Der Elefant im Raum beim SC Bern ist das Stadion. Alle wissen um das Problem. Aber niemand redet öffentlich darüber. Die PostFinance Arena ist mit heute 17'031 Plätzen die grösste Hockeyarena ausserhalb Nordamerikas. Die Existenzgrundlage für den SC Bern. Die Stehplatzrampe für 12'000 Fans («die Wand») ist ein zentraler Bestandteil des Mythos SC Bern, der DNA des Klubs: Wir haben «die Wand», also sind wir.
Als «Tämpu» («Tempel») bezeichnen die Bernerinnen und Berner das Stadion und drücken so aus, dass der Besuch eines SCB-Spiels ein spezielles Erlebnis ist. Eine wundersame Mischung aus Tradition, Nostalgie und Emotionen. Ein Hochamt des Eishockeys. Am 22. Oktober 1967, einem Sonntag, wird das Stadion (Eisstadion Allmend), das der Stadt gehört und von der Stadt finanziert wird, nach zweijähriger Bauzeit unter freiem Himmel eröffnet. Als neue Heimat für den SCB, der bis dahin auf der Ka-We-De (Kunsteisbahn und Wellenbad Dählhölzli) zu Hause war. Der SCB besiegt den Stadtrivalen EHC Rot-Blau Bern gleich mit 8:0. Die 4'000 Sitzplätze und die provisorische Stehplatz-Tribüne sind ausverkauft.
1970 folgt die Überdachung unter dem legendären und populären SP-Stadtpräsident Reynold Tschäppat, der den Abstimmungskampf mit dem Slogan «Weit dir äs Dach?» («Wollt ihr ein Dach?») gewinnt. Für das Dach wird das Holz von 1000 hundertjährigen Rottannen verbaut. 30 Tonnen schwere Bogenbinder wölben sich bis 40 Meter hoch und überspannen zwischen den Auflageflächen 85 Meter.
Der Tempel ist nicht für die Ewigkeit gebaut. Ab den 1990er Jahren sind jährliche Investitionen für Unterhalt und Renovation in der Höhe von gut und gerne 250'000 Franken erforderlich. Das Stadiondach und die Eisaufbereitungsanlage müssen saniert werden. 2004 zeichnet sich ab: Der Tempel bedarf einer Gesamterneuerung. Um den Bedürfnissen für Sicherheit, sanitäre Installationen, Brandschutz, Gastronomie und der feinen Gesellschaft (VIP) gerecht zu werden. Aber die Kosten sind zu hoch für die Stadt. Private Investoren müssen einspringen.
Kurz vor Ostern 2007 der Durchbruch: Nach einem siebenstündigen Sitzungsmarathon geht entscheidet der Projektentwickler und Generalunternehmer HRS Real Estate AG ins Risiko zu gehen. Die HRS AG kauft der Stadt das Stadion im damaligen Zustand für 12,4 Millionen zu einem «Schnäppchenpreis» ab und garantiert die Fertigstellung der Erneuerung bis zur WM 2009 in Bern und Kloten. Die Stadt hatte in ihren Bilanzen das Stadion immer noch mit 14 Millionen eingebucht. Am 16. August 2007 beginnen die Bauarbeiten. Die Gesamtsanierung kostet gut 100 Millionen.
Der grosse Wurf gelingt. Am 5. September 2008 geht das erste Spiel im rundum neu gestalteten Tempel über die Bühne: Der SCB besiegt zur Saisoneröffnung den EHC Biel 5:2. Die Swiss Prime Site AG hat die Arena nach der Renovierung von der HRS AG übernommen. Sie ist eine der führenden Immobilien-Investitionsgesellschaften der Schweiz mit Sitz in Olten, Besitzerin mit über 100 Liegenschaften im Wert von gut vier Milliarden Franken.
Die Swiss Prime Site AG vermietet das Stadion der Bern Arena Stadion AG. Von diesem Unternehmen mietet der SCB die Arena als Generalmieter und ist Herr über die gesamte Gastronomie und Werbung und kann auch andere Veranstaltungen als Hockeyspiele durchführen (Boxkämpfe, Eiskunstlauf WM, Turn-EM, Kletter-WM, Curling-Turniere, Konzerte, Ausstellungen etc.) Der neue Tempel ist die Existenzgrundlage für den Hockey- und Gastrokonzern SCB, der pro Saison fast 60 Millionen Franken umsetzt, im Besitz einer kleinen Männerrunde um Marc Lüthi ist und in der Regel schwarze Zahlen schreibt. Der SCB und das Stadion sind also in Privatbesitz.
Aber eben: Die PostFinance Arena ist inzwischen ein Dinosaurier geworden. Riesig, mächtig, gigantisch. Aber mehr und mehr wie aus der Zeit gefallen und mittelfristig nicht mehr überlebensfähig. Eigentlich müsste der Tempel ein UNESCO Weltkulturerbe sein. Weil hier die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse im «alten Bern», im 1798 von Napoléon gestürzten «Ancien Regime» wie in einem Museum dargestellt werden.
