Ein Vergleich der Sportarten bringt uns nicht weiter. Natürlich ist Fussball ein globales, auf allen Kontinenten verbreitetes und Hockey ein vergleichsweise lokales, weitgehend auf Nordamerika und Europa begrenztes Spiel. Die FIFA zählt 210 Mitglieder. Der internationale Hockeyverband lediglich 88.
Aber diese Zahlen sagen wenig über den sportlichen Wert der Titelturniere.
Die «letzte Meile», der Vorstoss unter die letzten Vier oder gar in den Final ist im Fussball und Eishockey ungefähr gleich anspruchsvoll. Ganz oben ist die Leistungsdichte in beiden Sportarten ähnlich und die Luft dünn. Es spielt keine Rolle, ob an der Basis in mehr als 200 oder in weniger als 100 Ländern gespielt wird. Und zu erwähnen ist auch: Sowohl im Eishockey als auch im Fussball lebt die Nationalmannschaft von den Profis in den ausländischen Ligen. Im Fussball stehen sie immer zur Verfügung. Der Meisterschaftsbetrieb ruht, wenn es um EM- oder WM-Ruhm geht. Im Eishockey hingegen nicht: Die wichtigste Liga der Welt (die NHL) spielt während der WM um den Titel. Den Schweizern stehen für die WM nie alle ihrer besten Spieler zur Verfügung.
Auf den Punkt gebracht: Es ist im Fussball und im Hockey ähnlich schwierig (oder einfach), über den Viertelfinal hinauszukommen. Wenn wir allerdings berücksichtigen, dass im Fussball zwei K.-o.-Spiele zu überstehen sind (Achtel- und Viertelfinal) und im Eishockey nur eines (Viertelfinal), dann dürfen wir sagen: Ein Halbfinal hat im Fussball einen leicht höheren Stellenwert.
Im Eishockey haben die Schweizer 2024 zum dritten Mal nach 2013 und 2018 zwei K.-o.-Spiele gewonnen und den Final erreicht. Im Fussball reichte es 2024 erneut nur zu einem Sieg in einem K.-o.-Spiel. Seit exakt hundert Jahren – seit dem Olympia-Final von 1924 – ist spätestens im Viertelfinal Schluss.
Aber das ist letztlich eine theoretisch-historische Beurteilung und kann nicht ausreichen, um die WM-Silberhelden als Team des Jahres auszurufen. Wir müssen uns eingehender mit den Leistungen bei der WM 2024 in Tschechien bzw. der EM 2024 in Deutschland befassen.
Eine Frage bringt uns der Lösung näher: Wie viele grosse, dramatische Partien – an die wir uns noch lange erinnern werden – haben die Schweizer bei der Eishockey-WM 2024 und bei der Fussball-EM 2024 gespielt?
Vier Spiele bei der WM verdienen den Eintrag ins Hockey-Geschichtsbuch. Der Sieg in der Gruppenphase gegen Gastgeber Tschechien (2:1 n.P.), die Triumphe über Deutschland im Viertelfinal (3:1) und im Halbfinal über Titelverteidiger Kanada (3:2 n.P.) sowie die Finalniederlage gegen Tschechien (0:2). Drei Siege, eine Niederlage.
Drei EM-Spiele bleiben uns noch lange in Erinnerung: das dramatische Remis gegen Gastgeber Deutschland (1:1) in der Gruppenphase, das 2:0 gegen Titelverteidiger Italien im Achtelfinal und die dramatische Penalty-Niederlage im Viertelfinal gegen England. Ein Sieg, ein Remis, eine Niederlage.
Wie wir es auch drehen und wenden: So gesehen müssen wir die WM-Silberhelden zum Team des Jahres 2024 ausrufen.
Aber die EM hat unserem Fussball eine ganz besondere Aufwertung beschert: Wir stehen zum ersten Mal in der Geschichte auf Augenhöhe mit Deutschland. Mit einem Titanen des Weltfussballs. Die Deutschen bejubeln nämlich nach der Viertelfinalniederlage gegen Spanien ihren Trainer und ihre Mannschaft noch intensiver als die Schweizer nach dem Scheitern gegen England.
Die Deutschen sind inzwischen glücklich und jubeln, wenn sie gleich weit kommen wie die Schweizer. Das hat es seit Anbeginn der Zeiten noch nie gegeben.
So über die Landesgrenzen hinaus betrachtet: Team des Jahres sind unsere tragischen Viertelfinal-Helden. Aber Trainer des Jahres ist Patrick Fischer.
PS: Wer noch eine Alternative zum Team des Jahres sucht: Wie wäre es mit Servette, Sieger der Champions Hockey League?