 ausläuft?
Nun, es wäre ein kluger Schachzug, dann Kari Jalonens Musterschüler und «Ziehsohn» Ville Peltonen zu verpflichten. Sein Vertrag läuft in Lausanne auch im Frühjahr 2020 aus und er kennt den SCB bereits aus seiner Tätigkeit als Assistent seines grossen Lehrmeisters (2016 bis 2018).
Trainer kommen und gehen, Klubs bleiben bestehen. Das gilt erst recht für den SCB. Aber wer die Liga dominieren will, braucht den richtigen Trainer und gerade grosse Hockeyfirmen wie Bern, die ZSC Lions, Zug oder Lugano brauchen grosse Trainer.