DIE Story ist nur in Lugano möglich. Damien Brunner verlässt im Frust unerlaubterweise die Spielerbank vor dem Ende des Drittels. In der Pause wird er deswegen von Trainer Greg Ireland gerügt. Worauf der Spieler ausrastet, den Trainer beschimpft und den Stock auf den Massagetisch knallt. Das Wort «Hurensohn» fällt. So geschehen am 23. Dezember während des Heimspiels gegen Biel (3:4).
So weit so gut. Aber schliesslich kommt die ganze Angelegenheit «Blick»-Reporter Angelo Rocchinotti zu Ohren, er macht eine süffige Story – und Lugano reagiert am Mittwochmittag mit einer Medienkonferenz.
Und siehe da – alles in bester Ordnung. Damien Brunner zeigt sich überrascht, dass diese Geschichte drei Wochen nachher den Weg in die Medien gefunden hat. «Ich habe keine Ahnung, was der Journalist damit bezweckte. Ich war über mein Spiel frustriert und während der Partie gingen die Emotionen hoch. Ich habe überragiert. Am nächsten Tag habe ich mich mit dem Coach ausgesprochen und damit war die Geschichte erledigt.»
Auch Greg Ireland findet freundliche Worte. «Es war nicht das erste Mal und wird auch nicht das letzte Mal sein, dass es zu einer solchen Situation kommt. Eishockey ist ein Spiel mit viel Leidenschaft und Emotionen und in Nordamerika kommen solche Episoden häufig vor. Ich glaube in diesem Fall hat man eine zu grosse Geschichte daraus gemacht. Mein Verhältnis mit Damien Brunner war vorher gut und ist jetzt nach einem klärenden Gespräch sogar noch besser geworden. Das zeigt mir, dass ich in meinem Team Spieler mit Ambitionen habe, denen es nicht gleichgültig ist, wenn es nicht wie gewünscht läuft.»
🗣 Ecco le parole del nostro coach Greg Ireland e Damien Brunner su quanto pubblicato oggi dal Blick in merito ad un episodio avvenuto durante la partita del 23 dicembre 👉 https://t.co/Mad4TTReBU pic.twitter.com/VLwyLGjE1B
— HC Lugano (@OfficialHCL) 10. Januar 2018
Lugano steht auf dem dritten Platz der Tabelle mit guten Aussichten, die Qualifikation auf dem zweiten Rang zu beenden. Grande Lugano. Also alles nur ein Sturm im Wasserglas? Bloss ein bisschen billige Polemik? Nein, es ist mehr hinter dieser Geschichte als billige Polemik.
Das Wort Krise ist keine billige Dramatisierung der Lage. Lugano hat nur noch acht der letzten zwölf Spiele gewonnen. Mit einer Mannschaft, die noch im Herbst in lichten Momenten Hockey wie ein Meisterkandidat zelebrierte und in Bern gewonnen hat. Mit Namen auf allen Positionen, die reichen, um den grossen SC Bern herauszufordern. Aber ganz offensichtlich gelingt es wieder einmal nicht, dieses enorme Potenzial wunschgemäss umzusetzen.
Die durchschnittliche Amtszeit eines Trainers in Lugano seit dem letzten Meistertitel von 2006 beträgt acht Monate. Also nicht ganz so lang wie eine Schwangerschaft. Kein Schelm, der nach dem «Fall Brunner» denkt, dass nun wieder die Wehen für die Geburt eines neuen Trainers einsetzen.
Und es ist keine billige Polemik, wenn wir drei Feststellungen machen. Erstens: die Spieler sind in Lugano seit dem letzten Titel von 2006 zu mächtig. Zweitens: die Autorität des Trainers wird imme kleiner. Drittens: Der Transfer von Damien Brunner war ein teurer Irrtum.
Es gibt, unabhängig ob in Lugano oder anderswo, drei Reaktionen, wenn einer in der Kabine ausrastet wie Damien Brunner.
Erste Reaktion: Die Spieler solidarisieren sich mit ihrem Rebellen, der es endlich einmal gewagt hat, zu sagen, was alle denken. Das Resultat ist ein Zusammenrücken der Mannschaft im Sinne «wir gegen den Trainer» und das Resultat ist eine Leistungssteigerung. Die hat es in Lugano nicht gegeben.
Die zweite Reaktion: Der Spieler, der sich gegen den Chef erhoben hat, wird – unabhängig von seinem Status und Talent – nicht mehr ernst genommen. Er wird zum «Fremdkörper» in der Kabine und sollte so zügig wie möglich transferiert werden.
Die dritte Reaktion: Die Spieler messen dem Vorfall gar keine grosse Bedeutung zu. Sie wissen, dass der Trainer sowieso bald gehen muss. Das Wetter ist schön, das Salär bäumig und es gibt wichtigere Dinge als ein Eishockeyspiel.
Welche der drei Reaktionen haben wir in Lugano? Eine Mischung aus allen drei.
