Bei der TSG Hoffenheim kracht es gewaltig. Vor dem Bundesliga-Start am heutigen Samstag (15.30 Uhr) gegen Holstein Kiel befürchtet der Klub gar einen Spielabbruch. «Wir hoffen, dass das Spiel über die Bühne geht – wir wissen es aber nicht», teilten die Hoffenheimer unter der Woche mit. «Es könnte am Samstag gegen Kiel unschön werden.»
Der Grund dafür ist der Streit zwischen einigen Fanklubs und dem Verein, der in der letzten Woche «eskaliert» sei, wie es von Seiten des Bundesligisten heisst. So hätten zwei Ultragruppierungen der TSG den «Krieg erklärt». Es ist eine Reaktion auf die Entlassung des bei den Ultras beliebten Sportchefs Alexander Rosen Ende Juli. Rosen arbeitete seit 13 Jahren bei Hoffenheim, mit ihm mussten weitere Führungspersonen und auch Pirmin Schwegler gehen. Der frühere Schweizer Nationalspieler war während eines Jahres der Profifussball-Leiter bei seinem Ex-Klub.
In der Folge kam die Kommunikation zwischen der TSG Hoffenheim und den Fans zum Erliegen. Beim DFB-Pokalspiel des letzten Wochenendes gab es einen 45-minütigen Stimmungsboykott und vor dem Bundesliga-Start wurden am Trainingsgelände Plakate gezeigt, auf denen Dinge standen wie: «Jetzt seid ihr zu weit gegangen. Ihr habt einen Krieg begonnen, den ihr nicht gewinnen könnt.» Auf einem anderen hiess es: «Wir Fans sind der Verein. Hopp, verpiss dich!»
Dies hinterliess auch bei Spielern und Trainer Pellegrino Matarazzo seine Spuren. So sagte letzterer: «Es war sicherlich keine optimale Vorbereitung. Die Unruhe ist eine Herausforderung.» Auch Spieler Grischa Prömel berichtete: «Das ist natürlich keine leichte Situation, auch für uns Spieler. Aber wir müssen uns auf das Hier und Jetzt konzentrieren und müssen dem Verein und den handelnden Personen ein Stück weit vertrauen.»
Um weitere Attacken auf den Mäzen und langjährigen Mehrheitseigner zu vermeiden, wurden die Anhängerinnen und Anhänger aufgefordert, das Fanlager auf dem Stadiongelände, in dem unter anderem Banner und Fahnen aufbewahrt werden, zu räumen. Der Klub wolle zwar «keine Meinungen unterdrücken», für die bei den Fans unbeliebte Klubchefin Simone Engelhardt ist jedoch klar: «Wir wollen nicht, dass Dietmar Hopp aus seinem eigenen Stadion gemobbt wird.»
Die TSG Hoffenheim erklärte gar, im Falle von strafrechtlich relevanten Vorfällen auf das Einschreiten der Polizei zu bauen. Dazu würden beispielsweise Plakate gehören, auf denen Hopp in einem Fadenkreuz zu sehen ist, wie dies in der Vergangenheit bei gegnerischen Fans bereits der Fall war. Zwar umfassen die beiden Ultragruppierungen, die sich im Streit mit dem Klub befinden, im harten Kern nur maximal 40 Leute, wie es heisst – doch ist die Angst vor gewaltverherrlichenden Plakaten gegen den 84-jährigen Hopp dennoch gross. Dann könnte der Schiedsrichter die Partie gar abbrechen.
Die Fanszene selbst wehrt sich hingegen gegen die Vorwürfe seitens des Klubs. Einen provozierten Spielabbruch werde es nicht geben. Als Reaktion auf das Vorgehen der Vereinsführung werde jedoch die geplante Choreografie zum 125. Geburtstag der TSG Hoffenheim abgesagt und es werde zum Bundesliga-Auftakt erneut einen Stimmungsboykott geben. Wie stark das Schweigen der in Deutschland häufig belächelten Fans bemerkbar ist, wird sich erst noch zeigen. Grossartige Stimmung ist im fast nie ausverkauften Stadion selten.
Der Ärger der Fans liegt auch an der bevorstehenden Wahl eines neuen Vorsitzenden der Mitglieder. Als einziger Kandidat tritt dort ein Vertrauter von Dietmar Hopp an. Die Ultragruppierungen befürchten deshalb, dass der Mäzen weiterhin «die absolute Kontrolle» über den Verein habe. Dabei kehrte die TSG Hoffenheim im vergangenen November zur 50+1-Regel, die den Mitgliedern die Stimmenmehrheit gibt, zurück. Zuvor konnte Hopp seit 2015 aufgrund einer Ausnahmeregel als Alleinentscheider agieren.
Dies wollen einige Hoffenheim-Fans aber verhindern, weshalb schon Anfang August gefordert wurde, dass Hopp den Verein verlasse. «Herr Hopp, ihre Zeit ist um», hiess es in einer Mitteilung der Gruppierung Young Boyz 2007. Der Verein müsse wieder transparent werden «und nicht zu einem Marionettenspiel von alten, weissen Männern verkommen». Unter anderem ist damit auch Spielerberater Roger Wittmann gemeint, der seine Nähe zu Dietmar Hopp in den Augen vieler Fans zu seinem Vorteil nutzt und viele Transfers mit den Hoffenheimern abwickelt. Deshalb heisst es in der Mitteilung weiter: «Berater-Freundschaft und Geschäftliches muss endlich voneinander getrennt werden!»
Zwar bezeichnen auch die Ultras ihren Lieblingsklub als «Lebenswerk» von Hopp. Doch entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass die Fans eines Retorten-Klubs, der ohne die finanzielle Unterstützung des SAP-Mitbegründers wohl nie auch nur in die Nähe des Profifussballs gekommen wäre, nun ihre Fussballromantiker-Seite entdecken. Unter Hopp, der seit 1989 als Investor bei der TSG Hoffenheim wirkt, stieg der Klub aus dem 3000-Einwohner-Dorf aus der siebtklassigen Kreisliga bis in die Bundesliga auf und nahm gar einmal an der Champions League teil.