Selten war die Aufstiegschance für einen Klub aus der Challenge League grösser als in dieser Saison. Weil die Super League im Sommer von zehn auf zwölf Teams aufgestockt wird, steigen die ersten zwei der Challenge League direkt auf. Und der Dritte hat die Möglichkeit, sich die Promotion in der Barrage gegen den Letzten der Super League zu sichern.
Vor der Saison nahmen daher neun von zehn Challenge-League-Klubs mehr oder weniger offen das Wort «Aufstieg» in den Mund. Nur an einem Ort war dieser angeblich kein Thema: in Wil. Und nun steht nach 22 von 36 Runden auf Platz 1: der FC Wil.
Heute und am Freitag in einer Woche können die Ostschweizer nun Weichen stellen. Sie spielen zunächst zuhause in der Lidl Arena gegen das drittplatzierte, hoch ambitionierte Lausanne-Sport. Und in einer Woche geht es nach Yverdon zum aktuellen Zweiten. Das sind Sechs-Punkte-Spiele. Sollten die Wiler beide gewinnen, würden sie die direkte Konkurrenz nicht nur auf Abstand halten, sondern sie zurückbinden.
Die vom 38-jährigen Thurgauer Brunello Iacopetta trainierte Mannschaft gilt im Liga-Vergleich als sehr zweikampfstark. Der Coach hat sein Team um zwei enorm routinierte Spieler geformt. Captain Philipp Muntwiler feiert morgen seinen 36. Geburtstag, Stürmer Silvio ist bereits 38 Jahre alt. Trotzdem beträgt das Durchschnittsalter laut Angaben des Portals transfermarkt.ch bei 23,8 Jahren – kein Team der Liga ist jünger.
Diese Tatsache wiederum ist darauf zurückzuführen, dass der FC Wil auf ausgeliehene Talente von Super-League-Klubs setzt und auf Spieler, die dort ausgemustert wurden. Für sie ist es die zweite und vielleicht letzte Chance, sich im Profifussball zu etablieren. Dieser Biss sei für den Erfolg verantwortlich, behauptet im «St.Galler Tagblatt» mit Ludovic Magnin der Trainer von Aufstiegskonkurrent Lausanne-Sport.
Die Lokalzeitung nennt als weitere Gründe für den Wiler Erfolg die Stärke bei Standards – Wil hat die meisten Abschlüsse nach Eckbällen und Freistössen – und das Spiel in die Tiefe. Im Aufbau agieren die Ostschweizer so clever, dass sie die Statistik der angekommenen Schlüsselpässe anführen und gleichzeitig am wenigsten ins Offside laufen.
«Es ist fast schon unheimlich, wie schnörkellos alles läuft», stellt der Journalist Simon Dudle, der den Klub seit vielen Jahren begleitet, fest. Er nennt als Beispiel das Heimspiel vor einer Woche, in dem Wil gegen das Schlusslicht Neuchâtel Xamax zwei Mal in Rückstand geriet und in der 85. Minute das Tor zum 3:2 erzielte. Für Dudle ist klar: «Der FC Wil ist längst zu einem mehr als ernst zu nehmenden Aufstiegsanwärter geworden.»
Es war nicht der erste Last-Minute-Sieg. Nicht minder dramatisch war der 4:3-Erfolg bei Stade Lausanne-Ouchy vor zwei Wochen. Wil führte zur Pause schon 3:0, vergab diese Führung aber und konnte wenige Minuten vor dem Ende doch noch das Siegtor schiessen. Mit Josias Lukembila traf dabei der beste Wiler Torschütze doppelt. Der 23-jährige Ex-Junioren-Nationalspieler aus dem Waadtland kommt auf sieben Treffer.
Wenn das nach 22 Runden der Bestwert jener Mannschaft ist, die in der Challenge League mit 48 die meisten Tore überhaupt erzielt hat, dann ist das ein klares Zeichen. Nämlich dafür, dass das Team nicht von einem oder zwei Spielern abhängig ist, sondern dass jeder treffen kann. Die 48 Tore verteilen sich auf nicht weniger als 15 Spieler.
Dass mittlerweile eben doch Ambitionen da sind auf dem Bergholz, unterstreicht der Wechsel auf der Goalieposition im Winter. Für den Stammkeeper Marvin Keller, der zu den Young Boys ging, rückte nicht dessen Ersatzmann Nicholas Ammeter nach. Wil holte stattdessen Noam Baumann, einst bei Lugano in der Super League, aus der Serie B von Ascoli.
Noch sind viele Runden zu spielen. Und doch stehen dieser Tage bereits vorentscheidende Partien auf dem Programm. Wenn der FC Wil sie nicht verliert, wird zumindest die Barrage ein immer realistischeres Szenario. 19 Jahre nach dem Cupsieg und dem gleichzeitigen Abstieg in die Challenge League könnte der FC Wil, der seither häufiger durch Querelen neben dem Platz als durch Erfolge auffiel, in die Super League zurückkehren.