Sage und schreibe 42 Spieler hat der FC Chelsea derzeit in seinem Profikader: Sechs Goalies, zwölf Verteidiger, zwölf Mittelfeldspieler und zwölf Stürmer. Weil die Premier League an Spieltagen aber nur 20 Akteure im Kader erlaubt, hatte der neue Trainer Enzo Maresca schon vor seinem Debüt ein grosses Problem: Er musste mehr Spieler aus dem Kader für die Partie gegen Manchester City streichen, als er nominieren konnte. Selbstverständlich sorgte dies auch für Unruhen.
Einer der Spieler, die bei der 0:2-Niederlage nicht einmal auf der Ersatzbank sassen, war Raheem Sterling. Das Umfeld des 29-Jährigen reagierte mit einer kurz vor dem Spiel veröffentlichten Mitteilung auf dessen Fehlen im Kader. So sei Sterling zwei Wochen früher nach England zurückgekehrt, um individuell zu trainieren und habe auch eine gute Vorbereitung unter dem neuen Trainer gehabt. «Deshalb haben wir erwartet, dass Raheem im Spiel von diesem Wochenende in irgendeiner Weise dabei sein würde», erklärte ein Vertreter des Flügelspielers und fügte an: «Wir freuen uns darauf, Klarheit in dieser Situation zu bekommen.»
Sterling, 2022 für über 55 Millionen Euro von Manchester City gekommen, musste für dieses Vorgehen viel Kritik einstecken. So sagte beispielsweise der ehemalige Fussballer und heutige TV-Experte Micah Richards: «Sterling und sein Umfeld versuchen Unruhe zu stiften. Dabei gibt es schon eine Menge Unruhe rund um den Klub.» Dieses Statement so kurz vor dem Spiel helfe weder seinen Teamkollegen noch dabei, wieder ins Team zu kommen. «Er hat seinen Trainer öffentlich kritisiert und seine Mitspieler im Stich gelassen. Das sollte er besser wissen», so Richards.
Ein alter Mitspieler von Sterling ging mit dem 82-fachen englischen Nationalspieler noch härter ins Gericht. Jamie Carragher, Legende bei Sterlings Ex-Klub Liverpool und mittlerweile ein populärer TV-Experte, betonte zwar, dass Sterling ein toller Typ sei und er ihn sehr möge, bezeichnete das Vorgehen bei Sky aber als «Witz» und «peinlich». Als sein Kollege Gary Neville mutmasste, dass Sterlings Statement eine Reaktion auf Missstände im Klub und auch auf das Fehlverhalten Chelseas gegenüber einiger seiner Mitspieler sein könnte, sagte Carragher: «Nein. Er kümmert sich nicht um den Klub, er tut es für sich selbst.»
Die beiden Experten liessen aber auch kein gutes Haar an Chelsea. Einerseits kritisierten Carragher und Neville den Umgang mit Eigengewächsen wie Conor Gallagher oder Trevoh Chalobah, die zu einem Abgang gedrängt werden. «Es ist alarmierend, wie sie einige Spieler behandeln», sagte Neville, «sie tun Dinge, die falsch sind, damit sie neue Spieler kaufen können, um Fehler aus der Vergangenheit zu korrigieren.»
Für zusätzliches Unverständnis sorgte bei den beiden Grossen des englischen Fussballs die bevorstehende Verpflichtung von João Felix, welcher der 43. Spieler im Profi-Kader werden dürfte. «Chelsea muss aufhören, Spieler zu kaufen. Und Spieler müssen aufhören, bei Chelsea zu unterschreiben», befand Carragher und ergänzte: «Ich weiss nicht, wie man als Spieler auf dieses Projekt schauen und unterschreiben kann.»
Mit Blick auf Felix fragte der 46-Jährige: «Wo soll er spielen? Sie haben Cole Palmer, Christopher Nkunku und auch Enzo Fernandez spielte zuletzt offensiver. Ausserdem haben sie vor einer Woche Pedro Neto gekauft. Wo sollen die alle spielen?» Zwar brauche es in einem guten Team Konkurrenzkampf, doch seien 43 Spieler einfach zu viel. «In jedem Team, in dem ich gespielt habe, gab es sieben, acht Spieler, die jede Woche gespielt haben. Dann kämpften sechs, sieben andere um die restlichen Positionen. Und der Rest wusste, dass sie nur Ergänzungsspieler sind», erzählte Carragher, «das ist ein gesundes Team. Bei Chelsea wird jedoch schon die Grösse der Kabine eine Herausforderung. Und wie soll man da ein Training gestalten?»
"Chelsea have just got to stop buying players, and players have got to stop signing for Chelsea." @Carra23 on Chelsea's transfers over the summer 😨✍ pic.twitter.com/tbXjr4EJ90
— Sky Sports Premier League (@SkySportsPL) August 19, 2024
Tatsächlich gab es im letzten Winter Berichte, dass die Kabine für das grosse Kader zu klein sei und sich einige Spieler beim Training auf dem Flur umziehen mussten. Seit das Konsortium um Todd Boehly den Verein im Mai 2022 übernommen hat, wurde für 34 Spieler eine Ablösesumme bezahlt. Insgesamt belaufen sich diese auf über 1,28 Milliarden Euro. Im gleichen Zeitraum wurden durch Transfers lediglich rund 450 Millionen Euro eingenommen. «Mit so vielen Spielern kann man nicht erfolgreich sein. Sie können keinen Zusammenhalt, kein Team-Spirit kreieren», glaubt Carragher. Neville sagte zustimmend: «Es scheint chaotisch.»
«Besonders das mit den langen Verträgen ist bizarr», so die Manchester-United-Legende, welche die Frage in den Raum stellt: «Was weiss Chelsea, was schlaue Klubs wie Real Madrid, Manchester City oder Bayern nicht wissen?» Neville spielt darauf an, dass viele Chelsea-Stars Verträge bis 2030 oder gar 2031 haben. Zum Zeitpunkt der Unterschrift lag das Vertragsende gewisser Spieler bis zu neun Jahre in der Zukunft. Insgesamt beträgt die Vertragslaufzeit aller Spieler 191 Jahre – 91 Jahre mehr als bei Tottenham, das in der Statistik in der Premier League auf Platz 2 steht.
Mittlerweile kann dies auch nichts mehr mit der Amortisation der Ablösesumme in Verbindung mit dem Financial Fair Play zu tun haben. Einerseits dürfen Transfers nur noch über fünf Jahre amortisiert werden, andererseits wurde mit Cole Palmer vor Kurzem auch ein bereits unter Vertrag stehender Star mit einem Arbeitspapier bis 2033 ausgestattet.
Das Beispiel Palmer nutzt Neville auch, um zu erklären, weshalb er in diesem Vorgehen keinen Nutzen für den Klub sieht. So gehe man grosse Risiken ein, da Spieler mit solchen Verträgen im Falle von schlechten Leistungen schwierig zu verkaufen sind. Und sollten sie sich profilieren, würden sie trotzdem einen neuen Vertrag zu besseren Bezügen fordern. «Die Realität ist, dass man entweder den Vertrag verbessern oder den Spieler loswerden muss», bilanziert Neville, «was Chelsea tut, bringt nichts.»
Aber vielleicht denken sich viele der Talente, so gut seien sie auch nicht und sie werden nirgends sonst so viel Lohn über so eine lange Vertragsdauer erhalten. Was dann auch nicht die Verantwortlichen spricht 😄