Es ist noch kein Jahr her, da zeichnete Barcelonas Präsident Joan Laporta ein düsteres Bild von der Zukunft seines Klubs. «Die wirtschaftliche Situation ist dramatisch», erklärte er im letzten August. «Barcelona hat 451 Millionen Euro Nettoschulden und 1,35 Milliarden Euro Bruttoschulden. Die Lohnkosten belaufen sich auf 617 Millionen, was 103 Prozent der Einnahmen entspricht.»
Einen Grossteil des Schuldenbergs hatte sich bei Barça durch langjährige Transfer-Misswirtschaft sowie fehlende Einnahmen während der Corona-Pandemie angehäuft. Die Konsequenzen waren dramatisch: Um die Lohnobergrenze der Liga nicht zu überschreiten, blieb dem fünffachen Champions-League-Sieger nichts anderes übrig, als sich von Lionel Messi zu trennen. Und das, obwohl die lebende Klublegende einen neuen Vertrag unterschreiben wollte und dabei auf die Hälfte seines Gehalts verzichtet hätte.
Ohne Messi schienen die goldenen Barça-Zeiten vorerst vorbei zu sein. Doch nur elf Monate später sieht die Welt des spanischen Traditionsvereins schon wieder ganz anders aus: Mit Robert Lewandowski konnte man einen zweifachen Weltfussballer trotz laufenden Vertrags von Bayern München loseisen. Kostenpunkt: 50 Millionen Euro. Eine stolze Ablösesumme für einen bald 34 Jahre alten Spieler.
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Zuvor holte Barça für 55 Millionen Euro bereits Flügelstürmer Raphinha von Leeds United. Im Winter kam der spanische Nationalspieler Ferran Torres für die gleiche Summe von Manchester City. Andreas Christensen (Chelsea) und Franck Kessié (Milan) kamen im Sommer zwar genauso ablösefrei wie Pierre-Emerick Aubameyang (Arsenal), Memphis Depay (Olympique Lyon) und Eric Garçia (ManCity) im Winter, doch auch sie dürften die Gehaltsausgaben erheblich belasten.
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Und noch soll Barças Einkaufstour nicht zu Ende sein: Sevilla-Innenverteidiger Jules Koundé ist der erklärte Wunschspieler von Trainer Xavi und soll für 65 Millionen Euro kommen. Ausserdem bemühen sich die Katalanen um Cesar Azpilicueta und Marcos Alonso von Chelsea.
Die wahnwitzige Transfer-Offensive wirft bei der Konkurrenz bereits Fragen auf. «Ich weiss nicht, wo auf einmal das ganze Geld herkommen soll. Das hat schon einen faden Beigeschmack», erklärte beispielsweise Enrico Cerezo, Präsident von Atlético Madrid.
Wie also kann sich Barça solche Investitionen angesichts des horrenden Schuldenbergs leisten? Auf den ersten Blick scheint alles ganz einfach: Zunächst fuhren die Katalanen die Ausgaben runter. Routiniers wie Gerard Piqué oder Sergio Busquets mussten Gehaltskürzungen von bis zu 50 Prozent hinnehmen, Ousamane Dembélé verlängerte zuletzt für tiefere Bezüge und auch Lewandowski verdient in Barcelona mit 9 Millionen Euro weniger als in München.
Neben Messi verliessen mit Philippe Coutinho, Clément Lenglet und Dani Alves zuletzt weitere teure Stars den Klub. Dennoch sind weitere Abgänge unvermeidlich, damit die Gehaltskosten auf unter 500 Millionen Euro gedrückt werden können. Samuel Umtiti, Oscar Mingueza, Riqui Puig und Martin Braithwaite will man definitiv loswerden und sogar die letztjährigen Stammspieler Memphis Depay und Frenkie de Jong wurden zuletzt vielerorts angeboten.
Bei de Jong hiess es zuletzt, dass sich Barcelona Lewandowski nur leisten könne, wenn der Niederländer den Klub für einen hohen zweistelligen Millionen-Betrag verlassen würde. Mittlerweile sagt Barça-Präsident Laporta allerdings: «Wir sind nicht gezwungen, de Jong zu verkaufen.»
