Um zu verstehen, wie stark die Sehnsucht der Fans der Chicago Bears nach einem guten Quarterback ist, muss man einen Blick in die Geschichte der NFL-Franchise werfen. Noch nie in den 104 Jahren erzielte ein Bears-Quarterback in einer einzelnen Saison mindestens 4000 Yards Raumgewinn durch Pässe. Ausserdem gelangen noch keinem 30 Touchdown-Pässe. Zum Vergleich: Alleine in den letzten vier Saisons erreichten Quarterbacks von 20 der 32 Teams zumindest eine dieser Marken.
Während sich die Fans anderer Teams also an Spielern wie Patrick Mahomes, Josh Allen oder Joe Burrow ergötzen können, gilt in der Geschichte der Bears nach wie vor Sid Luckman als bester Spieler auf der wichtigsten Position im American Football. Der vierfache NFL-Meister und einmalige MVP spielte von 1939 bis 1950 für Chicago. Doch es scheint Hoffnung zu geben für das Team, das 1985 seinen einzigen Super Bowl gewonnen hat.
Dank eines Trades mit Carolina aus dem letzten Jahr durften sich die Bears im NFL-Draft im April an erster Stelle ein neues Talent aussuchen. Die Wahl fiel wenig überraschend auf Caleb Williams. Und der sorgte schon in seinen ersten beiden Testspielen für Euphorie beim Anhang sowie bei Experten – und gar bei NFL-Stars.
Es sind nicht die reinen Statistiken, sondern vielmehr einzelne Aktionen, mit denen der 22-Jährige Begeisterungsströme auslöst. Nach zwei Vorbereitungsspielen, die er wie in der NFL gewöhnlich nur in Teilen absolvierte, ist er noch ohne Touchdown-Pass und brachte nur die Hälfte seiner 20 Würfe an den Mitspieler. Damit erreichte er aber schon 170 Yards Raumgewinn, auch eine Interception unterlief ihm noch nicht. Und eben: In gewissen Szenen ist bereits zu sehen, welch riesiges Potenzial in ihm steckt.
Zum Beispiel bei seinem Pass auf Rome Odunze, der ebenfalls im NFL-Draft 2024 verpflichtet wurde. Aus dem Lauf wirft Williams den Ball über mehr als 30 Meter punktgenau in die Hände seines neuen Mitspielers. Dieser äusserte danach seine Bewunderung: «Es ist unglaublich. Ich habe es mir gerade noch einmal angeschaut. Er wirft auf einem Bein stehend und platziert den Ball perfekt. Es ist magisch, was er tut. Er ist aussergewöhnlich.»
Every angle of Caleb Williams’ jaw-dropping throw to Rome Odunze. 🔥
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Und Odunze war nicht der einzige, der sich von Williams' Qualitäten beeindruckt zeigte. So sagte Bears-Star DJ Moore, ein erfahrener Wide Receiver, der zu den Besten auf seiner Position gehört, über den Rookie-Quarterback: «Er ist spitze. Habt ihr gesehen, wie er die Gegner auf dem Feld dumm aus der Wäsche schauen lässt? Das ist Weltklasse.»
Der frühere Star der University of Southern California in Los Angeles begeisterte aber nicht nur mit seinen Wurfqualitäten, sondern auch mit seiner Agilität. So erzielte Williams im Spiel gegen die Cincinnati Bengals seinen ersten Touchdown für Chicago. Dabei entwischte er zwei Gegenspielern und rannte dann in die Endzone.
Caleb the Magician 🪄
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Die beiden spektakulären Szenen gingen auch an Tyreek Hill nicht vorbei. Der Wide Receiver der Miami Dolphins wurde von den NFL-Profis zum besten Spieler der letzten Saison gewählt und schrieb nun auf X: «Caleb Williams ist so gut, er erinnert mich an …» Obwohl der 30-Jährige offen lässt, wen er meint, spekulieren nun viele, dass es sich um Patrick Mahomes handelt. Mit dem Superstar-Quarterback spielte Hill fünf Jahre lang in Kansas City, gemeinsam gewannen sie 2019/20 den Super Bowl. Mahomes ist neben seiner hohen Präzision ebenfalls bekannt für spektakuläre Würfe.
Möglicherweise etwas angestachelt von der Leistung des neuen Sterns am Football-Himmel zeigte Mahomes einige Stunden später, dass er noch immer eine Klasse für sich ist. Weil Travis Kelce den falschen Laufweg gerannt war, wie Mahomes später erklärte, habe er ihm den Ball mit einem Pass hinter dem Rücken zugeworfen. «Aus Trotz», spasste der 28-Jährige und fügte an: «Ich war sauer auf ihn.»
.@tkelce ran the wrong route, so @patrickmahomes threw it behind his back because he was mad at him. 😅
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"Out of spite, I threw a behind-the-back pass."
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Aber zurück zu Caleb Williams. Nach dem 27:3-Erfolg gegen Cincinnati sprach das Supertalent auch über seinen starken Pass auf Rome Odunze und nannte Aaron Rodgers als Vorbild. Er habe sich viel von dem aktuellen Quarterback der New York Jets, der lange beim Bears-Rivalen Green Bay spielte, abgeschaut.
Natürlich muss man mit Lobeshymnen nach zwei Testspielen, in denen die NFL-Teams nur selten mit ihren besten Spielern antreten, vorsichtig sein. Doch was der 22-Jährige bisher gezeigt hat, macht Lust auf die Zukunft des Bears-Quarterbacks. Zumal Williams von seinen Mitspielern auch für seine Reife und sein Verhalten neben dem Feld gelobt wird. Trainer Mike Eberflus gefällt ausserdem, wie professionell sich sein Schützling verhält: «Seine Körpersprache hat sich nie verändert. Er hat immer weiter gearbeitet.»
Und vielleicht beendet Caleb Williams ja die Leidenszeit der Fans in Chicago, die endlich auch einmal sehen wollen, dass ein Quarterback ihres Herzensvereins 4000 Yards oder 30 Touchdown-Pässe wirft.