Auf der einen Seite 24 VIP-Logen mit 1'200 Plätzen, die nach wie vor zu den besten der Liga gehören. Unten das Rund der gut 6'000 Sitzgelegenheiten für die mittelständischen Hockeyfans und gegenüber den VIP-Logen die riesige Wand mit den mehr als 10'000 «billigen» Stehplätzen fürs Hockey-Proletariat. Ein Abbild der Gesellschaft im alten, mächtigen Bern mit den regierungs- und regimentsfähigen alten Berner Familien (heute VIP), den recht wohlhabenden Bauern und Händlern in der Waadt und im Mittelland (auf den Sitzplätzen) und dem Heer der Taglöhner und Knechte (auf den Stehplätzen).
Aber der «Mythos Hockeytempel» bröckelt. Die Stadionauslastung in der Qualifikation ist von 95,65 Prozent in der letzten Meistersaison (2018/19) auf heute 88,21 Prozent gesunken. Oder von durchschnittlich 16'687 auf 15'023 Fans pro Spiel. Dieser Rückgang von 1'500 bezahlten Tickets pro Match (26 Heimspiele in der Qualifikation) dürfte den SCB bis zu vier Million kosten: Es fehlen ja auch pro Partie 1'500 durstige Kehlen und hungrige Mägen im Stadion. Es ist inzwischen nicht mehr notwendig, den Saisonkartenverkauf bei 13 000 zu stoppen, um noch Tickets für die Tageskasse zu haben.
Der Rückgang hat mit ausbleibendem sportlichem Erfolg zu tun. Aber auch mit fehlendem Komfort im Stadion. Erforderlich ist eine erneute Totalsanierung oder besser noch ein Neubau. Marc Lüthi sagt: «Bis 2030 muss das Projekt aufgegleist sein». Hoppla. In sieben Jahren. Er bestätigt auf Nachfrage: «Ja, ich arbeite intensiv an diesem Projekt.» Um dann aber zu blockieren: «Mehr kann ich dazu nicht sagen.» Der Grund ist klar: Die ganze Sache ist hochheikel. Wirtschaftlich und politisch.
Eine Totalsanierung oder ein Neubau kosten zwischen 100 und 150 Millionen. Wer finanziert dieses Projekt? Neubau oder Totalsanierung? Da es nicht möglich ist, vorübergehend an einen anderen Standort auszuweichen: Könnte während einer Sanierung der Spielbetrieb aufrechterhalten werden wie beispielsweise bei der Stadionsanierung in Fribourg? Ist unter Umständen ein Neubau an einem anderen Standort nicht einfacher? Gelingt nochmals ein Zusammenspiel zwischen der HRS und der Swiss Prime Site? Finden sich also erneut private Investoren, die das Projekt stemmen? Welche politischen Entscheidungen (Bewilligungen) sind erforderlich? Ein Neubau auf Stadtberner Boden oder in Ostermundigen? Ostermundigen hat sich soeben in einer Abstimmung eine Fusion mit der Stadt abgelehnt.
Dazu kommt ein Thema, das zwar wirtschaftlich nicht existenziell ist, aber die DNA des Klubs berührt: Was wird aus «der Wand», aus der grössten Stehplatztribüne der Hockey-Welt? Sie ist das optische Herzstück des Stadions. Fragen, ob diese Betonrampe für mehr als 10'000 Fans überhaupt noch zeitgemäss sei, grenzt im SCB-Universum an Ketzerei. Marc Lüthi hat früher einmal erklärt, so lange er etwas zu sagen habe, bleibe die Stehplatzrampe. Er wird sein Wort halten. Er hat nie gesagt, in welcher Grösse er diese Rampe erhalten werde. Die Einnahmen aus den Stehplätzen machen nur noch 20 Prozent des Ticketverkaufes aus. 40 Prozent kommen von den Sitzplätzen und 40 Prozent von den VIP-Logen.
Insgesamt machen die Ticketeinnahmen in der Konzern-Gesamtrechnung weniger als 50 Prozent aus. Oder noch einfacher gesagt: Der SCB kann es sich leisten, die Stehplatzangebot massiv zu reduzieren und kann durch eine Erhöhung der Anzahl Sitzplätze mehr Geld einnehmen. Der Ertrag pro Sitzplatz (Ticket und Konsumation) ist erheblich höher als bei den Stehplätzen.
Der Zeitplan, das Stadionprojekt (Neubau oder Totalsanierung) bis 2030 auf dem Schlitten zu haben, ist sehr, sehr, sehr ambitioniert. In Zürich dauerte es 14 Jahre und 6 Monate vom Startschuss bis zur Stadioneröffnung. Bei einer Finanzierung durch private Investoren. Dabei ist es gelungen, Einsprachen zu vermeiden. In Bern mahlen allerlei Mühlen in der Regel langsamer als in Zürich.
Wenn wir nun die Geschichte der PostFinance Arena und die damit verbundenen Sensibilitäten kennen, wird klar, warum Marc Lüthi keine öffentlichen Diskussionen, geschweige denn Polemiken um Sanierungs- und Neubaupläne haben will. Damit er die grösste Herausforderung seiner SCB-Karriere zügig, aber ohne Hast und in Ruhe meistern kann. 1998 hat er die Geschäftsführung nach der Nachlassstundung übernommen. Die Lösung des anstehenden und unvermeidlichen Stadionproblems wird im Quadrat mehr Energie erfordern als einst um die Jahrhundertwende die wirtschaftliche und sportliche SCB-Erneuerung.
Keine Polemik😉