Wenn ein Trainer des Amtes enthoben wird, dann schweigt er erst einmal ein paar Tage und es dauert, bis er Selbstvertrauen, gute Laune, Optimismus und Charisma wiederfindet. Selbstvertrauen, gute Laune, Optimismus und Charisma sind wichtige Voraussetzungen, um eine Gruppe junger Männer zu führen, die bezahlt sind, um zu spielen. Und nicht, um zu arbeiten. Oder wie es einmal der grosse Franz Beckenbauer – als er Bundestrainer war – nach einer WM so schön formuliert hat: Er habe wochenlang mit schwer erziehbaren Menschen gelebt und müsse nun etwas allein sein.
Die Besonderheit bei der Entlassung bzw. Amtsenthebung bzw. Freistellung von Christian Wohlwend: Er hat damit gerechnet. Er musste von allem Anfang an damit rechnen. Auch seine Vorgänger sind in Ajoie seit dem Aufstieg gescheitert: Aufstiegs- und Cupheld Gary Sheehan und der ehemalige tschechische Nationaltrainer Filip Pesan.
Auch deshalb hat er den Optimismus nicht verloren. «Ich habe nur gute Worte für diesen Klub und für das Management.» Er sei jederzeit fair behandelt worden und irgendwann sei es halt die Niederlage zu viel. Er werde die Zeit in der Ajoie in bester Erinnerung behalten. Immerhin ist er ja der erste Cheftrainer seit dem Aufstieg, der bei Ajoie länger als eine Saison durchgehalten hat.
Scheitern ist in diesem Fall eigentlich nicht die richtige Bezeichnung. Wer es gerne martialisch-poetisch mag, kann auch sagen: Den Trainer des Letzten beissen die Hunde immer. Es ist egal, ob er prominent oder ein Nobody ist, ob er an der Misere schuldig oder nicht schuldig, ob er fähig oder unfähig ist.
Diese Fragen sind berechtigt: Ist die National League für Ajoie sportlich eine Nummer zu gross? Ist es denn nicht gelungen, die Mannschaft im letzten Sommer zu verstärken? Und die Ausländer sind doch jetzt eine Nummer grösser, oder?
Die Antworten auf diese Fragen lauten Ja und Nein. Ja, wenn wir die wirtschaftlichen Möglichkeiten betrachten, dann ist die National League für Ajoie eine Nummer zu gross. «Königstransfers» von Schweizer Spielern, die eine Mannschaft besser machen und nicht bloss ergänzen, sind nicht finanzierbar. Nein, wenn wir die Leidenschaft der Fans und die Hockeykultur im Jura als Kriterium nehmen: Ein Klub aus dieser Region tut der Liga durchaus gut.
Ja, Sportdirektor Julien Vauclair hat im Rahmen der Möglichkeiten im letzten Sommer gut transferiert. Aber die Neuzuzüge sind gute Ergänzungsspieler und verbreitern die Kadertiefe. Leitwölfe können sie nicht sein.
Ja, die neuen finnischen Ausländer haben viel Talent. Aber nur Jerry Turkulainen (4 Tore) hat bisher die Erwartungen erfüllt. Julius Nättinen (2 Tore) und Oula Palve (1 Tor) sind Schillerfalter, die bei schönem spielerischem Wetter ihre Flügel entfalten. Aber wenn es kälter wird, klappen sie die Flügel zusammen. Leitwölfe waren sie noch nie und werden sie wohl nie sein und zu Defensivstürmern taugen sie erst recht nicht. Beide haben erhebliche Minusbilanzen. Sind es Fehltransfers? Nein. Die Aussichten gab es ja, dass sich die beiden im ganz besonderen Reizklima der jurassischen Hockeyromantik wohl fühlen.
In seinem ersten Amtsjahr hatte Christian Wohlwend durchaus Fortschritte erzielt: Letzte Saison war sein Ajoie erstmals seit dem Aufstieg in zwei aussagekräftigen Statistiken nicht mehr Schlusslicht: Kloten liess mehr Gegentreffer zu und erzielte weniger Tore. Was zu einer gewagten Saisonprognose führte: 13. Ajoie. 14. Kloten. Wie wir inzwischen wissen, ist es ganz anders gekommen. 4. Kloten 22 Punkte. 14. Ajoie 4 Punkte. In Kloten ist es gelungen, das Chaos zu ordnen und das Potenzial umzusetzen. Bei Ajoie war kein Chaos und es gab nichts zu ordnen. Das Potenzial ist schon letzte Saison umgesetzt worden.
Christian Wohlwend ist auch die Ausgeglichenheit der Liga zum Verhängnis geworden. Jeder Punkt zählt. Ein Punktverlust gegen Ajoie kann einem Spitzenteam die direkte Playoff-Qualifikation kosten. Ajoie kann nicht mehr von der Romantik des Aussenseiters zehren, von der Arroganz der Titanen profitieren. Es gibt keine «Gratispunkte» mehr. Ajoie wird, obwohl notorisch auf dem letzten Platz, als Gegner ernst genommen und nicht mehr unterschätzt.
Christian Wohlwend ist weder frustriert noch erschöpft, wie es sonst Trainer nach einer Entlassung sind. Er sagt sogar: «Ich bin motiviert, voller Energie und brenne auf eine neue Herausforderung.» Er hat in Davos und nun in Ajoie bewiesen, dass er eine Mannschaft in der höchsten Liga führen kann. Eigentlich gereicht ein Scheitern in Ajoie einem Trainer zur Ehre: Wer diesen Job angenommen hat, beweist Mut und hat keine Angst vor einer immensen Herausforderung. Wer in diesem Job dann länger als eine Saison durchgehalten hat, stellt Führungsqualitäten unter schwierigsten Bedingungen unter Beweis.
Nun steht wieder Sportdirektor Julien Vauclair an der Bande. So wie nach den Amtsenthebungen von Gary Sheehan und Filip Pesan. Das macht Sinn und kostet nichts.
Den Playouts zwischen dem 13. und 14. der Liga wird Ajoie nicht entkommen. Die schwierige Aufgabe ist es nun, die Mannschaft bis zu diesen Playouts und im Falle eines Falles bis zur Liga-Qualifikation gegen den NLB-Sieger (sofern dieser Visp, Olten oder La Chaux-de-Fonds heisst) intakt zu halten. Vor zwei Jahren hat Ajoie den Liga-Erhalt gegen La Chaux-de-Fonds gesichert, vor einem Jahr sind alle Aufstiegsanwärter (die Teams mit der Bewilligung zum Aufstieg) aus der Swiss League bereits im Halbfinal gescheitert und der Existenzkampf hat nicht stattgefunden.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
P.S. Christian Wohlwend darf wohl die massgeschneiderte Jacke eines Sponsors behalten, die vor ein paar Tagen endlich geliefert worden ist: Sie ist für Julien Vauclair zu klein.
Der Abstand in Punkten zwischen Platz 1 und 13 ist genau gleich wie zwischen Platz 13 und 14.
Der HCA ist schon Mitte Oktober abgehängt von den Ferienplätzen.