Der Winterthurer Roger Bader (60) hat Österreichs Hockey organisatorisch, taktisch und kulturell verändert. Sein Einfluss lässt sich treffend mit dem Bild der «Kaffeehaus-Kultur» beschreiben. Ein Sinnbild für die einstige Selbstzufriedenheit, Gemütlichkeit, ja beinahe Lethargie, mit der in Österreich die meiste Zeit Eishockey mehr verwaltet als gespielt worden ist.
Zusammen mit einer neuen, zu einem schönen Teil in der Schweiz geformten Spielergeneration hat Roger Bader die Österreicher sozusagen aus den gepolsterten Sitzbänken («Bohème-Bankerl») der Kaffeehäuser vertrieben und auf internationale Konkurrenzfähigkeit getrimmt. Was die NHL für die Schweden, Finnen, Tschechen oder Schweizer ist, das ist unsere National League für die Österreicher. Wo wären die Österreicher im Eishockey ohne die Schweizer? Ohne unsere National League? Weiterhin im Kaffeehaus.
Als Roger Bader 2016 Nationaltrainer wird, bringt er eine neue Philosophie mit. Er strukturiert das sorglose «Kaffeehaus-Hockey» mit einem aktiv umgesetzten Defensivsystem und schnellem Umschaltspiel. Durchaus vergleichbar mit dem taktischen Grundmuster der Schweizer. Und er verändert die Mentalität. Leistungskultur, hohe Ziele (Viertelfinal) statt Selbstzufriedenheit im Niemandsland zwischen der höchsten und zweithöchsten WM-Klasse.
Roger Bader hat das Glück, dass eine neue Generation von Spielern seine Philosophie umsetzt. Für den Entwicklungsschub, den die im Ausland (NHL) erfolgreichen Spieler in der Schweiz ausgelöst haben, sorgen in Österreich Spieler aus unserer National League.
Mit Dominic Zwerger (Ambri), Bernd Wolf (Kloten), Benjamin Baumgartner (SCB) und Vincenz Rohrer (ZSC Lions) prägen vier NL-Profis das Team. Die vier haben 10 der 21 Treffer bei dieser WM erzielt. Sie haben in unseren Junioren-Ligen ihren ersten Schliff erhalten und gelten dank einer Schweizer Lizenz in der National League nicht als Ausländer. Mit dem österreichisch-schweizerischen Doppelbürger aus dem Kanton Uri und Profi bei La Chaux-de-Fonds Olivier Achermann hat es auch einer aus unserer zweithöchsten Liga ins WM-Team geschafft.
Diese Spieler kommen aus einem Umfeld, in dem Eishockey ernst genommen wird und prägen die neue Kultur. Die einstige Kaffeehaus-Gemütlichkeit ist durch professionellen Ehrgeiz ersetzt worden. Mit Marco Kasper steht sogar ein Stürmer im Team, der es über die Junioren in Schweden bereits bis in die NHL geschafft hat. Die von Schweizern ausgelöste «Kaffeehaus-Revolution» hat Österreichs Eishockey endlich, endlich konkurrenzfähig gemacht.
Und nun die vorläufige Krönung dieser Revolution, der WM-Viertelfinal dank eines 3:2-Penalty-Sieges gegen die Slowakei und eines 6:1 gegen Lettland im letzten Gruppenspiel am 20. Mai. Vor einem Jahr hatte Roger Bader mit dem Team die Viertelfinals durch eine Niederlage im letzten Gruppenspiel gegen die bereits zum Abstieg verurteilten Briten verpasst. Und nun wird das zuvor punktgleiche Lettland im alles entscheidenden Spiel 6:1 vom Eis gefegt. Das mag die schon fast atemberaubende Entwicklung dokumentieren.
Dieser 20. Mai 2025 ist Österreichs grösster Tag seit dem 23. Februar 1947. Damals hat Schweden in Prag seinen ersten WM-Titel vor dem letzten Spieltag eigentlich auf sicher. Der König hat bereits ein Glückwunschtelegramm geschickt. Zwar muss Österreich noch besiegt werden. Eine Pflichtübung. Aber Schweden verliert sensationell (1:2). Die Tschechoslowakei wird Weltmeister und die Österreicher können mit Bronze ihre bisher letzte Medaille feiern. Bis heute eine der grössten WM-Sensationen.
Seither sind die Österreicher bei einer WM bis zur Ankunft von Roger Bader eigentlich nie mehr richtig ernst genommen worden. Nun gut, 1994 ist zum bisher letzten Mal der Vorstoss in den Viertelfinal geglückt. Aber das war ein Irrtum der Hockey-Geschichte: Nach einem 2:2 gegen Deutschland genügte ein einziger Sieg (10:0 gegen Grossbritannien) für den Viertelfinal. Dort gab es eine 0:10-Packung gegen Finnland. Es war eigentlich nur ein Kaffeehaus-Viertelfinal. Nun wird es zum ersten Mal ein richtiger Viertelfinal sein.
PS: Der Bezug auf die Kaffeehaus-Kultur erfolgte nicht etwa aus Geringschätzung. Sondern aus Bewunderung. Dem Chronisten ist sehr wohl bewusst, dass das Kaffeehaus ein bedeutender Bestandteil der kulturellen Identität des Landes, insbesondere Wiens ist. Sie wurde 2011 von der UNESCO gar als Kulturerbe anerkannt.