Sport
Eismeister Zaugg

Eishockey NL: Biel oder der Schwanengesang der letzten Hockey-Romantiker

Biels Robin Grossmann, rechts, und Aleksi Heponiemi sind enttaeuscht im zweiten Eishockey Playoff Viertelfinal Spiel der National League zwischen dem EHC Biel und den ZSC Lions, am Montag, 18. Maerz 2 ...
Auch im zweiten Spiel der Viertelfinalserie unterliegen die Bieler dem ZSC.Bild: keystone
Eismeister Zaugg

Biel oder der Schwanengesang der letzten Hockey-Romantiker

Die unerbittliche Hockeymaschine der ZSC Lions gewinnt in Biel auch das zweite Spiel (3:1) und wird den Halbfinal erreichen. Zu viel Armee-Turnprogramm, zu wenig Eisballett bei Biel. Und eine neue Frage taucht auf: Ist Martin Steinegger zu ehrlich, um nächste Saison Trainer zu sein?
19.03.2024, 10:2919.03.2024, 17:08
Folge mir
Mehr «Sport»

Als Schwanengesang bezeichnet man das letzte Werk eines Musikers oder eines Dichters. Oder die letzten Spiele einer grossen Mannschaft. Der Ausdruck geht auf einen alten griechischen Mythos zurück, der besagt, dass Schwäne vor ihrem Tode noch einmal mit trauriger, jedoch wunderschöner Stimme ein letztes Lied anstimmen.

Der Viertelfinal zwischen den ZSC Lions und Biel ist der Schwanengesang der letzten Hockey-Romantiker. Der Bieler, die in dieser Zusammensetzung in diesem Viertelfinal zum letzten Mal auftreten. Einer Mannschaft, die wie keine andere von den letzten Romantikern des Hockeys, von eigenwilligen, taktisch nicht zu zähmenden Künstlern und Rebellen geprägt wird.

Dazu passt, dass Luca Cunti am Montag das Ehrengewand des Topskorers getragen hat. Einst Meister mit den ZSC Lions, WM-Silberheld von 2013 und in Biel noch einmal glücklich geworden. Weil er nur hier die Möglichkeit hat, seine hohe Kunst ohne enge taktische Fesseln zu zelebrieren. Aber er ist nicht mehr ganz so schnell und dominant wie in seinen besten Tagen. Damien Brunner, der einst sogar in Amerika die Verteidigungen in der berühmten National Hockey League (NHL) durcheinanderwirbelte, ist ein zerbrechlicher Schillerfalter geworden. Mike Künzle, der schlaue, bissige Kämpfer, kann sich nicht mehr durchsetzen und ist nun die Personifizierung des Ungehorsams, über den weiter unten noch weitere Ausführungen gemacht werden müssen.

Biels Damien Brunner, links, jubelt nach seinem Tor zum 2-1 mit Teamkollege Luca Cunti, im Eishockey Meisterschaftsspiel der National League zwischen dem EHC Biel und HC Lugano, am Samstag, 1. Februar ...
Ist es ihre letzte gemeinsame Saison in Biel? Damien Brunner und Luca Cunti.Bild: KEYSTONE

Vielleicht haben wir am Montag das drittletzte Spiel eines Trios gesehen, das einst an einem guten Abend mit einer einmaligen Mischung aus Tempo, Schlauheit, Kreativität, Leidenschaft und Mut jede gegnerische Verteidigung auflöste: Dieser Viertelfinal ist auch der Schwanengesang dieser Angriffsformation.

Dieses 1:3 war noch nicht das letzte Spiel. Die ZSC Lions brauchen zwei weitere Siege für den Halbfinal. Biel singt seinen Schwanengesang also noch mindestens zwei und maximal fünf weitere Strophen. Aber die Hoffnung, die Überraschung möge gelingen, der Favorit der Emotionen und Leidenschaft könnte über den Favoriten des Verstandes obsiegen, wird sich nicht erfüllen. Noch ist es nahezu die gleiche Mannschaft, die vor einem Jahr im Halbfinal die Zürcher mit 4:0 hinweggefegt hat. Wie kann es dann sein, dass die Bieler nun im zweiten Spiel nahezu chancenlos waren?

