Nach acht von zehn Runden in der EM-Qualifikation steht die Schweiz ungeschlagen auf Platz 1, das Erreichen des Tickets für die Europameisterschaft im nächsten Jahr scheint nur noch Formsache. Dennoch herrscht Unruhe beim Nationalteam und steht Trainer Murat Yakin in der Kritik. Viel zu selten hat die Schweiz gegen eigentlich klar unterlegene Gegner überzeugt. Dabei wirkte Yakin auch im Nachgang der Partien nicht immer souverän – und wurde gar schon von einigen Spielern kritisiert.
Begonnen hat die Nati-Misere mit dem Ausscheiden an der WM im letzten Dezember, als die Schweiz im Achtelfinal gegen Portugal 1:6 unterging. Yakin setzte dabei auf zwei noch nicht vollständig von einer Grippe genesene Spieler, die während der Partie beide Probleme hatten. Später erklärte der Trainer, dass er Yann Sommer und Fabian Schär in der Partie nicht hätte einsetzen dürfen. Da aber auch sonst einige Spieler mit der Krankheit zu kämpfen hatten – unter anderem die Verteidiger Silvan Widmer und Nico Elvedi – blieb Yakin nicht viel anderes übrig, als auf Schär zu setzen.
Problematischer war hingegen das Experiment mit der Dreierkette. In seinem 20. Spiel als Nationaltrainer liess Yakin sein Team zum ersten Mal nicht mit einer Viererkette in der Defensive auflaufen. Dies funktionierte jedoch nicht, gerade der Angriff litt unter der stärker defensiven Ausrichtung. Obwohl die beiden Gegentore in der ersten Halbzeit nach Standardsituationen fielen, stellte Yakin zur Pause wieder auf das altbewährte System mit vier Verteidigern um – besser wurde es jedoch nicht. Nach der 1:6-Klatsche kritisierte unter anderem Xherdan Shaqiri die taktische Ausrichtung der Schweizer: «Der Trainer gibt uns immer einen Plan mit und der ist in diesem Fall nicht aufgegangen.»
Es war nicht das letzte Mal, dass einer der etablierten Nati-Spieler öffentlich Kritik am Trainer übte. Nachdem die Schweiz mit drei Siegen in die EM-Qualifikation gestartet war, liess sie sowohl gegen Rumänien als auch im Kosovo Punkte liegen, obwohl sie bis in die Nachspielzeit hinein geführt hatte. Nach dem zweiten 2:2-Unentschieden in Serie sprach Granit Xhaka von einem «komischen Spiel» mit wenig Tempo und wenigen Zweikämpfen. Es habe sich nicht wie ein Quali-Spiel angefühlt. Dann sagt er: «Es war allgemein eine komische Woche, schon im Training hatten wir wenig Tempo und so sind wir dann auch aufgetreten.»
Trainer Murat Yakin versuchte in der Folge, die Wogen zu glätten, es kam zu einer Aussprache zwischen ihm und dem Captain. Lediglich, dass die Kritik öffentlich geäussert wurde, rügte der 49-Jährige. Der Vorwurf bleibt aber: Der Kapitän hielt die Trainings-Methoden von Yakin und seinem Staff für zu lasch und zu wenig intensiv. Dies habe es dem Team schwer gemacht, im Spiel konsequenter aufzutreten. Ob sich daran gross etwas geändert hat, lässt sich nach den letzten Partien zumindest anzweifeln.
Denn auch zuletzt verspielte die Nati wieder zweimal Führungen. Gegen Belarus wurde aus einem 1:0-Vorsprung plötzlich ein 1:3-Rückstand, der noch aufgeholt werden konnte, und gegen Israel kassierten die Schweizer den Ausgleich zum 1:1 erneut kurz vor Schluss. Es zeichnet sich immer ein ähnliches Bild ab. Die Schweiz startet gut in die Spiele, geht irgendwann in Führung, aber verpasst es, die Partie vollständig an sich zu reissen.
Anstatt ein zweites, drittes oder gar viertes Tor nachzulegen, wiegt sich das Team zu sehr in Sicherheit und gerät fast ein bisschen in Trance. So verlieren die eigentlich favorisierten Schweizer jeweils die Kontrolle übers Spiel und werden unsicher. Natürlich liegt es auch an den Profis selbst, ihr Spiel über 90 Minuten durchzuziehen, doch muss der Trainer spätestens, wenn er merkt, dass das Spiel etwas schludrig wird, neue Impulse setzen.
