Eishockey in der Wüste. Das ist der Traum von Gary Bettman, als er am 12. Dezember 1992 NHL-General (Commissioner) wird. Er bekommt von den 24 Klubbesitzern fast alle Vollmachten. Die meisten verlieren viel Geld. Das muss sich ändern.
Der Plan von Gary Bettman ist einfach: Eishockey kann nur ein lohnendes Milliardengeschäft werden, wenn neue Märkte im Süden und im Westen der USA erschlossen werden. Auch deshalb ist viele Jahre später Las Vegas und nicht Quebec bei der Expansion zum Zuge gekommen.
Seit 1992 ist die NHL von 24 auf 32 Teams erweitert worden. Den Süden hat Hockey erobert (Florida), den Westen auch (Los Angeles, Anaheim, San José). Nur in der Wüste wollte es einfach nicht funktionieren. Nicht einmal Wayne Gretzky hat in Phoenix (Arizona) Eishockey populär machen können.
Aber nun funktioniert Hockey auch in der Wüste. In Las Vegas.
Las Vegas hat im Vergleich zu den traditionellen Märkten an der US-Ostküste oder Kanada keinerlei Hockey-Tradition. Hier Hockey zu installieren, scheint so unmöglich wie in Saudi-Arabien. Und doch ist es gelungen.
Die finale Partie um den Stanley Cup war ein grandioses Schauspiel, das uns erklärt, wie das Hockeygeschäft heute funktioniert und wohin sich dieser Sport entwickeln wird. Auf und vor allem neben dem Eis.
Die Golden Knights sind das beste Marketing-Produkt der neueren Sportgeschichte. Ein schier unmöglicher Spagat ist gelungen: einerseits Hockey in der Unterhaltungsindustrie der Welthauptstadt der Zerstreuung zu etablieren. Andererseits die Pflege der ewigen, wahren Werte dieses rauen Spiels nicht zu verraten.
Dienstag, 13. Juni. Es ist heiss in Las Vegas. Über 30 Grad. Und viel ist los. Wie immer. Cirque de Soleil, Barry Manilow, David Copperfield, Keith Urban, Carrot Top und mindestens 20 weitere Showstars treten auf.
Wie bringe ich die Menschen dazu, trotzdem zum Hockeyspiel zu gehen? Ich mache daraus eine noch bessere Show. Auf die Verpackung kommt es an. Die Verpackung ist (fast) alles.
Noch nie ist Hockey als raues Spiel harter Männer so gut inszeniert worden: Hier ist nicht irgendein Tier das Symbol. Keine Lions, Sharks oder Tigers. Hier sind Ritter am Werk. Harte Männer. Mit dem Motto: immer vorwärts, niemals Rückzug. Tatsächlich fechten in der Pre-Game-Show Ritter im Mittelkreis. Der goldene Ritter aus Las Vegas schlägt dunkle, finstere Gestalten in die Flucht.
Härte muss man hören und spüren. Die T-Mobile Arena (Kosten: 375 Millionen) hat mit ziemlicher Sicherheit die beste Soundanlage der Hockeywelt und die Spiele in Las Vegas sind die lautesten.
Bereits das Aufwärmen wird mit Rockmusik untermalt, die den Körper in Schwingung versetzt. Das Spiel beginnt um 17.00 Uhr und die Show inklusive Übergabe des Stanley Cups wird kurz nach 21.00 Uhr fertig sein. Nie kehrt Ruhe ein. Dafür sorgt auch die Animation auf dem grossen Video-Würfel. Sie beschränkt sich nicht darauf, allgemein Lärm einzufordern. Erst werden Frauen aufgefordert, «noise» machen. Dann Männer, dann Blonde, dann Touristen, dann Einheimische. Mal die in den unteren, mal die in den oberen Rängen. Niemand kommt zur Ruhe.
