Halifax ist Boomtown. Der Sitz der kanadischen Marine. Einer der grossen Atlantikhäfen. Die Stadtplaner wollen in den nächsten 15 Jahren die Einwohnerzahl von aktuell rund 300'000 um 100'000 erhöhen. Konjunkturbäume (Baukräne) zieren das Panorama der Innenstadt. Und Halifax ist Hockeytown.
Der Wetterbericht ist miserabel und tatsächlich wird am Samstagabend ein Schneesturm den Verkehr fast zum Erliegen bringen, der Flugbetrieb wird zwischenzeitlich praktisch eingestellt. Aber das garstige Wetter hält die Menschen nicht vom Matchbesuch ab. Die Mooseheads (Elchköpfe) spielen am Freitag und am Samstag hintereinander gegen den Tabellenletzten (Moncton) und gegen den Leader (Saint John) – und Nico Hischier ist wieder da. Zurück von einer ruhmreichen U20-Expedition in Montréal. Zu beiden Partien werden über 7000 Zuschauer kommen und die Arena fast zu drei Vierteln füllen.
Nico Hischier back in town. Der Hockey-Prinz ist zurück. Oben auf der Videowand werden vor dem Spiel gegen Moncton alle Tore von Nico Hischier bei der U20-WM noch einmal gezeigt. Dann wird, wie es sich gehört, der Teppich auf dem Eis ausgerollt. General Manager Cam Russel überreicht Nico Hischier eine Erinnerungsplakette für seine WM-Teilnahme. TV-Kameras. Blitzlichtgewitter. Applaus.
«Nicooooooo Hischieeeeeee». Der Stadionspeaker zieht den Namen dramatisch-melodisch in die Länge, wenn er ein Tor des Schweizers verkündet. So wie es eher brasilianische Fussballkommentatoren tun. Während eines Spielunterbruchs steigt der Stadionclown mit dem Mikrophon ins Publikum zum Gewinnspiel. Es geht darum, auf eine Behauptung «wahr» oder «nicht wahr» zu antworten. Die Behauptung: «Nico Hischier hat gegen die USA zwei Tore erzielt! True or not True?» Man stelle sich vor: Zwei Tore gegen Kanadas Erzrivalen! Gegen den späteren Weltmeister! Eigentlich unmöglich. Aber das kleine Mädchen hat die richtige Antwort parat und bekommt ein Dress von, natürlich, Nico Hischier überreicht. Applaus brandet durch die Arena.
Wahrscheinlich hat noch nie hat ein Schweizer Hockeyspieler in Nordamerika diese Verehrung genossen. Die Mooseheads sind in Halifax, was der FC Basel in Basel ist: mit grossem Abstand die Nummer eins der Stadt. Und Nico Hischier ist der beliebteste Spieler dieses Teams. Profihockey mit AHL-Teams hat hier nie funktioniert. Erst mit dem Juniorenteam ist Halifax Hockeytown geworden.
Nico Hischier ist am Freitagvormittag erst aus Montréal eingeflogen. Und spielt am Abend, als sei er nie weg gewesen. Zwei Treffer, davon einer in Unterzahl plus zwei Assists steuert er zum 6:2 gegen Moncton bei. Er erzielt das wichtigste Tor. Moncton hat sich aufgefangen, kommt auf 3:2 heran. Das Momentum droht zu kippen. Es wird still in der Arena. Und genau in diesem Augenblick ist die Nummer 13 da und erzielt 45 Sekunden später das 4:2. Die Partie ist entschieden. «Nicooooooo Hischieeeeeee».
Moncton ist das Schlusslicht (18.), der Sieg ist erwartet worden. Halifax dominierte klar (46:26 Torschüsse). Nicht einmal 24 Stunden später, am Samstagnachmittag (16.00 Uhr), folgt die Nagelprobe. Tabellenführer Saint John kommt. Und wieder findet Nico Hischier an physisch überlegenen Gegenspielern vorbei den Weg zum Tor. Zum 2:1 liefert er das Zuspiel, beim 3:1 ist er mit auf dem Eis und das 4:1 erzielt er ins leere Netz. Wieder zelebriert der Speaker «Nicooooooo Hischieeeeeee». Die klare Überlegenheit (45:17 Torschüsse) hat dem Tabellenführer nichts genützt. Die Mooseheads bleiben als 11. in der Tabelle im Playoffrennen.