Allgemein fällt auf, dass die Schweiz unter Yakin zwar viele Führungen verspielt, aber nur selten noch zu einem Punktgewinn kommt, wenn sie in Rückstand gerät. In zehn Partien, in denen dies der Fall war, verlor sie siebenmal und drehte nur das letzte WM-Gruppenspiel gegen Serbien zu einem Sieg.
Mit seinem Kommentar nach dem 3:3-Unentschieden gegen Belarus sorgte Yakin dann für Fragezeichen. «Gegen solche Teams müssen wir uns defensiv nicht vorbereiten», sagte der Trainer, nachdem sein Team von Spielern aus den Ligen von Belarus oder Kasachstan teils vorgeführt wurde. Obwohl er recht hat, dass gegen diese Gegner vor allem das Offensivspiel und das Unterbinden von Kontern in den Umschaltphasen zählen, ist eine solche Aussage sehr unglücklich – gerade nach einer solch enttäuschenden Leistung.
Zumal die Verteidigung nicht nur Belarus viel zu viele Möglichkeiten bot. Dass in der Defensive wenig Konstanz herrscht, ist auch der Personalsituation mit der langen Verletzung von Silvan Widmer oder der zu Beginn der Saison mangelnden Matchpraxis von Nico Elvedi geschuldet. Doch auch Yakin sorgte mit seiner erneuten Umstellung von Vierer- auf Dreierkette während der EM-Qualifikation für Verunsicherung.
Schon beim 2:1-Erfolg gegen Fussballzwerg Andorra musste die Dreierkette aus Akanji, Elvedi und Rodriguez gegen Ende des Spiels zittern. Gegen Rumänien brach dieselbe Zusammensetzung in den letzten Minuten auseinander. Dass es im Anschluss mit vier Verteidigern nicht wirklich besser wurde, lag auch daran, dass Akanji als Nebenmann Fabian Schär zur Seite gestellt wurde. Da beide Innenverteidiger auch spielerisch stark sind und sich gerne mal ins Offensivspiel einschalten, fehlte in den Spielen im Kosovo und gegen Belarus die defensive Absicherung.
Anders als das Duo Akanji-Elvedi waren Akanji und Schär nicht wirklich eingespielt und vor allem Zweiterer sah bei manchen Gegentoren in den Spielen gegen Kosovo und Belarus überhaupt nicht gut aus. Am gestrigen Mittwoch setzte Yakin dann statt auf den in Mönchengladbach wieder gesetzten Elvedi auf Cedric Zesiger, der gerade in der zweiten Halbzeit völlig überfordert war. Als rechten Aussenverteidiger setzte er den polyvalenten Edimilson Fernandes ein. Er verschuldete den 1:1-Ausgleich und flog in der Folge vom Platz. Anstatt auf bewährte Mittel zu setzen, wagte Yakin ein weiteres Experiment, was sich nicht auszahlte.
Doch nicht nur in der Defensive hatte die Schweiz in den letzten Spielen Probleme. Auch offensiv tut sie sich teils schwer, echte Chancen herauszuspielen. Gegen Israel war dies mit zwei Lattentreffern zwar nur bedingt der Fall, doch fehlte es auch hier an Gefahr durchs Zentrum. Die Flügelspieler Ruben Vargas und Noah Okafor sowie Stürmer Zeki Amdouni wurden zu selten in Szene gesetzt und mussten sich meist selbst ihre Chancen kreieren.
Dies hatte vor allem damit zu tun, dass ein echtes Bindeglied zwischen den Mittelfeldspielern und dem Angriffstrio fehlte. Zwar versuchten sowohl Granit Xhaka als auch Remo Freuler sich in die Offensive einzubinden, doch ist keiner der beiden ein echter Spielmacher und wehrte sich Ersterer in der Vergangenheit gegen die Rolle des offensiven Mittelfeldspielers. Ein Akteur, der diese hingegen schon häufig erfolgreich ausfüllte, sass über 90 Minuten auf der Bank.
«Es war kein Spiel für Xherdan Shaqiri», sagte Yakin nach der Partie. Dabei hätte die Kreativität des 32-Jährigen den Schweizern gutgetan. Und auch Djibril Sow hätte als Zehner agieren können, wie er an der WM unter anderem gegen Serbien bewiesen hat. Doch ihn nominierte Yakin gar nicht erst. So ist neben den Aussenverteidiger-Positionen auch die offensive Rolle im Mittelfeld dünn besetzt. Etwas, wofür sich Yakin ebenfalls Vorwürfe gefallen lassen muss.