Eli Dasa bricht nach vier Minuten seinen Teil der Pressekonferenz ab, verlässt den Raum. Der israelische Captain, den Tränen nahe, kann seine Gefühle nicht weiter beschreiben. Das liegt an der Schilderung zuvor.
Nave Soham, ein achtjähriger Bub, ist mit einem Teil seiner Familie von der Hamas in den Gazastreifen entführt worden, der andere Teil wurde getötet. Übrig geblieben vom Zuhause ist einzig Naves linker Kinderfussball-Schuh, den Dasa in den Händen gehalten hat, und ein Stücklein von den Dachziegeln.
Alles andere wurde dem Erdboden gleichgemacht. Deshalb hat Dasa gesagt: «Wir warten auf dich, Nave.» Die EM-Qualifikationspartie gegen die Schweiz nimmt der israelische Verband zum Anlass, auf das zugefügte Leid seines Volkes bild- und erzählgewaltig aufmerksam zu machen. Es ist viel Pathos drin, wer mag es verdenken. Fussball für Politik.
Die tragische Realität ist ständiger Begleiter Israels, die Stimmung wirkt einen Tag vor dem Anpfiff emotional aufgeladen. Der Trainer Alon Hazan sagt: «Wir können das nicht ablegen. Aber wir müssen mit den Emotionen umgehen. In einer anderen Situation würden wir nicht antreten, aber wir vertreten unser Land und wollen es glücklich machen.»
Zum Qualifikationsstart habe er noch gedacht, die erstmalige EM-Teilnahme sei sehr wichtig, sagt der Coach. Jetzt sei es das Wichtigste, dass die Geiseln nach Hause kämen.
Danach starten seine Fussballer ihr Abschlusstraining. Sie betreten den Rasen mit nur einem Schuh. Wir befinden uns in Felcsut. Hier im 1800-Seelen-Dorf in Zentral-Ungarn wird heute Abend die im Oktober verschobene Partie gegen die Schweiz nachgeholt. In der Pancho-Arena. Klein, und deshalb einfach zu sichern, aber fein. Wie eine Kathedrale sieht die Heimstätte des Puskas Akademia FC aus.
Felcsut ist insofern bekannt, als dass Ungarns Ministerpräsident Victor Orbán hier aufgewachsen ist. In seinem Land ist die jüdische Gemeinde gross. «So gross, dass wir uns hier zu Hause fühlen», sagt Hazan.
Für ein Heimatgefühl würde es ihm schon reichen, wenn nur ein Jude aufstände im Stadion. Aber es werden weit mehr als 2000 Anhänger Israels erwartet. Familien und Kinder, die in der Nähe des Gazastreifens wohnen und schmerzliche Verluste zu beklagen haben, sollen eingeflogen werden.
Die Schweizer haben ein Kontingent für 200 Personen erhalten und 35 Tickets verkauft. Die Sicherheitsvorkehrungen sind selbstredend hoch. Ob all der Schwere geht es auch um Sportliches. Für Israel, das nach dem verlorenen Kosovo-Match gewinnen muss, um sich die Chancen auf die EM zu bewahren. Für die Schweiz, die laut Trainer Murat Yakin «den Sack zumachen und nach Deutschland will mit einem Sieg».
Man mag einwenden, sie schaffe es problemlos dahin, weil sie dafür in drei Versuchen nur einmal gewinnen muss. Doch es gilt für die nächsten Tage einige Komponenten im Auge zu behalten. Da wäre die Verteidigung, die seit dem 2:2 gegen Rumänien alles andere als sattelfest ist. Und öfter ihre Bezeichnung nicht verdiente.
Das Schweizer Defensivverhalten war offenbar Gegenstand von Analysen. Manuel Akanji, der Yakin an die Pressekonferenz begleitet, sagt: «Ich glaube immer noch, dass wir defensiv gut sind. Wir können das hoffentlich gegen Israel zeigen.» Und wie wäre es, Akanji ob den vielen zentralen Defensivspielern im Kader auf der Seite zu bringen? Er sagt: «Ich bin dort, wo mich der Trainer bringt. Ob als Stürmer, Goalie, hinten rechts oder hinten in der Mitte.»
In den drei verbleibenden Partien strebt die Schweiz auch eine gute Topf-Einteilung für die Endrunden-Auslosung an. Die Resultate der EM-Qualifikation sind massgebend. Nur als Sieger ihrer Gruppe wäre die Schweiz wenigstens in Topf 2. Ein drohendes Hammerlos über Topf 3 oder 4 soll also tunlichst vermieden werden.
Überdies gibt es einige erstaunliche Statistiken vor der Begegnung gegen Israel. So blieb die Schweiz – das mag ob all der Kritik überraschen, in Anbetracht der Gegner tut es das überhaupt nicht – erstmals in einer EM-Qualifikationskampagne in den ersten sieben Auftritten ungeschlagen.
Bemerkenswert ist ebenso, dass das Team dabei alle acht Gegentore erst in der letzten halben Stunde hinnehmen musste und vier der vergangenen fünf zweiten Halbzeiten verlor. Yakin bleibt entspannt, zuversichtlich, er sagt: «Für meine Mannschaft sprechen Qualität, Erfahrung und Vertrauen.» Die schlechten Resultate sieht der Coach als «Hänger», und Akanji will nichts von einem belasteten Verhältnis mit Yakin wissen.
Noch etwas: Gegen Israel wird Granit Xhaka alleiniger Rekordnationalspieler mit 119 Einsätzen. Der Schweizer Captain sagte am Sonntag nach dem 4:0 mit Leverkusen gegen Union Berlin: «Das Spiel ohne Ball ist das Wichtigste.» Wie wahr, und gerade hier offenbarte jüngst die Schweiz erhebliche Mängel. Schon klar, es gibt Wichtigeres.