Ambri im Ausnahmezustand – aber was ist denn nun mit Christian Dubé?
Der Pulverdampf hat sich verzogen. Alle wollen jetzt nach vorne blicken und lieber nicht mehr über die Vorkommnisse der vergangenen Tage reden. Verständlich. Wer böswillig ist, sagt: Alle stecken den Kopf in den Sand, um die Probleme nicht sehen zu müssen. Doch Fortschritt entsteht erst, wenn das Geschehene verstanden und aufgearbeitet ist.
Präsident Filippo Lombardi war in den letzten Tagen in offizieller staatlicher Mission in Kasachstan (also nicht etwa auf Sponsorensuche). Nun ist er zurück und muss sich heute Freitag bei Liga-Manager Denis Vaucher erklären.
Die Sorge der Liga um Ambri ist nachvollziehbar und richtig, aber wirtschaftlich unbegründet. Der alte Tessiner Geldadel sorgt dafür, dass es immer irgendwie weitergeht. Und sollte die Not zu gross werden, würde wohl selbst Vicky Mantegazza einspringen. Was wäre denn ihr HC Lugano ohne Ambri? Eben.
Auch bei den Sponsoren hält sich der Imageschaden in überschaubaren Grenzen. Der Mythos des familiären Dorfklubs lebt weiter. Das jüngste Drama hat ihn sogar eher gestärkt. Solche Geschichten schreibt nur der Sport, wenn er noch Herz hat. Ambri bleibt, was es immer war und immer sein wird: eine Familie. Manchmal halt eine schrecklich nette.
Aber auf dem Eis ist die Romantik anstrengend. Die sportliche Wettbewerbsfähigkeit steht auf dem Spiel. Die bisherigen Assistenten Éric Landry und René Matte teilen sich den Trainerposten. Keiner will Chef des anderen sein. Dieses Kollektiv an der Bande mag Romantiker entzücken, es hat immerhin die Siege gegen Ajoie (3:2) und in Zürich (2:1) gebracht. Doch kann es auf Dauer funktionieren? Wohl kaum. Immerhin ist bewiesen: Es braucht zwei Männer, um die Lücke zu füllen, die Luca Cereda hinterlassen hat.
Spätestens auf nächste Saison braucht Ambri einen neuen Trainer. Interimssportchef Alessandro Benin ist trotz eines guten internationalen Netzwerkes mit dieser Aufgabe wohl überfordert. Er wird auf die Hilfe von Geschäftsführer Andreas Fischer angewiesen sein. Sofern dieser bleibt. Lombardi verdächtigt ihn offenbar und zu Unrecht, Interna verraten zu haben. Ach, wenn der Präsident doch wüsste! Wie so oft bei hockey-familiären Angelegenheiten kam dann doch alles ans Licht.
Filippo Lombardi hatte sich – hinter dem Rücken von Sportchef Paolo Duca und Trainer Luca Cereda – in Zürich mit Christian Dubé verabredet. Die Idee: Dubé als neuen Trainer und notfalls auch gleich als Sportchef zu engagieren, um sportlich besser zu werden und etwas Lohnkosten zu sparen. Aber viel mehr ist aus dieser Mannschaft nicht herauszuholen.
Nach dem Rücktritt von Duca und Cereda wäre der Weg für diese Lösung eigentlich frei. Doch der Aufruhr nach dem von watson enthüllten Geheimtreffen war derart heftig, dass Dubé kein Thema mehr ist. Der Kanadier sagt auf Anfrage, er habe seit jenem denkwürdigen Montag nichts mehr aus Ambri gehört.
Ambris Präsident steht nun mit abgesägten Hosen da: Trainer, Sportchef und interne Vertrauenswürdigkeit weg und die Lösung, die er im Alleingang eingefädelt hatte, ist wohl unbrauchbar. Immerhin sagt Geschäftsführer Fischer auf eine entsprechende Anfrage, jeder könne sich für den Trainerposten bewerben – auch Dubé.
Die Mannschaft fällt ob dem Drama nicht auseinander. Nur drei der sieben Ausländer haben auslaufende Verträge; bei den wichtigen Schweizern geht es lediglich um Verlängerungen von Dominic Zwerger, Daniele Grassi, Jesse Zgraggen und Dario Bürgler. Doch Verstärkungen über den Transfermarkt sind unter den gegebenen Umständen schwer zu finden.