Der rote Faden, der sich durch das ganze Schauspiel zieht: Kampf und harte Männer. Einspielungen aus allen möglichen Filmen, Arnold Schwarzenegger inklusive, suggerieren diesen Kampf der rauen Männer. Das mögen die Amerikanerinnen und Amerikaner im Sport.
Und der Gehalt, die Kultur des Spiels? Eishockey im Juni ist nicht mehr Lauf- und Tempohockey. Es ist Energie- und Kampfhockey. Solange Florida die Kraft hat, wird Hockey gearbeitet. Nicht gespielt. Hockey eher wie Rugby. Keine freien Räume. Das erste Drittel dauert eine Stunde. Dann geht Florida der Sprit aus, es wird überrollt. 9:3 steht es am Schluss.
Perfekt fürs Publikum. Am Anfang ein wenig bangen (Florida kann auf 2:1 verkürzen) und dann: Showtime. Die goldenen Ritter kämpfen sich den Weg frei zum grossen Triumph. Im zweiten Drittel erzielen sie in zehn Minuten vier Tore. Am Ende bedeuten neun Treffer die Egalisierung eines Rekordes. Nur die Toronto Maple Leafs (1942) und die Detroit Red Wings (1936) haben in einem Finalspiel auch neunmal getroffen.
Taktik? Spielzüge? Ja, hin und wieder zucken geniale Aktionen wie Blitze auf. Aber in erster Linie wird der Gegner vom Eis gearbeitet. Der Unterschied zwischen einem typischen Lauf- und Tempospiel in der National League und dieser finalen Partie um den Stanley Cup ist mindestens so gross wie zwischen Philharmonikern und einer Rockband.
Es geht in Las Vegas nicht darum, Hockey tief zu verankern. Las Vegas ist zwar heute dreimal so gross wie 1990. Aber nur rund 2 Millionen Menschen leben ständig hier. Es geht also darum, Hockey zu einem Teil der Unterhaltungsindustrie zu machen, von einem Geschäftsumfeld mit gut 60'000 Firmen und von über 42 Millionen Besuchenden zu profitieren, die jedes Jahr nach Las Vegas kommen. Die wollen einfach unterhalten sein und kümmern sich nicht um Namen. Wozu also zu viel Geld in Superstars investieren?
Auch das passt zum neuen Champion. Las Vegas löhnt keine grossen, charismatischen Persönlichkeiten, die den Sportfans übers Hockey hinaus weltweit ein Begriff sind, wie Connor McDavid, Sidney Crosby oder wie früher Mark Messier, Wayne Gretzky, Patrick Roy, Martin Brodeur oder Mario Lemieux.
Der neue Stanley-Cup-Sieger steht für die konservativen Werte des Teamsportes. Es sind ja die kanadischen Gralshüter des Hockeys, die sagen, Eishockey sei der einzige, wahre und letzte Teamsport.
Die grosse Show endet mit der Übergabe des Stanley Cups. Von zwei Herren in weissen Handschuhen wird die Trophäe hereingetragen. Jeder aus dem Team wird den Stanley Cup in die Höhe stemmen. Auch das eine Betonung des Teamgedankens.
Alles läuft ruhig und gesittet ab. Niemand drängt aufs Eis, der nicht dorthin gehört. Nach dem Handshake verlassen die Gäste das Eis, um den Champions Platz zu machen.
Sechs Jahre nach der Gründung sind die Las Vegas Golden Knights Stanley-Cup-Sieger. Rekord. Eine einmalige Erfolgs- und Vermarktungsgeschichte. Na und?! Gegen 22 Uhr ebbt die Party um die Arena ab und 200 Meter vom Stadion entfernt ist der Alltag schon wieder eingekehrt.
Es gibt so viele Erregungen und Aufregungen in der Stadt der Sünde. Tag für Tag. Der Gewinn des Stanley Cups ist in Las Vegas noch kein Grund, den Atem anzuhalten.
Falsch. Las Vegas holt alles, was einen klingenden Namen hat und tatsächlich verfügbar ist (siehe Jack Eichel.