Chancenlos mag ein grosses Wort sein. Immerhin gelingt Jérémie Bärtschi zum Auftakt des Schlussdrittels (44. Minute) der Ausgleich zum 1:1. Torhüter Harri Säteri, der für Joren van Pottelberghe, den glücklosen Helden des ersten Spiels (3:4) in Zürich im Tor steht, lässt früh einen Puck zum 0:1 ins Netz fahren, den er sonst im Sonntagsgewand mit einer Baseballkappe gehalten hätte. Aber dann verriegelt er sein Gehäuse. Es steht 1:1 und in der letzten Viertelstunde einer Playoff-Partie ist bei diesem Spielstand alles möglich. Oder?

Nein, es ist nicht mehr alles möglich. Bis unters Hallendach ist zu spüren, dass die Hockeygötter nicht mit den Bielern sind. Die Leichtigkeit, die Unberechenbarkeit und die Präzision fehlen. Der Spielfluss tritt nicht mehr über die taktischen Ufer, das Spiel ist nicht mehr elegant und präzis zugleich wie ein Eisballett, wie Schwanengesang on Ice. Es ist vorhersehbar geworden wie das Armee-Turnprogramm aus dem Jahre 1953. Auch das famose Trio Mike Künzle, Luca Cunti und Damien Brunner bleibt in der Abwehr der Zürcher hängen.

Die Ratlosigkeit lässt sich sogar auf Papier ablesen. Die ZSC Lions treten in der exakt gleichen Aufstellung an wie beim 4:3 am Samstag. Bei Biel sind in der Grundaufstellung hingegen nur noch ein Verteidigerpaar und eine Sturmlinie gleich wie im ersten Spiel. Die Magie von Sportchef Martin Steinegger, der nach der Entlassung von Petri Matikainen die Bieler in die Playoffs geführt hatte, wirkt nicht mehr. Er ist im Alltag angekommen.

Biel hat den Trainer für die nächste Saison noch nicht bestimmt. Es ist die heikelste Trainerwahl seit dem Wiederaufstieg von 2008. Weil eine Ära zu Ende geht und eine neue Ära beginnt. Die Frage ist ja: Soll ein Welttrainer wie Jukka Jalonen die Erneuerung orchestrieren oder wäre es vielleicht besser, Martin Steinegger diese Aufgabe zu übertragen?

Wahrscheinlich ist Martin Steinegger für den Trainerberuf zu ehrlich. Er gibt nach dem Spiel Auskunft und sagt, was er denkt. Nach dem Grundsatz: Hier stehe ich und kann nicht anders. Die Chronisten spielen ihm freundlich alle erdenklichen ausredetechnischen Steilpässe zu – und er ignoriert sie. Die Frage ist etwa, ob nach der zusätzlichen Belastung durch die vier Play-In-Partien (die den Zürchern erspart geblieben ist) die Energie fehle. Und es spiele doch auch eine Rolle, dass für dieses zweite Spiel mit Jere Sallinen und Yannick Rathgeb zwei wichtige Spieler nicht zur Verfügung standen. Der eine krank, der andere blessiert.

Biels Cheftrainer Martin Steinegger jubelt nach dem Tor zum 2-1 durch Biels Jere Sallinen im Eishockey Meisterschaftsspiel der National League zwischen dem EHC Biel und HC Davos, am Donnerstag, 29. Fe ...
Martin Steinegger sucht keine Ausreden für die beiden Niederlagen.Bild: keystone

Jeder Trainer wäre noch so dankbar auf diese Fragen eingestiegen und hätte räsoniert, wie sehr die Zusatzbelastung gerade seiner Mannschaft mit den vielen Routiniers zusetze. Wie zentral für die Offensive Jere Sallinen und wie unersetzlich Yannick Rathgeb für die Abwehr und den Aufbau von Angriffen und das Assistmachen sei. Und sicherlich hätte er noch darauf hingewiesen, dass diese ZSC Lions schier unbesiegbar sind, sicherlich eine der besten Mannschaften ausserhalb der NHL. Man habe ja in der Qualifikation 35 Punkte weniger geholt. Und er hätte dazu ein Gesicht gemacht, als wolle er zu den Chronisten sagen: Diese Niederlage war ganz und gar unvermeidlich. Was wollt ihr denn eigentlich?

Aber so ist Martin Steinegger nicht. Ihm fehlt jedes Talent zum Schauspieler. Er will nichts von der fehlenden Energie und zu hoher Belastung wissen. Er akzeptiert auch sonst keine mildernden Umstände. Er sagt das, was von der Tribüne aus zu sehen und zu spüren war: «Das gewisse Extra fehlte.» Er wolle niemandem einen Vorwurf machen. «Aber jeder hat gerade so viel gemacht, dass es keinen Grund zur Kritik gibt. So wie in der Schule, wenn man gerade so viel macht, dass der Lehrer keinen Grund zur Ermahnung findet.» Von Dienst nach Vorschrift zu reden, wäre boshaft, von Minimalismus ungerecht. Armee-Turnprogramm trifft es besser.

