Keine andere Sportart hat eine so reiche Storytelling-Kultur wie das Eishockey. Diese Kultur ist in Nordamerika ganz besonders ausgeprägt. Sie ist aber auch bei uns gut entwickelt. Gerade in Zeiten der Playoffs werden die besten Geschichten erzählt.
Beispielsweise im Bieler Hockey-Tempel in der VIP-Loge am Dienstag vor der zweiten Partie gegen den SC Bern. DAS Thema: Biels Sportchef Martin Steinegger habe sich, als er noch ein «böser» Mann der meisterlichen «Big Bad Bears» war (1995 bis 2008), nach einem Spiel in der VIP-Loge des Berner Hockeytempels mit einem Sponsor prügelnd das Nasenbein gebrochen.
Die Geschichte stimmt nicht ganz. Sie ist in Wirklichkeit noch besser: Ein Sponsor wollte der Freundin eines kräftigen SCB-Verteidigers zu später Stunde an die Wäsche. Steinegger übernahm in der Rangelei die Rolle des kräftigen Schlichters und sorgte schliesslich durch das Aufrollen des Feuerlöschschlauches für Ordnung. Es blieb bei blutenden Nasen ohne Bruch.
Vor und während der Zeiten der Playoffs wird heute nicht immer ganz offen kommuniziert. Am 7. Februar ist von Biel folgende Meldung offiziell über die Nachrichtenagentur SDA verbreitet worden:
«Gaëtan Haas erlitt Wadenbeinbruch: Der vor der Playoff-Qualifikation stehende EHC Biel muss schlimmstenfalls bis Saisonende den Ausfall eines Leistungsträgers verkraften. Haas erleidet im Training einen Bruch des Wadenbeins.»
Wahr ist, dass das Jahrzehnttalent, das ab der nächsten Saison drei Jahre für den SC Bern stürmen wird, tatsächlich durch einen Wadenbeinbruch ausfällt. Wahr ist auch, dass Nationalstürmer Haas den Bielern in der Serie gegen den SC Bern fehlt. Sportchef Martin Steinegger sagt: «Bei fünf gegen fünf Feldspielern ist es halbwegs möglich, seinen Ausfall zu kompensieren. Aber nicht im Powerplay.»
Unwahr ist hingegen, dass sich Gaëtan Haas das Wadenbein beim Training gebrochen hat. Wahr sei vielmehr, dass er sich die Verletzung bei einem Treppensturz daheim in den Hausschuhen zugezogen hat. Sportchef Martin Steinegger mag weder dementieren noch bestätigen. Er sagt: «Es ist richtig, dass er sich die Verletzung nicht während, sondern vor dem Training zugezogen hat …»
Je nach Ausgang der Viertelfinals sehen wir jetzt schon die Vorboten der Polemik. Am meisten Unterhaltung würde in diesem Zusammenhang ein Ausscheiden der ZSC Lions gegen Lugano bieten. Zu schmähen wäre dann ZSC-Sportchef Edgar Salis.
Erstens, weil er darauf verzichtet hat, einen fünften Ausländer für den Notfall zu verpflichten. Das kann den Zürchern das «Aus» in den Viertelfinals oder in den Halbfinals bescheren – und den Titel kosten.
Zweitens, weil Salis es zugelassen hat, dass Cheftrainer Hans Wallson den Schillerfalter Luca Cunti aus dem Hallenstadion verscheucht hat. Cunti stürmt jetzt noch für Kloten und nächste Saison in Lugano. Das kann den Zürchern das «Aus» in den Viertelfinals oder in den Halbfinals bescheren – und den Titel kosten. Nach dem Ausfall von Oberschillerfalter Robert Nilsson erst recht. Wir können es auch so sagen: Wer einen Spieler wie Luca Cunti gering schätzt, wird von den Hockeygöttern bestraft.
Ein Scheitern Lausannes gegen Davos in weniger als sieben Spielen bereits in der ersten Runde gäbe auch einem wohlwollenden Chronisten das Recht, Lausannes Sportdirektor Jan Alston zu schmähen.
Weil er Trainer Heinz Ehlers im letzten Frühling aus einem weiterlaufenden Vertrag gefeuert und durch Dan Ratushny ersetzt hat. Zwar hat der Kanadier mit begeisterndem Offensiv- und Tempohockey die Mannschaft auf den 4. Rang gecoacht. Ehlers reichte es nur zu den Rängen 8 (zweimal) und 9 (punktgleich mit dem späteren Meister SCB). Aber er hat 2014 die ZSC Lions und 2015 den SC Bern in den Playoff-Viertelfinals sieben Spiele lang gefordert.
Im Rückblick werden wir erkennen, dass ganze Serien in einer einzigen Szene, in Sekundenbruchteilen entschieden worden sind. Eine solche Szene hat sich in der Verlängerung der ersten Partie zwischen Zug und Servette zugetragen. Servettes Tim Traber hat in der Verlängerung mit einem Direktschuss die Latte getroffen. Eine Niederlage gleich zum Auftakt hätten die Zuger womöglich in den Köpfen und Herzen nicht mehr verarbeiten können. Eine verrückte Szene: Hätten die Genfer im Training ausgemacht, dass es einen Kasten Bier gibt, wenn einer in einem Direktschuss die Latte trifft – es wäre in tausend Versuchen nicht möglich gewesen. Servette hat die erste Partie und anschliessend auch das zweite Spiel verloren.
Wir sehen aber auch erste Möglichkeiten für Heldengeschichten. Sogar für den vielgeschmähten Sportchef des HC Lugano. Letzte Saison feuerte Roland Habisreutinger Wohlfühltrainer Patrick Fischer und sorgte mit dem Engagement von Feuerkopf Doug Shedden für einen Kulturschock, der Lugano vom letzten Platz bis in den Playoff-Final treiben sollte.
Nun hat Habisreutinger diese Saison den grantigen Shedden gefeuert und mit dem Engagement von Greg Ireland wieder für eine Wohlfühl-Atmosphäre gesorgt. Wieder hat es eine positive Reaktion gegeben: Lugano hat die Serie gegen die ZSC Lions ausgeglichen. Es ist die Serie mit dem meisten Talent, den feurigsten Emotionen und dem grössten Überraschungspotenzial. Kommt Lugano weiter, hat der SCB (so er das Halbfinale schafft) sozusagen ein Freilos.
Vor einem Jahr mussten wir ohne kernige Geschichten mit, über und von HCD-Kulttrainer Arno Del Curto auskommen. Der HCD scheiterte als Titelverteidiger im Halbfinal am späteren Meister SC Bern (1:4).
Meistergoalie Leonardo Genoni hat Davos verlassen und ist nun beim SCB der beste Torhüter der laufenden Playoffs (2 Spiele/1 Gegentreffer). Wenn der HCD nun mit dem Playoff-Frischling Gilles Senn den Halbfinal erreicht, dann ist das ein Erfolg, fast so wertvoll wie ein Meistertitel.
Und was wäre, wenn der SCB gegen Biel scheitern sollte? Dann wären Marc Lüthis Geburtstag, Valentinstag, Nationalfeiertag, das Eidgenössische Schwingfest, das Eidgenössische Hornusserfest, Unspunnen, Zibelemärit, Gurtenfestival, die BEA, Weihnachten, Silvester und Neujahr am gleichen Tag.