Der Machtkampf spielt sich nun im Verwaltungsrat ab. Filippo Lombardi hat sein Amt zur Verfügung gestellt. Will er das Drama aussitzen und bleiben, muss er ein neues sportliches Führungsduo finden. Keine leichte Aufgabe für jemanden, dem intern nachgesagt wird, unkontrollierbar, unberechenbar und intrigant zu sein. Ob zu Recht oder nicht, sei dahingestellt. Hat er den Mut, die Lösung Dubé trotzdem durchzusetzen? Kaum jemand glaubt daran.
Eine juristische Auseinandersetzung mit Duca und Cereda ist nicht zu erwarten. Lombardi dürfte dafür sorgen, dass beide ihre ausstehenden sechs Monatslöhne erhalten. Alles andere wäre kleinlich, ja schäbig und Ambri unwürdig.
Paolo Duca, nach dem «Verrat» zusammen mit Luca Cereda im Zorn zurückgetreten, gilt inzwischen als Hoffnungsträger. Charismatisch, nicht nur im Tessin gut vernetzt, finanziell unabhängig, mit dem Talent und dem Format zum «Animal Politique», tief in der DNA des Klubs verwurzelt – er verkörpert Ambri wie kaum ein anderer. Duca als Präsident oder gar geschäftsführender Präsident? Denkbar und von vielen erhofft und erwünscht. Aber diese Lösung ist nur möglich, wenn Lombardi bis zur Generalversammlung Ende November tatsächlich abtritt. Dann könnte Duca das sportliche Führungsteam neu aufbauen. Vielleicht mit Cereda als Sportchef? Ganz abwegig ist dieser Gedanke nicht.
Noch schweigen Paolo Duca und Luca Cereda. Aus Loyalität zu Ambri und zum Wohle Ambris, das beiden am Herzen liegt. Aber sie werden nicht für immer schweigen. Zwei verratene, hoch angesehene und populäre Klub-Ikonen mit Kultstatus, die weiterhin im Tessin leben und Italienisch sprechen: Waren die Aussichten auf reichlich Polemik jemals so gut, für die lokalen Chronistinnen und Chronisten so verlockend? Wahrscheinlich nicht.
Christian Dubé lebt mit seiner Familie in Davos. Seine Söhne Liam (17) und Sky (14) spielen im HCD-Nachwuchs. Er hilft unentgeltlich beim Training. Zehn Jahre lang hatte er Gottéron geprägt. Zunächst als Sportchef, später in Doppelfunktion auch als Trainer. Im Frühjahr 2024 gab er das Sportchef-Amt an Gerd Zenhäusern ab, um sich ganz aufs Coaching zu konzentrieren. Warum nur noch Trainer und nicht nur noch Sportchef? Seine Begründung damals: Ein Trainer finde im Falle eines Falles leichter wieder Arbeit als ein Sportchef. Theoretisch stimmt das.
Doch seit seiner Entlassung am 27. Mai 2024 sind reichlich neue Trainer engagiert worden: in Lugano, Zürich, Bern, Rapperswil, Lausanne, Genf oder Zug. Nur: Christian Dubé war nirgends ein ernsthaftes Thema. Auch nicht als die Lakers, Lugano oder Bern einen Sportchef suchten. Dabei ist seine Bilanz bemerkenswert. Zehn Jahre Gottéron, ein Spitzenteam mit klarer Handschrift, das Meister werden kann und kaum Fehleinkäufe. Doch seine Stärke ist sein Handicap: Er ist zu eigenständig. Kein Sportchef will einen Trainer, der womöglich stärker, kompetenter und charismatischer ist als er selbst. Die Doppelfunktion in Ambri – Trainer und Sportchef – wäre wie für ihn geschaffen gewesen.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
-
Er ist
-
Er kann
-
Erwarte
Ambri im Ausnahmezustand und ohne Duca und Cereda. Dubé weiterhin ohne Job, aber mit 48 selbst für den Vorruhestand viel zu jung. Und Lombardi zwischen allen Stühlen. Das ist die erste Zwischenbilanz eines Dramas, das noch längst kein Ende kennt.
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