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Eismeister Zaugg: Biel sorgt für Spektakel und Neuschwander überzeugt

Head Coach Martin Filander (EHCB) speaks to his players, during the regular season National League game between HC Ambri Piotta and EHC Biel at the ice stadium Gottardo Arena, Switzerland, November 1, ...
Martin Filander setzt beim EHC Biel auf Unterhaltungs-Hockey.Bild: keystone
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Biel – das riskanteste Hockey und der jüngste Star der Geschichte

«Unschwedischer» als Biels Martin Filander zelebriert kein schwedischer Trainer Eishockey. Selbst gegen das ewige Schlusslicht Ajoie geraten die Bieler mit ihrem Unterhaltungs-Hockey an den Rand einer schmählichen Niederlage.
20.11.2025, 11:0120.11.2025, 12:46

Die Lage ist schon ein wenig kritisch. Nicht nur Sportchef Martin Steinegger sitzt, wie es sich gehört, auf der dicht gedrängten Medientribüne. Auch Ueli Schwarz, Hockey-TV-Ikone und im Verwaltungsrat der Bieler für den Sport zuständig, ist angereist. Es ist nicht so, dass eine Niederlage gegen das ewige Schlusslicht Ajoie wie für so manchen anderen Trainer so etwas wie die «letzte Ölung» wäre. Niemand im Profihockey hat so viel Geduld und Verständnis für die Trainer wie Biels Bürogeneräle. Sie sind nachgerade «Trainer-Flüsterer». Aber auch im Berner Seeland sagen die alten Bauern, man müsse «der Mähre zum Auge schauen». Also in kritischen Situationen aufmerksam sein und genau hinschauen.

Gerangel vor dem Tor von Ajoie im Qualifiaktionsspiel der Eishockey National League zwischen dem HC Ajoie und dem EHC Biel-Bienne in der Raiffeisen Arena in Porrentruy, am Mittwoch, 19. November 2025. ...
Beim EHC Biel kommt es immer wieder zu einem Spektakel.Bild: keystone

Weder Martin Steinegger noch Ueli Schwarz machen die in kritischer Lage üblichen Aussagen. Keine Sprüche wie «Der Trainer ist kein Thema» oder «Wir stehen hinter dem Trainer». Sie analysieren die Situation nüchtern, wie ein Revisor die Buchhaltung einer finanziell etwas klammen Firma. Ihre Analyse lässt sich so zusammenfassen: Das Leistungsgefälle ist über die ganze Saison und sogar in einzelnen Spielen von Shift zu Shift zu gross. Schuldzuweisungen gibt es keine. Der Feststellung, dass wahrscheinlich noch nie ein Team unter einem schwedischen Trainer und mit vier schwedischen Ausländern so «unschwedisch» gespielt habe wie Biel im Herbst 2025, mögen sie nicht widersprechen.

Ajoie gegen Biel beschert den Fans wieder einmal ein mit Drama und einer Sensation aufgeladenes Spektakel. Eine Zeitreise zurück in die «Belle Epoque», als Hockey ein wildes Spiel und Taktik noch weitgehend unbekannt war. Mit einem Helden, der am 10. März erst 16 Jahre alt geworden ist. Jonah Neuenschwander trifft als erster 16-Jähriger seit Einführung der Playoffs (1986) zweimal in einem Meisterschaftsspiel und darf nach seiner 26. Partie in der höchsten Liga zum ersten Mal in seiner Karriere Interviews geben.

Erstes Interview von Jonah Neunschwander
Jonah Neuenschwander bei seinem ersten Interview.Bild: klaus zaugg

Was für ein Drama. Im Zeitraffer: 23 Sekunden nach der ersten Pause trifft Anttoni Honka, an einem guten Abend der dynamischste Verteidiger der Liga, zum 3:0 für Ajoie. Jonah Neuenschwander verkürzt bis zur 31. Minute auf 3:2. Einen Fünf-Minuten-Ausschluss von Jeremy Wick nützt Marcus Sylvegard zum Ausgleich (47.) und die Entscheidung fällt so, wie sich ein Romantiker im Seeland die Offensive vorstellt: Toni Rajalas Schuss ist wieder einmal so wuchtig, dass Torhüter Antonie Keller den Puck nicht festhalten kann, und Leitwolf Gaëtan Haas vollendet zum 4:3.

