Freiwillig zurücktreten? Nie. Schliesslich ist er ja erst vor 15 Monaten Präsident geworden. Der Rücktritt ist Stefan Schärer zwar immer mehr von vielen Seiten unverblümt nahegelegt worden. Sogar Peter Zahner, Manager der ZSC Lions und Mitglied des Verband-Verwaltungsrates, hat ihm gesagt, es sei Zeit, das Amt aufzugeben, und selbst der hockeytechnisch unpolitische Nationaltrainer Patrick Fischer zählte nicht mehr zu seinen Freunden. Es gab für den Präsidenten gar ein Nationalmannschafts-Kabinenverbot. Doch er blieb unbeeindruckt und sagte noch vor wenigen Tagen: «Ein Rücktritt kommt für mich nicht infrage, solange ich grosse Unterstützung im Verbands-Verwaltungsrat, bei verschiedenen Klubs und bei der Mehrheit der Delegierten aus den Regionen spüre.»
Wieder einmal schien der Aufstand der mächtigen NL-Klubgeneräle gegen den Verbandsboss kläglich zu scheitern. Obwohl sich inzwischen alle 14 NL-Klubs für eine Amtsenthebung von Stefan Schärer ausgesprochen hatten. Und nun ist offenbar etwas passiert, das es in der langen, über hundertjährigen Geschichte unseres Verbandes noch nie gegeben hat: ein Aufstand des Büropersonals. Sozusagen eine Palast-Revolution.
Die Geschichte, so wie sie mehrere voneinander unabhängige Quellen erzählen, beginnt noch recht harmlos: Stefan Schärer kann wegen Terminkollision – seine Frau hat an diesem Tag Geburtstag und es gibt eine Einladung zu einer Jubiläums-Handball-Veranstaltung – am vergangenen Freitag nicht am Weihnachtsessen des Verbandspersonals teilnehmen. Es soll daraufhin erwogen worden sein, den Termin zu verschieben. Denn man habe ihm angeblich einen Denkzettel verpassen wollen: Alle stehen auf und gehen, wenn er zum Personalessen erscheint. Aber der Termin ist gebucht und der Aufwand für eine Verschiebung sei dann doch als zu gross erachtet worden.
Das feine Essen (vielleicht auch der Wein, aber es ist offen, ob neben Bier auch Wein ausgeschenkt worden ist) und die Abwesenheit des obersten Dienstherrn befeuern offenbar den Mut zur Aufmüpfigkeit, ein Wort habe das andere gegeben und so soll beschlossen worden sein: Tritt Stefan Schärer nicht zurück, dann soll die Arbeit in den schönen Büroräumen in Glattbrugg am Donnerstag, dem 5., und am Freitag, dem 6. Dezember, niedergelegt werden. Gewährsleute berichten, beim Wort «Streik» sei es unter den gut 30 Gästen zu spontanem Applaus gekommen. Und es entbehrt nicht einer gewissen Brisanz, dass ausgerechnet Nationaltrainer Patrick Fischer der Rebell war, der die Streik-Idee vorbrachte. Unmittelbar nach dem Auftritt des Samichlaus im Rahmen dieses Personalfestes. Fast ein Shakespeare-Drama.
Aber war es wirklich so? In einem Communiqué des Verbandes lässt sich Stefan Schärer so zitieren. «Leider wurde mir bald bewusst, dass unsere Strukturen äusserst komplex sind und es alles andere als einfach ist, mehrheitsfähige Beschlüsse voranzutreiben, da teilweise auch die Kompromissbereitschaft der verschiedenen Stakeholder fehlt.» Ob es eine Streikdrohung gegeben hat, mag Stefan Schärer weder dementieren noch bestätigen noch darauf eingehen. Im Gespräch lenkt er vom Thema Streik ab und ergänzt: «Ich bin geholt worden, um Veränderungen voranzutreiben. Aber wer Veränderungen will, stösst auf Widerstand.» Sein Rücktritt habe nichts mit einer angeblichen Streikdrohung zu tun. «Ich werde bald 60 und bin nach reiflicher Überlegung zum Schluss gekommen, meine Energie dort einzusetzen, wo Fortschritte schneller erzielt werden können.» Und so wird er nun ab 2025 im Vorstand des Vereins tätig sein, der sich für die Kandidatur der Schweiz für die Olympischen Winterspiele 2038 einsetzt.
Wollte Stefan Schärer, als berühmter Handballer halt auch ein wenig ein Sport-Romantiker, zu schnell zu viele Veränderungen? Wollte er nicht nach der Pfeife der mächtigen NL-Klubgeneräle tanzen? Hat er sich mit zu wenig Fingerspitzengefühl ins funktionierende Verbands-Tagesgeschäft eingemischt? Er hätte sich als Präsident mit einer repräsentativen Rolle (ähnlich wie der König von England) zufriedengeben können. War er zu ungeduldig? War er im Umgang mit dem Verbands-Personal, das er ja nicht direkt führte – er war Präsident, nicht Geschäftsführer – zu wenig sensibel? Hat er sich überschätzt und war er im Amt überfordert? Hat er sich in Widersprüche verheddert und die Vertrauensbasis verloren? Hat er mit der ihm eigenen Energie und Eitelkeit für zu viel Leistungsdruck in den Büros gesorgt? War die Entlassung des tüchtigen, engagierten und verdienten Verbandsgeschäftsführers Patrick Bloch ein Alarmzeichen für das übrige Personal? Im Sinne: wen erwischt es von uns als Nächstes, wenn wir ihn nicht stoppen?
Die Ursachenforschung erübrigt sich. Es ist, wie es ist. Stefan Schärer ist dem Wunsch weiter Kreise nachgekommen und hat sein Amt per sofort und per Saldo aller Ansprüche niedergelegt. Bis ein Nachfolger gefunden ist, übernimmt Vizepräsident Marc-Anthony Anner das Amt.
Ist Stefan Schärers Rücktritt ein Grund zur Sorge um den Zustand unseres Hockeys? Nein. Der Verband ist finanziell kerngesund. Das Büropersonal kompetent, der neue Verbandsgeschäftsführer Martin Baumann im Amt eingeführt und Nationaltrainer Patrick Fischer unbestritten und bis zur Heim-WM 2026 unter Vertrag. Die wichtigen Verträge (TV- und Vermarktungsrechte) des Verbandes und der National League laufen bis 2027. Nach übereinstimmenden Aussagen hat der Wirbel um Stefan Schärer sogar dazu geführt, dass es zu einem Burgfrieden zwischen den verschiedenen und traditionell immer ein wenig zerstrittenen Fraktionen unseres Hockeys (u. a. Amateurligen, National League, Verband, Schiedsrichter) gekommen ist. Und nun alle geloben, mit vereinten Kräften für das grosse Ziel «Eishockey WM 2026 in Zürich und Fribourg» zu arbeiten.
Nur eines ist sicher: Auch Stefan Schärers Nachfolgerin oder Nachfolger wird eher früher als später ins Fegefeuer der Eitelkeiten geraten.
Und dass er so ist, wie er ist, wusste man vorher nicht? Ist er ein geschickter Blender oder sind die Leute, die ihn zur Wahl vorgeschlagen haben, unfähig, halbwegs vernünftige Personalentscheide zu treffen?