Und dann kommt doch noch eine kritische Frage. Eher eine Anmerkung. Es sei halt schon schwierig, wenn sich einer laufend völlig unnötige Fouls leiste. Gemeint ist Mike Künzle. Auf der Strafbank beim wegweisenden ersten Gegentreffer am Samstag in Zürich. Und nun leistete er sich gar eine Sünde (Beinstellen), welche die Niederlage nicht bloss einleitet wie am Samstag, sondern besiegelt: im Schlussdrittel beim Stande von 1:1 hinter dem gegnerischen Tor. Seinen Ausschluss nützen die Zürcher zum Siegestreffer (2:1). Wahrlich, der Trainer hätte Grund zum Tadel, ja eigentlich zum Toben.

Martin Steinegger denkt kurz nach. Dann sagt er in der trockenen Sachlichkeit, die seine Art ist: «Ja, der Mike spielt nächste Saison bei Zug.» Eigentlich ist auch Martin Steinegger ein Hockey-Romantiker.

  • Stürmer
  • Verteidiger
  • Torhüter
player_image

Nation Flag

Aktuelle
Note

  • 7

    Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.

  • 6-7

    Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.

  • 5-6

    Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.

  • 4-5

    Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.

  • 3-4

    Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.

  • Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.

5,2

09.22

5,2

09.23

5,2

01.24

Punkte

Goals/Assists

Spiele

Strafminuten

  • Er ist

  • Er kann

  • Erwarte

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
HCD, SCB, ZSC und? Diese Klubs wurden schon Schweizer Hockey-Meister
1 / 13
HCD, SCB, ZSC und? Diese Klubs wurden schon Schweizer Hockey-Meister
HC Davos: 31 Titel, 6 seit 1986; zuletzt Meister: 2015.
quelle: keystone / ennio leanza
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Despacito mit Eishockey-Spielern
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
23 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
AltaLumina
19.03.2024 10:52registriert Mai 2015
Steinegger hat unsere Saison bereits gerettet. Ein Ausscheiden gegen den Z wäre jetzt sicher keine Schande. Zumal dieses Z um Längen besser ist, als der Z letzter Saison.

Meiner Meinung nach wird auch Steinegger nicht Trainer bleiben, sondern Sportchef. Biel weiss wie wichtig er in den kommenden Saision sein wird. Biel wird ein re-build machen und zumindest für paar Saisons sicher nicht mehr an der Spitze mitmachen. Umso wichtiger wird ein Trainer sein, der längerfristig auch die Kultur prägt.
661
Melden
Zum Kommentar
avatar
marak
19.03.2024 11:00registriert April 2014
Hockeyromantik? Ich weiss nicht. Es handelt sicher eher um eine Mannschaft in dem die Karrieren vieler wohlverdienter Spieler sich dem Ende zuneigen. Das ist der Lauf der Dinge.
400
Melden
Zum Kommentar
avatar
Thomas Meister
19.03.2024 11:05registriert April 2019
Biel hatte letzte Saison DIE Chance auf den Titel. Aber es war auch klar, wenn es nicht klappt werden sie wieder ein paar Jahre warten müssen. Sie haben viele Spieler die schlicht und einfach zu alt sind um noch wirklich eine Mannschaft wie den ZSC über 7 Spiele zu fordern. Cunti und Brunner hatten ihre Momente gestern aber sie tauchten dann immer wieder unter. Und nicht zu vergessen Beat Forster. Nach einer leichten Berührung verliert er die Balance und fällt wie ein Baum, 1:3, fertig. Vor ein paar Jahren wäre das ihm niemals passiert.
330
Melden
Zum Kommentar
23
Dank Machtdemonstration im Mitteldrittel – Lausanne vermiest dem ZSC die Meisterparty
Mit einer Gala im Mitteldrittel und einem 5:3-Sieg erzwingt der Finalneuling Lausanne gegen die favorisierten ZSC Lions ein entscheidendes siebtes Spiel am kommenden Dienstag in Zürich.

Lausanne lässt sich in diesem Final einfach nicht kleinkriegen. Zum dritten Mal reagierten es auf eine Niederlage in Zürich mit einem Sieg zuhause. Wenn sie den ersten Meistertitel perfekt machen wollen, werden sie am Dienstag aber erstmals auch auswärts gewinnen müssen.

Zur Story