Es gäbe noch viel Kurioses über diesen vergnüglichen Abend hinter den sieben Jurabergen zu erzählen. Nur noch so viel: Nach der Partie holt Medienchef Andreas Ruefer, der Bruder des TV-Titanen Sascha Ruefer, den Star des Abends zum Interview. Zum ersten Mal in seiner Karriere darf Jonah Neuenschwander unmittelbar nach einem Spiel in der National League Interviews geben. «Letzte Saison haben wir das noch nicht erlaubt», sagt Andreas Ruefer. «Nun hat er einen Profivertrag bekommen und die Geschäftsleitung hat beschlossen, dass er Interviews geben darf.»

Seine Premiere vor den lokalen Chronisten (Chronistin war keine da) könnte als Lehrvideo für Medienschulungen verwendet werden. Ein freundlicher junger Mann, dem die Freude über sein grandioses Spiel anzusehen ist und der doch bescheiden und sachlich bleibt. Mehrmals sagt er, dass es Spass gemacht habe. Er hebt keine Sekunde ab und betont, dass er seine beiden Tore der Teamleistung verdanke. Und ja, die Pucks, die er zweimal ins Netz gesetzt hat, habe er bekommen und werde sie als Souvenirs aufbewahren.

Das grösste Talent der Bieler Hockeygeschichte ist ein noch etwas schlaksig wirkender, aber auf dem Eis erstaunlich robuster und standfester Titan (191 cm/85 kg), der in seinen besten Juniorenzeiten in 30 Partien 80 Punkte buchte, in seinem Spiel einen Hauch der Magie von Mario Lemieux (1022 NHL-Spiele/1895 Punkte) aufblitzen lässt und – gemessen an seinem Alter – erstaunlich viel Energie in dieses Spiel der rauen Männer bringt. Er hat diese Saison auch bereits 15 Partien bei Biels Junioren bestritten (16 Punkte) und mit den 2 Treffern gegen Ajoie steht seine NL-Bilanz in diesem Herbst bei 11 Spielen, 2 Toren, 1 Assist und 13:23 Minuten Eiszeit. Ein Thema für die NHL wird er erst, wenn er 18 wird. Also alt genug für den NHL-Draft.

Bleibt noch die Erklärung, was denn mit der «unschwedischen» Spielweise gemeint ist. Biel wird von Martin Filander gecoacht und das dürfte noch eine Weile so bleiben: Sportchef Martin Steinegger hat den Vertrag mit dem Schweden bereits im Juli vorzeitig bis zum Ende der nächsten Saison prolongiert.

Schwedisches Hockey bedeutet: Gute Spielorganisation («Schablone»), Geduld, Scheibenkontrolle, Effizienz, defensive Stabilität und – leider – eben auch Langeweile.

In Biel ähnelt die Spielorganisation einem hochkomplizierten Schnittmuster aus einer Modezeitschrift, die Verteidigung vor dem Welttorhüter Harri Säteri ist ein Kartenhaus, das Angriffsspiel ein Feuerwerk ohne Knallkörper, die Spielweise ungeduldig, dynamisch und riskant und die Unterhaltung ganz einfach grandios. Pures Unterhaltungs-Hockey.

Die Zusammenfassung des Spiels Ajoie gegen Biel.Video: YouTube/EHC Biel-Bienne

In lichten Momenten, wenn das Angriffsspiel funktioniert, ist es das beste der Liga. Aber diese lichten Momente sind rar, das offensive Sausen und Brausen verebbt noch zu oft weit neben dem Tor und abenteuerliche Risikopässe provozieren Konter. Noch nie in der Hockey-Weltgeschichte hat ein von einem Schweden gecoachtes Team dem Gegner so viele Breakaways zugestanden. Biel spielt das riskanteste Hockey der Liga.

Der Zufall will es, dass mit Robin Grossmann nach dem Spiel auch der Älteste im Team Auskunft gibt. Er ist im August 38 geworden und 22 Jahre älter als Jonah Neuenschwander. Der hochdekorierte Veteran (WM-Silberheld von 2013, 2009 und 2011 Meister mit Davos) bringt es mit seinem trockenen Humor auf den Punkt: «Wir spielen wahrscheinlich etwas zu riskant.» Hält kurz inne und ergänzt: «Aber dann gibt es dafür ja auch viel zu sehen und zu schreiben …»

PS: Ob der ganzen Aufregung in Ajoie kam Sportchef Martin Steinegger erst nach der Partie dazu, auf dem Hosentelefon nachzusehen, wie es seinem Sohn ergangen war. Nico Steinegger (22) war zur gleichen Zeit Mann des Spiels in Wetzikon und hat Lyss als Center des dritten Sturms mit zwei Treffern den überraschenden 6:4-Sieg in der MyHockey League ermöglicht.

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