Am französischen Nationalfeiertag fühlt sich Michael Woods sehr gut. Dem Kanadier gelingt es, an der Tour de France in die Fluchtgruppe des Tages zu kommen. Der Traum vom Etappensieg endet im Wohnmobil eines Zuschauers.
Doch der Reihe nach. «Ich hatte eine gewisse Leichtigkeit in meinem Pedaltritt und war mit zwei Teamkollegen in der Fluchtgruppe», schrieb Woods in seinem Blog. «Ich war optimistisch, was unsere Chancen betraf.»
Das Problem des 38-jährigen Kanadiers und seiner Mitstreiter: Das Feld liess nicht locker. Entsprechend hart war die Arbeit, um vorne zu bleiben.
Ihre hohe Geschwindigkeit sei nur deshalb möglich gewesen, weil bei der Verpflegung in den letzten Jahren eine grosse Entwicklung stattgefunden hat, hielt Woods fest. «Früher wäre unser Tempo nicht zu halten gewesen, aber wir traten einfach härter in die Pedale und schoben die Gels hinunter.»
Er habe kaum glauben können, wie schnell sie gefahren seien, schrieb der Routinier vom Team Israel Premier Tech. «Vielleicht lag es an der Tatsache, dass ich wegen eines Schlüsselbeinbruchs und einer Krankheit in diesem Jahr nicht viele Rennen bestritten habe. Vielleicht auch daran, dass ich einfach alt werde.»
Die vielen Gels fanden zwar ihren Weg in seinen Hals, doch so wie Woods sich vom Feld abgesetzt hatte, starteten nun auch sie einen Fluchtversuch. Nach etwa 135 Kilometern habe er Krämpfe in den Beinen gehabt und sein Magen habe zu glucksen begonnen, beschreibt «Rusty» Woods. Er konnte nicht mehr mithalten.
Auch wenn er nun langsamer trat: «Der Knoten in meinem Magen wurde schlimmer. Ich versuchte zu atmen und durchzuhalten, aber dann wurde mir klar, dass ich gleich meinen Dumoulin-Moment haben würde.»
Dumoulin-Moment? Der Niederländer Tom Dumoulin sorgte auf dem Weg zum Gesamtsieg des Giro d'Italia 2017 für eine unvergessene Einlage. Der Träger der Maglia Rosa musste absteigen und sich erleichtern, die TV-Regie schnitt gerade noch rechtzeitig um. Woods erinnert sich: «Unser sportlicher Leiter funkte uns: ‹Dumoulin hat gerade angehalten, um zu scheissen!› Diesen Moment werde ich nie vergessen. Er lachte und ich lachte auch.»
Das Problem der Gels mit ihren vielen Kohlenhydraten ist, dass der Magen manchmal rebelliert, weil er es nicht gewohnt ist, derart grosse Mengen aufzunehmen, und der Körper dazu am Limit ist, wenn der Fahrer in einer Ausreissergruppe stundenlang Gas gibt. Woods schrieb, er habe damals 30 bis 40 Gramm Kohlenhydate pro Stunde zu sich genommen – heute ist es drei Mal mehr.
Nun also war sein Dumoulin-Moment gekommen. Selbst das Stoppen, um zu pinkeln, ist an der Tour de France schwierig, weil überall Leute stehen. «Es so wie Dumoulin zu machen, schien mir deshalb unmöglich. Ich fragte mich: Werde ich mir bald in die Hose machen?»
Doch dann habe er «eine wunderbare Erkenntnis» gehabt. «Wohnmobile haben Toiletten und auf der Tour gibt es mehr Wohnmobile als beim Burning Man. Innerhalb von Sekunden hielt ich an und rief: ‹Toilette, toilette, toilette!›»
Michael Woods qui va se faire vanner tout le reste du Tour de France parce qu'il a détruit les toilettes d'un camping-car d'un spectateur en pleine étape ça c'est mon cyclisme #TDF2025 pic.twitter.com/YC7wFabwkx
— Cycling Legend (@CyclingLegend_) July 19, 2025
Wenig später war Michael Woods erleichtert, in jeder Hinsicht. «Dem armen, sehr freundlichen und verblüfften Mann, der mir die Tür seines Wohnmobils geöffnet hat, möchte ich zunächst danken, mich aber auch für den Zustand entschuldigen, in dem ich sein Bad hinterlassen habe. Sagen wir einfach, 120 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde während vier Stunden flutschen nicht besonders ansehnlich raus.»
Weil der Etappensieg sowieso nicht mehr zu erreichen war, liess sich Woods bei seinem Geschäft Zeit. Als er sich, unter den Blicken verwirrter Fans, wieder auf die Strecke machte, habe ihn nach einer Weile eine Gruppe Fahrer eingeholt. «Ich sagte zu Julian Alaphilippe, ich hätte keine Ahnung, ob ich noch vor dem Feld liege oder dahinter. Als ich ihm den Grund für meine Verwirrung nannte, lachten wir beide und sprachen dann darüber, wie viel einfacher die Rennen früher waren.»
Seither gelang Michael Woods auch in den folgenden Tagen kein Etappensieg, anders als 2023, als er hinauf zum mythischen Puy de Dôme triumphierte. Dafür befindet er sich in der Bergpreis-Wertung noch auf Schlagdistanz. Und sollte der Magen noch einmal rebellieren, kann er sich darauf verlassen, dass auch die Pässe in den Alpen von vielen Wohnmobilen der Fans gesäumt sind.