Was macht Nico Hischiers Qualität und Popularität aus? Er ist weder der grösste noch kräftigste Stürmer (183 cm, 79 kg) seines Teams. Zehn Stürmer sind schwerer, sieben grösser. Er wirkt nicht so dominant wie einst Nino Niederreiter und auch nicht so trickreich wie einst Sven Bärtschi im gleichen Alter auf dieser Stufe. Aber er hat in seiner ersten Nordamerika-Saison einen leicht höheren Punkteschnitt pro Partie (1,37) als Niederreiter (1,28) und Bärtschi (0,92). Er strahlt diese Leichtigkeit, Lässigkeit in seinem Wesen und Wirken auf dem Eis aus, die nur ganz grosse Spieler haben.
Hier ist einer, der Hockey zelebriert, scheinbar schwerelos, elegant, smart. Einer, der den Puck nicht übers Eis schleppt oder mühselig erkämpft. Sondern den Puck für sich arbeiten lässt. Einer, der den schwarzen Kobold streichelt, nicht schlägt. Einer, der nicht mit krachenden Checks an vorderster Front für Aufsehen sorgt. Sondern oft wie aus der Tiefe des Raumes kommt, dort auftaucht, wo ihn die Gegenspieler nicht erwarten. Einer, der nicht schneller läuft, aber schneller denkt aus die anderen. Wenn er die Scheibe hat, passiert immer etwas. Einer, der Hockey spielt und nicht mühselig arbeitet und doch seriös seine taktischen Pflichten erfüllt. Einer, der seine Mitspieler besser macht und als Center das Eis mit seiner Präsenz in allen drei Zonen dominiert.
Ein für sein Alter – er ist am 4. Januar erst 18 geworden! – schier unfassbar kompletter Spieler. Zwar nur zweitbester Scorer des Teams. Sein Linienpartner Maxim Fortier ist Topscorer – aber Nico Hischier hat die viel bessere Plus/Minus-Bilanz. Ein Hockey-Prinz, dazu ausersehen, ein König dieses Spiels und der erste Schweizer Center mit NHL-Stammplatz zu werden.
Das alles haben die Menschen im Hockey Country sehr wohl erkannt. Daher die Popularität und Verehrung. General Manager Cam Russel weiss, warum er mit einem Seufzer sagt: «Wir werden Nico Hischier nicht ersetzen können.»
Nach den Spielen wollen die lokalen Chronistinnen und Chronisten natürlich mit Nico Hischier reden. Ein junger, bescheidener, freundlicher Mann mit offenem Blick und sanftem Selbstvertrauen kommt aus der Kabine. Das Interesse an seiner Person bringt ihn nicht aus der Ruhe. Er sagt die Sätze, die in Nordamerika erwartet werden. Auf die Fragen, die in Nordamerika immer die gleichen sind. Polemik gibt es hier nicht. Heikle Fragen auch nicht. Die gesunde Respektlosigkeit, die unseren Medienbetrieb würzt, fehlt. Interviews ähneln eher der höflichen Nachfrage nach dem Befinden.
Das macht es Nico Hischier einfach, mit dem Medieninteresse umzugehen. Er wirkt souverän, er weiss ganz genau was er sagt. Polemik wäre mit ihm sowieso nicht zu machen. Er sagt, es sei toll, wieder hier zu sein. Die Umstellung sei gar nicht so schwierig gewesen. Und so weiter und so fort. Später wird er eingestehen, dass die Beine doch etwas schwer waren – was seinem Spiel aber nicht anzusehen war. Er bestreit die beiden Heimpartien gegen Moncton und Saint John und nun gibt ihm der Coach eine Pause. Zur Auswärtspartie am Sonntag, zum «Rückspiel» nach Saint John, zur dritten Partie in drei Tagen, muss er nicht mit. Die fünfstündige Busreise durch den Schneesturm bleibt ihm erspart. Aber sie hätte ihm nichts ausgemacht. Der Oberwalliser aus Naters ist geerdet. Privilegien erwartet er nicht. Auch da ist er ganz Musterprofi.