Eigentlich eine absurde Vorstellung. Aber eine der vielen unwirklichen Wirklichkeiten in unserem Hockey: Ein Klub hat einen populären Stürmer mit auslaufendem Vertrag, der die Mannschaft als Captain führt und soeben auch Captain unseres Nationalteams beim Vierländerturnier in Helsinki war. Er hegt keinerlei Absichten, den Klub zu verlassen. Und doch lautet die bange Frage: Wird der Vertrag verlängert?
Das ist die Situation von HCD-Captain Andres Ambühl. Er ist im September 41 geworden. Die Frage, ob es denn Sinn macht, einem Stürmer den Vertrag zu verlängern, der nächste Saison 42 Jahre alt sein wird und bereits mehr als 1200 Partien in der höchsten Liga auf dem Tacho hat, wäre bei einem gewöhnlichen Spieler auf den ersten Blick berechtigt.
Auf den zweiten Blick zeigt sich hingegen: Es gibt keinen Grund zur sportlichen Sorge. Andres Ambühl. Der leichtfüssige, smarte Läufer mit der Leidenschaft und der Demut, die eine grosse Karriere erst möglich machen, ist kein gewöhnlicher Spieler. Mit 7 Punkten aus 19 Partien gehört er beim HCD nach wie vor zu den fünf produktivsten Schweizer Stürmern. Seine Plus/Minus-Bilanz (+4) ist tipptopp und er schultert nach wie vor durchschnittlich 14:47 Minuten Eiszeit pro Spiel. Das sind zwar nicht mehr über 20 Minuten wie vor zehn Jahren. Aber immer noch solide Werte.
Somit ist für HCD-Manager Marc Gianola klar: «Wir werden mit Andres Ambühl um ein weiteres Jahr verlängern.» Natürlich könne er nicht mehr die gleiche Rolle spielen wie vor zehn Jahren. «Aber er weiss das ja selbst und ordnet sich entsprechend ins Team ein.» Seine Weltrekorde (338 Länderspiele, 141 WM-Partien) wird ihm so oder so auf eine halbe Ewigkeit hinaus niemand mehr streitig machen.
Anders als bei Kultfigur Reto von Arx wird es einen harmonischen Übertritt vom Eis in die HCD-Büros geben. Reto von Arx hatte sich aufrecht im Sattel sitzend im Frühjahr 2015 mit leisem Donnergrollen in den Ruhestand verabschiedet: Er hatte im 5. Finalspiel im Hallenstadion gegen die ZSC Lions den Siegestreffer erzielt, der dem HCD den bisher letzten Titel eingebracht hat. Heute coacht er zusammen mit seinem Bruder Jan erfolgreich den EHC Chur.
Marc Gianola sagt: «Für uns ist klar, dass Andres Ambühl auch nach dem Ende seiner Spielerkarriere für den HCD arbeiten wird. Wir lassen es jetzt noch offen, welche Position er übernehmen wird.» Viele sehen ihn als nächsten HCD-Sportchef. Weil er über die Spieler dieser Liga alles weiss. Oft auch mehr als der zuständige Sportchef.
Andere wiederum mahnen, dass es viel besser wäre, das immense Wissen des Captains in einer Rolle als Berater – sozusagen als «Schatten-Sportchef» – zu nutzen. Weil die Frage berechtigt ist, ob es Andres Ambühl behagen würde, um Saläre zu feilschen, Verträge zu verlängern oder gar zu beenden. Tatsächlich könnte er die Eishockey-Antwort auf einen der besten stillen Berater der sportlichen Führung im Fussball werden: auf Stéphane Chapuisat. Der 103-fache Internationale war der erste ausländische Stürmer, der in der Bundesliga über 100 Tore erzielte, und gewann unter anderem mit Dortmund die Champions League. Als Scout gehört er zu den stillen Architekten der YB-Meisterteams von 2018, 2019, 2020, 2021, 2023 und 2024. In der Art durchaus ähnlich wie Andres Ambühl hat er sich noch nie ins Scheinwerferlicht gedrängt.
YB musste nach 1986 eine halbe Ewigkeit – 32 Jahre – auf den nächsten Titel warten. Andres Ambühl wird mit seinem Wissen und seiner unbezahlbaren Erfahrung dem HCD helfen, die Wartezeit auf den nächsten Titel, die 2015 begonnen hat, auf weniger als 32 Jahre zu verkürzen.