Grund dafür sind die gesteigerten Einnahmen. Im Juni machte der Klub auf einer ausserordentlichen Mitgliederversammlung den Weg frei, eigene Vermögenswerte zu verkaufen. Ein US-amerikanisches Investmentunternehmen sicherte sich bis 2047 zehn Prozent von Barças TV-Rechten in der heimischen Liga, was 207,5 Millionen Euro in die Kassen spülte. Mit Spotify zog man für kolportierte 70 Millionen Euro pro Jahr zudem einen neuen Trikot- und Stadionsponsor an Land.
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Durch diese Deals schlossen die Katalanen das Geschäftsjahr 2021/2022 mit einem Plus ab. So konnte Barça auch die Auflagen des spanischen Ligaverbandes LFP umgehen, nach denen der Klub für jeden Euro zusätzlicher Gehaltsausgaben drei Euro bei den Gehältern einsparen muss. Mit dieser Auflage wären namhafte Zugänge kaum möglich gewesen.
Durch den Verkauf von weiteren 15 Prozent der Fernsehrechte und 49,9 Prozent der Fanartikel-Geschäfte will der Verein weitere 500 bis 600 Millionen Euro einnehmen, um sein Eigenkapital endgültig wieder in die schwarzen Zahlen zu bringen.
Das birgt allerdings ein grosses Risiko: Die Klub-Verantwortlichen verscherbeln mit diesen Massnahmen sozusagen ihr Tafelsilber. Durch den Verkauf der TV-Rechte muss Barcelona pro Jahr rund 16,6 Millionen Euro in die USA abstottern. Hochgerechnet auf 25 Jahre sind das 415 Millionen Euro – also genau das Doppelte des Betrags, den man vor wenigen Wochen dafür erhalten hat.
Die Barça-Verantwortlichen investieren derzeit auf Pump in die Mannschaft. Die Idee dahinter: Möglichst wettbewerbsfähig bleiben, um weiter die hohen Einnahmen für nationale Erfolge und aus der Champions League zu kassieren. Langfristig dann besser wirtschaften, um die Schulden abbauen zu können. Doch das kann auch schiefgehen. Umso wichtiger ist es, die Einnahmen abseits des Sports deutlich zu erhöhen. Dass Hobby-Fussballer für 300 Euro pro Spieler im Camp Nou spielen dürfen und Fans sich für 13'500 Euro im Stadion trauen lassen können, ist ein erster Schritt in diese Richtung.
Doch das Stadion bleibt auch ein Sorgenkind: Ab diesem Sommer wird das Camp Nou bis zur Saison 2025/26 komplett saniert. Barça muss seine Heimspiele in der kommenden Saison deshalb im Olympiastadion Lluis Companys vor maximal 55'000 Zuschauern austragen. Die Folge: sinkende Einnahmen. Die Kosten für den Stadionumbau belaufen sich zudem auf bis zu 1,5 Milliarden Euro. Zwar sei die Finanzierung in Gänze durch langfristige Kredite gesichert, erklärte Präsident Laporta. Doch auch diese Investitionen werden den Klub noch lange belasten.
Da verwundert es nicht, dass Barcelona trotz des kläglich gescheiterten ersten Versuchs weiterhin zu den grossen Befürwortern der Gründung einer europäischen Super League gehört. Zusammen mit Real Madrid und Juventus Turin fechten die Katalanen derzeit am Europäischen Gerichtshof die Monopolstellung von UEFA und FIFA an, internationale Wettbewerbe zu veranstalten. Ein Urteil wird für Anfang 2023 erwartet. In der Hoffnung auf einen regelmässigen Millionen-Segen ist Barça also bereit, auf Konfrontationskurs mit den Fans zu gehen. Denn diese wehrten sich im April 2021 vehement und am Ende mit Erfolg gegen die Super-League-Pläne der Grossklubs.