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Nationaltrainer Patrick Fischer hat bekanntlich ein Flair für historische Vergleiche. Weshalb er diese WM-Expedition ja offiziell unter das Motto «1291» gestellt hat.
Dieses 3:2 nach Verlängerung gegen Dänemark passt gut in sein Konzept. Nun trifft die Jahreszahl 1386 zu. Exakt 630 Jahre nach der Schlacht bei Sempach haben die «Eisgenossen» nun ein «Sempach on Ice» errungen.
Bei Sempach bahnte sich gegen die Habsburger eine schwere Niederlage an. Hätten die Eidgenossen damals verloren, wäre womöglich alles, was man sich 1291 vorgenommen, alles was man geschworen hatte, Makulatur geworden. Die habsburgischen Ritter mussten zwar wegen des Geländes vom Pferd steigen. Aber gegen ihre langen Spiesse kamen die Schweizer mit ihren kurzen Hieb- und Stichwaffen einfach nicht an.
Wenn die Schweizer das Spiel hier in Moskau gegen Dänemark verloren hätten, dann wäre alles, was sie sich unter dem Motto «1291» vorgenommen hatten, Makulatur geworden. Sie standen, wie damals vor 630 Jahren, vor einer schweren Niederlage. Abstieg und Schmach drohten.
1386 kam die Wende durch eine Einzelleistung. Arnold von Winkelried rief seinen Mitstreitern zu: «Ich will euch eine Gasse machen, sorgt für mein Weib und meine Kinder.» Packte einen Bündel habsburgischer Spiesse, drückte sie nieder und durch diese Lücke stürmten die wilden Eidgenossen auf ihre Gegner los, trieben sie in Sumpf und See und erschlugen sie.
2016 kommt die Wende auch durch eine Einzelleistung. Nino Niederreiter, schon während der ganzen Partie einer der tapfersten der Tapferen, kämpft sich durch die gegnerische Abwehr von Männern mit Stöcken und in Ausrüstungen, die an Ritter gemahnen, erzwingt das 2:2. Der Bann ist gebrochen wie damals in Sempach. In der Verlängerung stürmen seine Mitstreiter zum Sieg über Dänemark.
Womit wir dem historischen Flair unseres vielseitig interessierten Nationaltrainers Genüge getan haben. Aber noch etwas passt. Die Eidgenossen waren als wilde, ungestüme Kämpfer in ganz Europa gefürchtet. Sie griffen in ungeordneten Haufen an, stürmten wild und leidenschaftlich auf ihre Gegner los und kaum jemand konnte ihnen widerstehen.
Die Schweizer in Moskau stürmen auch in ungeordneten Haufen, im letzten Drittel gegen Dänemark versuchten sie oft mit drei Mann die gegnerische Angriffsauslösung schon an der Wurzel zu packen (sogenanntes «Forechecking»). Eine wildes Angriffsspiel, das kein Team während der ganzen Spieldauer durchhalten kann. Aber ein Drittel lang geht das schon. Es musste sein. Es stand 0:2. Die gegnerische Festung musste fallen. Sie ist gefallen.
Die Statistik zeigt uns, dass die Schweizer tatsächlich die wildesten Angreifer dieser WM sind. Sie haben den Puck in drei Partien 132 Mal aufs gegnerische Tor geschossen – dabei sind alle jene Pucks, die den Torhüter und das Tor verfehlt haben und ins Plexiglas oder in die Bande sausten, nicht einmal mitgezählt. Zum Vergleich: Für die Kanadier sind nur 109 und für die Russen nur 111 Schüsse notiert worden. Wir haben allerdings aus dieser offensiven Herrlichkeit nur 8 Tore gemacht. Die Kanadier 20 und die Russen 10. Am besten machen es die Finnen: 14 Tore aus lediglich 74 Schüssen.
Jetzt hat es immerhin für ein 3:2 n.V. gegen das Hockey-Entwicklungsland Dänemark gereicht. Ein frivoler Vergleich sei mir erlaubt, für dessen fehlende politische Korrektheit ich mich im Voraus entschuldige. Aber dieser Vergleich hilft uns zu verstehen, was gestern passiert ist. So wie wir einer schönen Frau Fehler eher verzeihen und bereit sind, alles positiv zu sehen und uns blenden zu lassen, so hat der Verlängerungs-Sieg gegen Dänemark die Wahrnehmung der Kritiker verändert, ja ein bisschen die Sinne vernebelt.
Die fehlende Ordnung im wilden Offensivspiel, die fehlende Effizienz, der hohe offensive Aufwand und der geringe Ertrag, das miserable Boxplay, die geschenkten Gegentore. Ein WM-Start mit drei Punktverlusten gegen drei Gegner, die in der Weltrangliste hinter uns liegen, gegen drei Gegner die zusammengerechnet nur halb so viele lizenzierte Spieler haben wie wir (Kasachstan 4300, Norwegen 5000, Dänemark 6600, Schweiz 23'000).
Alles in allem ein völlig ungenügender WM-Start für den WM-Finalisten von 2013 – also alles was nach wie vor kritisiert, ja gegeisselt werden müsste, erscheint jetzt, nach dem dramatisch, heroisch errungenen Sieg im hellen Glanz. Löst sich in Jubel auf. Nationaltrainer Patrick Fischer ist eben ein grosser Kommunikator.
Er wirkt jetzt ruhiger und gelassener. Die Anspannung ist gewichen. Er spricht eher noch leiser als sonst schon und erhöht so die Dramatik der Situation. Er hütet sich davor, zu triumphieren. Er weiss, dass noch nichts erreicht ist. Er hütet sich wohlweislich auch, gegen seine Kritiker zu sticheln. Er weiss zu gut, dass die Retourkutschen immer gefahren werden. Also spricht er darüber, wie schwierig die Situation nach den zwei ersten Niederlagen gewesen sei.
Er mahnt, dass man vieles richtig gemacht habe. Er sei froh, dass es im Spiel gegen Dänemark endlich gereicht habe. «Nur der Sieg zählt. Es ist so wichtig, dass sich die Spieler in der Kabine freuen können und nicht wieder eine Enttäuschung hinnehmen mussten. Ich gönne ihnen diese Freude extrem.»
Er liebe diese Mannschaft, die an den Herausforderungen der letzten Partien gewachsen sei. «Wir haben gegen Kasachstan, gegen Norwegen und jetzt auch gegen Dänemark Rückstände aufgeholt. Da muss man erst einmal eine zweite Mannschaft suchen, die dazu in der Lage ist. Es ist eine ehrliche, hart arbeitende Mannschaft.»
Der Nationaltrainer spricht über die gute Stimmung in der Kabine. Und er dürfte damit schon recht haben. Seine Jungs wären ja sonst gar nie dazu in der Lage gewesen, all diese Rückschläge wegzustecken.
Die Schweizer haben mit einer Mischung aus Bravado, Bravour und Broadway für glänzende Unterhaltung gesorgt und die Chance auf die Viertelfinals gewahrt. Da rund um unsere Nationalmannschaft das Marketing das Primat vor dem Sport hat, eigentlich ein perfekter WM-Auftakt. Oder?