Zwischen Minigolf und Medienmarathon: Beim GP in Baku beginnt das Chaos schon beim Visum
Plötzlich hält der Ferrari-Pilot Charles Leclerc statt einem Steuerrad einen Minigolfschläger in der Hand. Kurz vorher drückte ihm ein TV-Moderator diesen Schläger in die Hand und forderte ihn mitten auf der Boxengasse in Baku zum Spiel heraus. Der Monegasse verschiesst.
Wenig später sitzt er in der Hospitality von Ferrari. Dort, wo am Rennwochenende sonst Gäste speisen und das Team seine Strategien bespricht, beantwortet Leclerc Fragen der Medienschaffenden. Auch die Ferrari-Krise wird thematisiert. Während McLaren die Champagnerkorken wegen dem möglichen frühzeitigen Titel schon lockert, bleibt Ferrari beim stillen Wasser. Letztes Jahr konnten sie noch um die Konstrukteurswertung mitfahren.
Dennoch ist der Monegasse motiviert: «Ich liebe dieses Team und ich möchte Ferrari wieder zurück an die Spitze bringen, egal wie lange das dauert.» Dieser eine Satz jagte mir so sehr Gänsehaut über den Rücken, dass ich mich während der Fragerunde kurz schüttelte, als wäre ich auf Tauchgang im eiskalten Kaspischen Meer. Doch davon bin ich schnell wieder aufgewacht, als mich die Ferrari-Kommunikationsfrau ermahnte, als ich meine Kamera für ein paar Fotos zücken wollte. Denn in der Ferrari-Hospitality sind Fotos verboten.
Dies sieht bei den restlichen Rennställen anders aus. Überall sind neben Mikrofonen und Handys auch Kameras erlaubt. Kritischer sieht dies bei der offiziellen Pressekonferenz aus. Während es sich die Fahrer auf dem weissen Ledersofa gemütlich machen können, ist es für die Medienschaffenden alles andere als gemütlich. Denn sie werden von etlichen Augen des Automobilverbands FIA strenger beobachtet, als bei einem Flughafen. Keine Handyfotos. Und auf keinen Fall Videos.
Ein asiatischer Mann will die Pressekonferenz seinem Kollegen via Facetime teilen. Doch die FIA-Kommunikationsfrau kommt ihm zuvor. Sie fordert ihn zuerst auf, die Aufnahme zu stoppen und anschliessend den Saal zu verlassen. Ohnehin konnte er ihr keinen Medienpass vorweisen. Bei den Akkreditierungsanforderungen überrascht dies nicht. Bis mein Konto damals auf dem FIA-Portal genehmigt wurde, brauchte es über ein halbes Jahr, mehrere Mails und ein gutes Wort von Aston Martin. Während ich für mein erstes Rennen als Journalistin noch Dutzende Dokumente einschicken musste, reichten für Baku nur drei Kreuze und die Speichertaste.
Wer an den Grossen Preis nach Aserbaidschan reisen will, braucht aber vor allem ein Visum. So sagt es das Gesetz im Land. Wer dazu noch dort arbeitet, braucht ein Arbeitsvisum. Das zumindest sagt die aserbaidschanische Botschaft in der Schweiz. Konkret muss ich beim Aussenministerium in Aserbaidschan ein Visum beantragen.
Dazu gehören neben einem Schreiben vom Chef und dem Lebenslauf auch die Seriennummern aller meiner Geräte, die ich für meine Arbeit brauche. Dass sie nicht noch meine Hosengrösse und Anzahl mitgebrachter Socken wissen wollten, hat mich verwundert. Was professionell klingt, ist es aber definitiv nicht – zumindest nach dem zweiten Blick.
Nach zwei Stunden war der letzte Brief unterschrieben und der Visumsantrag abgeschickt. Doch statt eines Bestätigungsmails oder dergleichen herrscht Funkstille. Hat mein Antrag es ins Büro des Aussenministeriums geschafft? Das sollte ich erst nach 30 Tagen erfahren. Denn so lange dauert die Bearbeitungszeit. Ein Bestätigungsmail des Erhalts meines Antrags hätte mein Schweizer Gewissen erleichtert. Aber vielleicht herrscht in diesem Land nicht so viel Bürokratie wie in der Schweiz.
30 Tage später und gut eine Woche vor dem Rennen erscheint mein langersehntes E-Mail im Posteingang: «Bitte beachten Sie, dass Sie für die Berichterstattung über den Grand Prix von Aserbaidschan kein Medienakkreditierungsverfahren beim Aussenministerium durchlaufen müssen.» Weiter hiess es, ich solle mich bei den Organisatoren melden. Und für diese Antwort haben sie 30 Tage gebraucht.
Die Organisatoren waren schliesslich deutlich schneller mit Antworten. So teilten sie mir mit, dass es nun für mein benötigtes Visum bereits zu spät ist. Am besten solle ich ein Touristenvisum beantragen. Da ich aber mittlerweile noch später dran war, konnte ich nur noch ein «Urgent Visa» – also ein Dringend-Visum – beantragen. Natürlich hat dieses auch doppelt so viel gekostet, als wenn ich es vor einem Monat noch beantragt hätte. Aber immerhin konnte ich nun ins Land reisen. Ob ich das richtige Visum dazu habe, wird wohl ein Geheimnis bleiben.
Kein Geheimnis ist, dass in Aserbaidschan manchmal ein wenig ein Chaos mit den Dokumenten herrscht. Beim Infostand für die Akkreditierungen kannte man meinen Namen nicht – entsprechend gab es auch keinen Zugang. Dass die beiden Männer im roten Infocontainer aber nur für Akkreditierungen von aserbaidschanischen Journalisten zuständig waren, wussten sie wohl selbst nicht.
Nach einer halben Stunde herumirren, habe ich schliesslich das richtige Büro gefunden. Immerhin gab es als Belohnung einen Rucksack und Notizbuch als Willkommensgeschenk. Kaum hatte ich mich eingerichtet, sass ich bereits neben dem Sauber-Piloten Gabriel Bortoleto und interviewte ihn gemeinsam mit zehn Medienschaffenden. Mein Herz hämmerte so laut in meiner Brust wie ein schlecht eingestellter Ferrari-Motor.
Doch für Nervosität blieb an diesem Nachmittag keine Zeit. Der Zeitplan war dicht. Von einem Interview in der Sauber-Hospitality ging es direkt zu Haas, anschliessend zu Aston Martin bis schliesslich alle Teams abgeklappert und mit Fragen bombardiert wurden. Erst als der Alpine-Fahrer Franco Colapinto am frühen Abend erzählt, dass er vorher mit seinem Social-Media-Team selber Kebab gemacht hat, fällt mir auf – ich habe den ganzen Tag vergessen zu essen. Doch sein Kommunikationschef sagt: «Seine Kebabs sind nicht zu empfehlen.» Da hatte ich endlich etwas Warmes im Magen – zumindest in Gedanken.
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