Erstens gibt es eine latente Unzufriedenheit mit Trainer Greg Ireland – diese Unzufriedenheit gehört in Lugano inzwischen zur Unternehmenskultur wie das Glockengeläut zur Kuhherde. So gesehen hat Damien Brunner seinen Spielkameraden durchaus aus dem Herzen gesprochen.
Zweitens ist der eigenwillige Stürmer eine egoistische Künstlernatur – so wie schlaue Skorer nun einmal sind. Aber Damien Brunner ist zu gut und verdient zu gut, um von den Spielern nicht ernst genommen zu werden. Er ist in der Kabine durch seinen Ausraster nicht zum «Fremdkörper» geworden. Aber auch nicht zur Integrationsfigur.
Drittens gehört die «Opera Buffa», die «komische Oper», zur speziellen Kultur des HC Lugano. Was in einer hoch entwickelten Leistungskultur Konsequenzen haben müsste, wird in Lugano in Harmonie gelöst. Das Wetter ist schön, das Salär bäumig und es gibt wichtigere Dinge als ein Eishockeyspiel.
Oder können wir uns vorstellen, dass Thomas Rüfenacht in Bern in der Kabine Kari Jalonen als «Hurensohn» beschimpft? Nein, das können wir nicht.
Unabhängig von dieser Episode ist inzwischen klar: Damien Brunner ist Luganos teurer Transferirrtum. Es war richtig, Damien Brunner nach Lugano zu holen, als er seine NHL-Karriere vorzeitig beendete. Er hatte das Potenzial, um die Meisterschaft für Lugano zu entscheiden.
Erst nach und nach hat sich gezeigt, dass sich beide Seiten geirrt haben. Damien Brunner erwartete ein hochprofessionelles Hockeyunternehmen mit dem Potenzial zum Meistertitel. Lugano erwartete einen offensiven Leitwolf, der die Mannschaft zum Titel führen kann.
Aber Damien Brunner ist in ein Hockeyunternehmen gekommen, das zwar tatsächlich alles hat, um hochprofessionell zu arbeiten. Die Infrastruktur, das Knowhow und das Geld. Aber Lugano hat eben auch seine ganz besondere lateinische Kultur und ist die wohl wundersamste Mischung aus Country Club, Professionalismus, familiärer Geborgenheit und Geschäftstüchtigkeit.
Und mit Damien Brunner hat Lugano nicht einen Leitwolf bekommen. Sondern einen hochsensiblen Künstler. Einerseits mit einem ungewöhnlichen Selbstvertrauen, das ihm zeitweise auch den Durchbruch in der NHL ermöglicht hat. Andererseits braucht Damien Brunner Führung und die besondere Herausforderung des Trainers und des Sportchefs liegt darin, Damien Brunner einerseits die Grenzen aufzuzeigen und andererseits die Freiheiten zu gewähren, die ein Spieler wie er einfach braucht. Beim Führungsstil den Mittelweg zwischen Militärakademie und Rudolf-Steiner-Schule zu finden.
Diesen Mittelweg hat Lugano noch nicht gefunden und zusätzlich ist Damien Brunner immer wieder durch Verletzungen geplagt worden. Er kann die Erwartungen nicht mehr erfüllen. Wenn über eine längere Zeit bei einem der bestbezahlten Spieler der Liga die Differenz zwischen Erwartungen und Leistungen nicht bereinigt werden kann, dann bekommen alle ein Problem. Der Sportchef, der Trainer, der Spieler und die Mannschaft.
Was lernen wir aus der ganzen Geschichte? Erstens: ein Transfer, eine neue Herausforderung könnte Damien Brunner womöglich helfen, noch einmal sein bestes Hockey zu spielen. Zweitens: Der kluge Opportunist Greg Ireland ist wahrscheinlich nicht die grosse, charismatische Führungspersönlichkeit, die Lugano zu neuem meisterlichen Ruhm führen kann.
Also schon wieder ein Trainerwechsel? Warum nicht? Lugano hat die zwei letzten grossen Triumphe nur dank eines Trainerwechsels im richtigen Augenblick gefeiert: Larry Huras wurde 2006 während der Viertelfinalserie gegen Ambri gefeuert und durch Harold Kreis ersetzt. Am Ende gewann Lugano seinen bisher letzten Titel. Am 27.Oktober 2015 kam Doug Shedden für Patrick Fischer – und im Frühjahr 2016 erreichte Lugano zum bisher einzigen Mal seit 2006 das Finale.
Und jetzt? Es ist Zeit für ein paar Wochen Bob Hartley. Daraus könnte eine «Opera Buffa» mit meisterlichem Ende werden. Die ZSC Lions konnten sich finanziell mit dem Kanadier nicht einigen und haben Hans Kossmann geholt. Das Geld wird in Lugano nicht das Problem sein. Die Investition könnte sich lohnen.